Der sterbende Cato. Eine Tiergeschichte

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 208

Armin Thurnher
am 10.10.2020

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Mein meistveröffentlichter und erfolgreichster Text war eine Kurzgeschichte über Hund Cato und Kater Hannibal.

Sie erschien in einem Sammelband und wurde in einer Tageszeitung abgedruckt. Der Sammelband wurde x-mal aufgelegt, jedesmal bekam ich zwischen 25 und 40 Euro dafür. Zum Welttag des Hundes hier eine andere Hundegeschichte.

Cato erzählt seinen letzten Tag.

Der Kerl mit der weißen Hose ist gekommen und hat mich gestochen. Habe kaum etwas gespürt. Zu meiner Entspannung, sagte er. Jetzt sitzt er am Tisch und plaudert mit der Frau. Der Mann liegt neben bei mir auf meiner Decke und hält mich. Hat er so noch nie gemacht. Auf dem Boden. Seltsam. Mir ist warm, und das erste Mal seit langer Zeit spüre ich keinen Schmerz. Schön.

Früher lag ich oft auf der Couch beim Mann, bis es mir zu heiß wurde und ich hinunterkletterte, um mich abzukühlen. Dann lachten sie mich aus. Ich kam bald wieder, er mochte es, wenn ich auf die Couch sprang und mich der Länge nach an ihn schmiegte, während er las oder in den Fernseher glotzte. Der Holzofen brannte, es war warm, und auch mir machte es nichts aus, ihn zu wärmen. Ich tat einiges für sein Wohlwollen. Mir liegt was an der Familie, müssen Sie wissen. Ich habe sonst nichts.

Meine Familie, das sind Sie und Er und Kater Hannibal. Den fand ich vor vierzehn Jahren beim Spazierengehen, kurz vor Weihnachten. Man hatte ihn weggeworfen, er wimmerte in einem Gesträuch. Es war bitterkalt, trockene Flocken wehten über die gefrorene Straße. Sie war mit mir unterwegs, weil man mit mir jeden Tag unterwegs sein muss. Das habe ich so eingerichtet.

Ich roch ihn längst, ehe sie das Wimmern hörte, und zog so kräftig ich konnte an der Leine, um sie zum Gebüsch zu ziehen. Als sie endlich auch etwas hörte, gab sie ihren Widerstand auf und folgte mir zum Strauch. Später erzählte sie allen, sie habe es gefunden. Sie hob das kleine Ding auf, es war halbtot und maunzte vor sich hin. Es war hässlich und hatte einen überlangen Schwanz, fast wie eine Ratte. Ich wusste nicht, was es war, aber als sie es mitnahm, war ich aufgeregt.

Ein Spielzeug? Es wurde mein Lebenstier. Abgesehen von ihm und ihr. Sie haben ein Foto von mir gemacht, wo man das kleine Kätzchen auf einem Sessel sieht, und mich davor sitzend. Mir tropft der Speichel aus der Schnauze. Ich hätte es am liebsten in einem fort abgeschleckt. Aber solange es klein war, ließen sie es nur unter Aufsicht zu mir. Es wuchs schnell.

Ich liege so gemütlich da. Alles geht mir durcheinander im Schädel. Wunderlich wird mir. Sie sind heute Vormittag mit mir spazierengegangen. Es ist ein warmer Februartag mit feuchtem Schnee, gerade noch nicht matschig. Ich habe mich mitgeschleppt, um ihnen eine Freude zu machen. Kann kaum noch gehen. Manchmal wirft es mich einfach hin.

Ich mag Schnee. Die Freude, als ich das erste Mal mit den Flocken tanzte, dastand, sie auf meine Zunge fallen ließ, dann wieder nach ihnen sprang! Das war, als hätte ich etwas wiedergefunden, von dem ich immer ahnte, dass es da war, aber ich wusste nicht, was es war. Als hätte ich immer gewusst, dass es Flocken gab, aber erst als ich sie fallen sah, wusste ich, dass ich es wusste, dass ich der Flockenhund war, der Schneehund, der Kältehund, da wusste ich, dass ich früher mit meinesgleichen ins Wasser sprang und mit meinem weichen Maul Fische zu den Booten brachte, die aus den Netzen gefallen waren.

Ich mag die Wärme, aber ich bin für kaltes Wasser gemacht, geschützt durch mein Doppelfell, Labrador, wissen Sie, nach der nebeligen Halbinsel. Ich bin kein gelahrter Hund. Bin ein good boy. Das sagen sie auf Englisch. Ein paar Sachen weiß ich doch. Spreche nicht viel, verstehe aber mehr als die zwei denken. Als meine ersten Flocken fielen, war ich ein dreiviertel Jahr alt. Nichts konnte mich aufhalten, ich tobte in den Neuschnee hinein wie ein kleiner Schneesturm.

Jetzt gehe ich schwer, meine Gelenke schmerzen, ich bemühe mich, die zwei das nicht merken zu lassen. Meine Haut juckt, und ich schlecke die ganze Nacht an meinen Wunden. Beim Spazieren kommen wir an der Stelle vorbei, wo ich sommers wie winters immer in den Bach hinunter sprang, um im kalten Wasser zu baden. Jetzt tue ich, als sähe ich die steile Rinne nicht, die ich früher hinauf und hinunterlief wie ein Eichhörnchen. Ich tue, als übersähe ich sie, vielleicht übersehen die zwei dann, dass ich nicht mehr hinunter und schon gar nicht mehr hinaufkomme.

Jetzt spüre ich keine Schmerzen mehr. Alles verschwimmt. Gut, dass er mich im Arm hält. Wir werden miteinander einschlafen, wie früher auf der Couch. Der mit der weißen Hose steht auf und geht zu seinem Koffer. Der ist nicht wichtig. Der geht bald. Den habe ich schon vergessen. Wie meine Schmerzen. Ich mache die Augen zu.


Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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