Kein Aussitzen. Kein Aussetzen. Herr Sobotka, es reicht!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 201

Armin Thurnher
am 03.10.2020

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Es gibt eine österreichische Seuche namens Sobotkismus. Wird man von ihr befallen, verliert man alle Maßstäbe, vergisst, wer man ist, was man getan hat und wird des Größenwahns feile Beute.

Man meint, man käme mit allem durch, weil politisch mächtige Freunderln einen schon nicht fallen lassen würden.

Man meint, man käme mit allem durch, weil durch reichen Geldsegen freundschaftlich gestimmte Medien einen schon nicht hart anfassen würden.

Man meint, man käme mit allem durch, weil man im Zweifelsfall auf die österreichische Untugend der Blitzamnesie setzen kann, die – von Hitler bis Strache – imstande ist, Dinge schwuppdiwupp wegzustecken, als wären sie nie geschehen.

Man meint, man käme mit allem durch, weil es in der österreichischen Öffentlichkeit spätestens seit Jörg Haider keine roten Linien für Frechheit mehr gibt.

Der erste und sichtbarste vom Sobotkismus befallene Patient heißt Wolfgang Sobotka. Er hat nicht verstanden, was er tut, oder er hofft, durch seine Simulation des Nichtverstehens auch die öffentliche Wahrnehmung so zu vernebeln, dass keiner kapiert, worum es in seinem Fall geht.

Worum geht es?

Wolfgang Sobotka hat sich nicht davon abhalten lassen, das Präsidium des Ibiza-Untersuchungsausschusses zu übernehmen. Dass die Partei, der er angehört und von der er leidenschaftlich keinen Millimeter abrückt, Gegenstand der Untersuchung ist, hat ihn keinen Deut geschert. Auch wenn ihn sein Amt als Nationalratspräsident zumindest der Realverfassung nach auf Äquidistanz zu allen Parteien verpflichten würde, hat er seine türkise Parteifreundschaft stets vorangestellt, sodass man ihn ungestraft den parteiischsten Nationalratspräsidenten der Zweiten Republik nennen kann.

Er hat also das Amt des Ausschussvorsitzenden übernommen und hat dieses Amt auf eine derart provokant parteiische Weise parteiisch und die Ermittlungen behindernd ausgeübt, wie es nicht einmal bei ihm selbst im Plenum des Nationalrats oft vorkam.

Als klar wurde, dass das von ihm gegründete und geleitete Alois-Mock-Institut in St. Pölten Geld vom Glücksspielkonzern Novomatic bekam, und er selbst als Auskunftsperson vor den Ausschuss musste, ließ er sich nur für diese Zeit als Präsident dieses Ausschusses vertreten. Er sei nicht befangen, denn er sei derjenige, der das zu beurteilen habe, und er müsse es ja wissen.

Er behauptete als Auskunftsperson Dinge, die schon, als er sie sagte, unwahr waren. Etwa als er die lächerliche Behauptung aufstellte, das Alois-Mock-Institut sei keine Vorfeldorganisation der ÖVP. Das sah diese Partei selbst bekanntlich anders.

Er wusste, dass Novomatic weit mehr als die besagten vier Inserate gespendet hatte, doch war das den fragenden Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, sodass sie nicht danach fragen konnten. Sobotka ließ sie im Dunkeln und hoffte wohl, es würde nie bekannt werden, dass es nicht um etwa 20.000 sondern um 108.000 Euro gegangen war. Soweit jetzt bekannt.

Auch der Niederösterreichische AAB, ein ÖVP-Bund, dem Sobotka vorsteht, bekam Geld von Novomatic. Und die niederösterreichische ÖVP. Und das Waidhofener Orchester, das Sobotka dirigiert. Von weiteren personellen Verbindungen und Verquickungen nicht zu reden, etwa davon, dass Sobotkas Pressesprecher nahtlos zu Novomatic wechselte.

Schon von Anfang an war klar gewesen: Juristisch genügt der Anschein der Befangenheit, er ist als Befangenheit zu werten. Das Alois-Mock-Institut machte Sobotka zum Befangenen. Er setzte sich willkürlich darüber hinweg. Nun wurde der Befangene zum Gefangenen seiner eigenen Willkür.

Er hat nicht verhindern können, dass seine Befangenheit mittlerweile faktisch erwiesen ist. Er hat mit seinem Verhalten dem Ansehen des Parlamentarismus und der Demokratie in Österreich verheerenden Schaden zugefügt. Er ist zur Galionsfigur jener stahlharten Klüngel-Politik geworden, welche die Regierung Kurz kompromisslos und schnauzenkühl durchzieht.

Es ist nicht die Eleganz der Verfassung, die unsere Demokratie prägt. Es ist die Art, wie ihr führendes Personal seine Rollen interpretiert. Nun entsteht der begründete Eindruck, dass die regierende türkise Clique im Verband mit Konzernen einander Jobs, Gelder und Gesetze zuschiebt. Wer versucht, das ausgerechnet aus der Position des leitenden Aufklärers durch freches Leugnen und Ausnützen aller Grauzonen – „wer befangen ist, bestimme ich“ – zu vertuschen, der muss sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Im Interesse der Demokratie.

„Reinstes Sobotkinesisch“ Screenshot der Homepage des Parlaments, 2.10. 2020

„Demokratie trifft und betrifft jeden Menschen. Wir müssen stetig daran arbeiten, sie zu stärken, auszubauen und auch für kommende Generationen als Basis unseres gesellschaftliches (sic!) Zusammenleben (sic!) aufrechtzuerhalten”, sagte Wolfgang Sobotka bei seiner Antrittsrede im Parlament. So stand es noch gestern in reinstem Sobotkinesisch auf der Homepage des Parlaments, als Dokument der Frechheit und der Schlamperei zugleich.

Da hilft kein Aussitzen. Da hilft kein Aussetzen. Der einzige Weg, die Demokratie zu stärken, ist Ihr Rücktritt von allen Ämtern, Herr Sobotka.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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