Es ist wie eine Grippe. Ist Donald Trump schon über den Berg?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 207

Armin Thurnher
am 09.10.2020

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Teil 2 der gestern begonnenen Informationen des Virologen Robert Zangerle von der Meduni Innsbruck.

Heute zu Donald Trumps Chancen, zur Sterblichkeit bei Covid-19 im Vergleich zum Straßenverkehr, den der Epidemiologe Ioannidis aufstellte und ein Quantum Sarkasmus für eine populäre Wissenschaftsvermittlerin.

Am 6. Oktober sanktionierte Twitter einen Tweet von Donald Trump, weil er nach den Regeln von Twitter Irreführendes und möglicherweise Schädliches zu Covid-19 behauptete. Trump kehrte zu einem alten Vergleich zurück: die USA „learned to live with“ flu season, „just like we are learning to live with Covid, in most populations far less lethal!!!“. Faktenchecker der großen Tageszeitungen haben mit großem Aufwand versucht, diesem Narrativ wissenschaftlich Gesichertes entgegenzusetzen. Und ich muss gestehen, dass ich hier am 16. August zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gekommen bin – Es ist wie eine Grippe. Aber vielleicht meint „most populations“ in der Trump’schen Interpretation eines Pluralis Majestatis sich selbst, und er setzt sein biologisches Alter seinem mentalen Alter gleich. Dann allerdings macht der Vergleich gleich Sinn. Marc Bevand, ein IT Unternehmer aus den USA mit einem Faible für Daten und Forschung, hat aus einigen Studien die Sterblichkeit zwischen der saisonalen Grippe mit Covid-19 elegant veranschaulicht .

Quelle: https://github.com/mbevand/covid19-age-stratified-ifr#comparing-covid-19-to-seasonal-influenza

Und siehe da, Trump hat Recht behalten, bei Kindern ist die Sterblichkeit bei der Grippe eher höher als bei Covid-19, ganz sicher verhält es sich so bei Säuglingen und kleinen Kindern. Ab dem 30. Lebensjahr nimmt das Risiko der Sterblichkeit bis zum betagten Alter scheinbar linear zu und ist um ein Mehrfaches höher als bei der saisonalen Grippe der letzten Jahre. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine log-lineare Beziehung, weil die Y-Achse (Abszisse) eine logarithmische Skala aufweist. Durch die logarithmische Darstellung werden Zusammenhänge im Bereich der kleinen Werte besser überschaubar. Bei Thurnher und Zangerle, die sich zwar ebenfalls häufig kindisch benehmen, liegt das Risiko der Sterblichkeit bereits um 1 Prozent und höher.

Die gezeigte Grafik zu verwenden ist insofern zulässig, weil gerade eine viel beachtete Metaanalyse identische Resultate zeigt, aber ohne Grafik, auf der gleichzeitig die IFR (Infection Fatality Ratio) von Covid-19 und der saisonalen Grippe veranschaulicht wird. Ein internationales Team um den Epidemiologen Gideon Meyerowitz-Katz von der australischen University of Wollongong sammelte weltweit Daten zu Sterblichkeit aus über tausend Studien, von denen aber lediglich 111 bestimmte rigorose Qualitätskriterien erfüllten, wovon bei Anlegen noch strengerer Selektionskriterien nur noch 28 Studien übrig blieben (darunter aber alle, die am 16. August erwähnt wurden). Diese Studie beziffert die Infektionssterblichkeit für die USA mit 0,8 Prozent, allerdings unter der theoretischen Voraussetzung, dass die Infektionen sich so über alle Altersgruppen verteilen, wie es der demografischen Altersverteilung entspricht. In der Realität kann der Anteil von Jungen und Alten am Infektionsgeschehen jedoch erheblich schwanken. Diese Unterschiede in den Altersstrukturen erklären zu 90% die unterschiedlich gefundenen IFR in den verschiedenen Regionen der Welt.

Ein mahnendes Beispiel ist der Hype um den Epidemiologen John Ioannidis von der Stanford Universität. Schon im Frühjahr meldete er sich mit er maßlosen Übertreibung zu Wort, die Gefahr durch Covid-19 sei bei den meisten Menschen etwa so niedrig wie morgens auf dem Weg zur Arbeit an einem Verkehrsunfall zu versterben. Meyerowitz-Katz haben die Risiken miteinander verglichen. In jungen Jahren kann das von John Ioannidis Vorhergesagte zutreffen, aber ab einem Alter von 34 ist die Schätzung arg daneben. Urteilen sie selbst:

Ist Donald Trump tatsächlich über den Berg? Donald Trump hat außer Sauerstoff am Freitag und Samstag vier Therapeutika erhalten, die den Verlauf von Covid-19 günstig beeinflussen sollten: eine Kombination von zwei monoklonalen Antikörpern der Firma Regeneron (im Labor hergestellt, nicht aus Patientenplasma!), Remdesivir, Dexamethason und Famotidin (ein Magensäureblocker mit schwach immunmodulierenden Eigenschaften, ohne jeden Beleg für die Wirkung bei Covid-19). Als potentieller Gamechanger wird die Gabe der beiden monoklonalen Antikörper von der Firma Regeneron diskutiert. Bisher gibt es für diese Therapie jedoch keine gesicherten Erkenntnisse (Phase III Studie läuft noch) und daran kann ein Patient (n = 1!) rein gar nichts ändern. Kontrovers wird die Gabe von Dexamethason bei Präsident Trump diskutiert. Seine günstige Wirkung beschränkt sich auf schwere Verläufe, Sauerstofftherapie mit oder ohne mechanischer Beatmung, und findet sich eher bei unter 70-Jährigen und Patienten, deren Symptome länger als 7 Tage dauerten.

Wir wissen nicht, was bezüglich Dexamethason auf Donald Trump zutrifft, aber sein Schicksal entscheidet sich so oder so erst nach dem kommenden Wochenende. Und vergessen wir nicht das noch sehr wenig erforschte Long Covid.

Etwas noch zu den vielen Meldungen der letzten Tage: „Mehr Wissenschaftler*innen in den Medien sorgen nicht für mehr Aufklärung, sondern für mehr Verwirrung. Wir brauchen Qualitätskontrollen in der #Wisskomm, sonst steht Autorität/Popularität vor Expertise/Wahrhaftigkeit“, meint Dr. Mai Thi Nguyen-Kim. Ich verstehe den Wink mit dem Zaunpfahl. Es wartet eh viel HIV Arbeit bis Mitte Dezember, einstweilen Grüße von ein paar HIV Forschern  und von Gregg Gonsalves zur „neuen Strategie gegen die Pandemie“.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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