Nach 200 Seuchenkolumnen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 200

Armin Thurnher
am 02.10.2020

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Ich habe eine Beziehung zu Jahrestagen. Bin Jubiläumsfetischist. Das wurde ich, als der Falter noch keine Inserate bekam und wir bemerkten, dass er unter dem Vorwand eines Jubiläums welche bekam, weil sich sogar die schnödesten Absager und die kühlsten Abwimmler genierten, einem zum Geburtstag eine Absage zu erteilen. Mittlerweile hat die Möbelwerbung das Wort „Jubiläum“ zum Audioterror verwandelt. Man kann es nicht mehr hören. Mögen die dafür zuständigen Werber in der Hölle braten.

Meinen 70. Geburtstag gedachte ich mit zwei Büchern zu feiern, aber das Publikum verstand nicht, dass es sie kaufen sollte. Sie können das noch nachholen, es sind gute Bücher, aber ich bin nicht sicher, ob Sie das zum Jubiläum der Seuchenkolumne tun werden. Sicherheitshalber gibt es hier und hier die Möglichkeit, sie zu bestellen.

Zum 200er gibt mir niemand etwas, nicht einmal ein Buch. Das Profitmotiv entfällt zwar nicht ganz, aber Sie haben es soeben erfolgreich hinter sich gebracht und können unbesorgt weiterlesen. Jubelnummern des Falter sind es übrigens stets wert, gelesen zu werden, weil sich zu herausgehobenen Anlässen und Jahrestagen alle doch immer mehr zusammennehmen.

Jahrestage. Ein schönes Wort, auch der Titel eines großen Romans von Uwe Johnson, den keiner mehr liest. Die Kolumne hier wird gelesen, ab zu schaue ich die Statistik der Zugriffe an, um mich zu vergewissern. Damit hole ich mir die Motivation für Unpopuläres, für ein Gedicht, etwas über Sport oder Musik. Wir wollen die Zahlen nicht zu sehr nach oben treiben, wollen wir? Sonst müsste ich bloß Tag für Tag über jene Gestalten schreiben, deren Namen wir zur Feier des Tages draußen halten wollen.

Zur Magie der Zahlen kann ich wenig sagen, da kennen sich andere besser aus. Ich mag die Idee, zweihundert Tage ohne Pause durchgehalten zu haben, wenngleich mir Virologe Robert Zangerle mehrfach ausgeholfen hat. Ich habe nachgezählt, es waren bisher genau 19 Kolumnen, die er schrieb, sodass wir heute gar nicht Nummer 200 feiern. Wir tun es aber doch, weil es sich um eine Seuchenkolumne handelt, und zu dieser gehört das Wissen über die Pandemie, das er kompetent und sektenfern vermittelt. Es gab hier anfangs Zuschriften; ich war verblüfft, weil ich das in diesem Maß von meinen gedruckten Kolumnen nicht mehr kannte. Sie kommen noch immer und freuen mich, aber ich drucke sie nicht mehr. Kommt vielleicht wieder.

Es kann sein, dass ich mich verzählt habe. Gerade gestern gab ich der Kolumne die Nummer 198, dabei war es 199. Wie will einer ein Jubiläum feiern, der nicht zählen kann? Die Angst sitzt mir im Nacken, jemand aus der wachsenden Bevölkerungsschicht der Besserwisser wird nachzählen und mir vorzählen, dass ich mich verzählt habe.

Wenn Sie bis hierher durchgehalten haben, verdienen Sie, zu erfahren, warum ich das hier täglich tue. Ich fing damit an, als ich mich coronabedingt in die Halbisolation zurückzog. Ich wollte etwas Nützliches machen. Vermutlich versuche ich nur, mir zu beweisen, dass ich existiere, indem ich täglich aufstehe und diese Kolumne veröffentliche. Manchmal gelingt es mir sogar, jene dünne Selbstironie zu vermeiden, mit der man fast alles Publizierte heute umhüllen muss, um es zumutbar zu machen. Sie ist oft so fadenscheinig und löchrig, dass sie neuen Kleidern gleichkommt.

Im Ausnahmezustand ist nämlich nichts mehr mit Abwinken. Ich halte mich isoliert, da brauche ich nicht auch noch die Selbstimmunisierungskunststücke des zeitgemäßen Journalismus. Statt jene abzusichern, über die er berichtet, sichert er oft zuerst jene ab, die berichten, also sich selbst. Das weckt in mir die Lust, mich zu exponieren (vielleicht das Gegenteil von: mich zu exhibitionieren).

Hier muss ich nicht für jeden kritisierten Türkisen einen Sozi, für jeden Nazi einen Grünen durch den Kakao ziehen, damit ich als Gerechter fein heraußen bin. Hier muss ich auch niemanden veröffentlichen, der mich ankotzt, damit ich liberal und weltoffen erscheine. Ich bin dieser Weltoffenheit abhanden gekommen. Mit anderen Worten, ich pflege mit der Kolumne die Illusion, mich dem System Journalismus zu entziehen. Eine schöne Illusion: Ich wandle nicht mehr unter Facepalmen.

Zumindest hoffe ich, dass das so ist. Es gibt mir ein Gefühl schreiberischer Freiheit. Darauf war ich vom Anfang meines publizistischen Daseins an aus. Dass dieses Gefühl blitzartig mit Aufmerksamkeitsentzug bestraft wird, wenn ich nicht über Politik schreibe, ermuntert mich umso mehr, literarisch zu schreiben. Zumindest zu versuchen, gut zu schreiben.

Frei sein und das was man tut so gut zu tun, wie man es kann, darum geht es.

Vorgestern führte Wolfgang Machreich von der FH Salzburg mit mir ein langes Zoom-Gespräch über den Generationenkonflikt, das sich nur kurz mit dem Generationenkonflikt, dann aber mit vielen anderen in der Seuchenkolumne behandelten Themen befasste. Das tat wohl. Machreich war früher Journalist bei der Furche und erzählte mir, er sei bei Lesungen immer wieder gebeten worden, seinen Chefredakteur zu grüßen. Irgendwann habe er bemerkt, diese Leute verwechselten die Furche mit dem Falter und ließen in Wirklichkeit mich grüßen, was er mir nun etwas verspätet ausrichtete.

Übrigens unterlag auch meine Frau der gleichen Verwechslung, als wir uns kennenlernten, ließ sich aber nicht abschrecken, als ihr die harte Wahrheit klar wurde. Wir sind schon 30 Jahre zusammen. Ich wollte, ich hätte seit damals jeden Tag eine Kolumne geschrieben.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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