Gernot Blümel, der oberschlaue Zensor, und seine schlauen Verteidiger

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 196

Armin Thurnher
am 28.09.2020

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Es gibt Peinlichkeiten, die sind so peinlich, dass sich selbst die entschlossensten Ideologen schwertun, sie zu verteidigen. Gernot Blümels dreister Versuch, eine Zensuraktion der von ihm geführten Wiener Volkspartei Partei zu rechtfertigen, muss nun seinerseits gerechtfertigt werden. Die ÖVP hatte auf ihrer Facebookseite zu Statements eingeladen, und Robert Menasse hatte sich nicht bitten lassen.

Der Schriftsteller, empört über Blümels plakatierten Slogan, er wolle Wien „wieder nach vorne bringen“, postete dort folgendes:

Lieber Gernot Blümel,

was meinen Sie mit „Wien wieder nach vorne zu bringen“? Was ist „vorne“? Wo ist dieses „vorne“? Wieso „wieder“? Das bezieht sich offenbar auf die Geschichte der Stadt – wann war Ihrer Meinung nach Wien „vorne“, und daran müsse man nun „wieder“ anschließen? Meinen Sie Zeit VOR dem roten Wien, als die Stadt einen antisemitischen Bürgermeister halle, von dem Hitler lernte? Können Sie sich bitte konkret ausdrücken? Ich möchte Sie an Folgendes erinnern: So gut wie alles, was Wien heute so lebenswert macht und international bewundert und von den Wienern geliebt wird, hätte es mit Christdemokratischer bzw. ÖVP-Regierung nicht gegeben: Gemeindebauten, sozialer Wohnbau (und dadurch immer noch einigermaßen leistbares Wohnen), denn Christdemokraten haben nie gezeigt, dass sie in Wien bauen können oder wollen, sie haben nur gezeigt, dass sie in Gemeindebauten hineinschießen, weiters: es gäbe keine Fußgängerzonen (ich erinnere mich, wie die ÖVP schon gegen die erste Fußgängerzone, am Graben, mobilisiert hat), es gäbe keine U-Bahn (ich erinnere mich, wie die ÖVP gestänkert hat, dass mit der U1 jetzt Proleten in 10 Minuten in die City kommen können…), es gäbe keine Donauinsel (ich erinnere mich, wie die ÖVP dagegen mobilisiert hat, zum Glück hilflos!), es gäbe keine UNO-City und kein Konferenz-Zentrum (die ÖVP hat ein Volksbegehren gegen Wien als Internationale Metropole gestartet), und es gäbe keine Stadterneuerung (die ÖVP wollte, dass Hauseigentümer abreißen und demolieren können, wenn es Spekulantenprofit verspricht), und und und und – und Sie, Herr Blümel, wagen es, Wien schlecht zu machen und glauben im Ernst, dafür gewählt zu werden? Sie, als Vertreter einer Partei, die, zum Glück erfolglos, die Entwicklung Wiens zu einer lebenswerten und bunten Metropole bekämpft hat, wollen Wien in ein „vorne“ bringen, das Sie selbst nicht genauer definieren können, das aber nach allen Erfahrungen mit Ihrer Partei näher beim Mittelalter ist als bei den Bedürfnissen der Zeitgenossen. Als Finanzminister wurden Sie auffällig als einer, der sechs Nullen vergisst. Dann waren Sie nicht imstande, ein EU -Formular korrekt auszufüllen. Ich empfehle Ihnen zu schweigen.

Robert Menasse

Daran ist das eine oder andere faktisch nicht richtig (die Austrofaschisten bauten sehr wohl, nicht immer mit nachhaltigem Erfolg, etwa die Reichsbrücke oder die Höhenstraße, allerdinge wenig Soziales). Manches ist polemisch (die ÖVP war unter Erhard Busek nicht nur reaktionär), aber nicht ganz unverständlich (Blümels ÖVP hat mit Busek so wenig am Hut wie mit Menasse). Insgesamt hat Menasse aber mit Fragen, Empörung und Empfehlung Recht. Statt zu antworten oder es zu kommentieren, entfernte die Blümel-ÖVP Menasses Statement.

In der ORF-Pressestunde gestern rechtfertigte Blümel die Tilgung dieses Textes mit der Ausrede, Menasse habe gegen „Foren-Regeln“ verstoßen, indem er NS-Diktion verwendet und ihm, Blümel, vorgeworfen habe, die ÖVP wolle „an die schlimmste Zeit in der Geschichte Österreichs“ anknüpfen. Blümel wurde kaum zur Rede gestellt. Nur in den sozialen Medien regte sich Unmut.

Der Mann, der sich an seinen Laptop nicht erinnern konnte

Foto © ORF

Blümels Reaktion offenbart einerseits den bösen Willen zu Praktiken von Trump’schem Format, indem man einfach lügt, dass sich die Balken biegen und hofft, damit durchzukommen. Andererseits eine historische Schlichtheit, die man nicht einmal einem gewesenen Kulturminister der ÖVP zugetraut hätte. Lueger war Antisemit, aber er hat auch seine politischen Meriten (er verstaatlichte Daseinsvorsorgeunternehmen), und die „schlimmste Zeit in der Geschichte Österreichs“, als er Bürgermeister war, 1897-1910, war die Blütezeit der Wiener Moderne.

Gab es nach Zensur und Begründungsprovokation einen Blümel-Skandal? Nein. Die Interviewer ließen ihn damit durchkommen, andere fanden, die Verteidigung Blümels sei „nicht besonders intelligent“ (Armin Wolf), „nicht gerade schlau“ (Rainer Nowak) oder „unelegant“ (Anna Wallner). Der Kurier konzentrierte sich darauf, Menasse historische Unrichtigkeiten zu bescheinigen. Er werfe sich in „die sattsam bekannte Pose (…): hier Fortschritt, Weltoffenheit und humanistisches Ethos, dort provinzielle Rückständigkeit und moralische Verwerflichkeit. Das helle Wien gegen Dunkelwien sozusagen. Dies von einem der prononciertesten Vertreter jenes Milieus, das allerorten Hass und Spaltung ortet – und Äußerungen Andersdenkender mit dem Verdikt ,Fake News‘ wütend bekämpft.“

Das ist perfid: der Schuldumkehrer und Provokateur Blümel wird vom türkisen Herzblatt mit der erneuten Schuldumkehr verteidigt, es sei Menasse, der Hass und Wut schüre.

Insgesamt hat Menasse mit seiner Intervention die Wiener ÖVP zur Kenntlichkeit entstellt. Presse-Chefredakteur Rainer Nowak, angesichts dieses Debakels verzweifelt um Ironie ringend: „Menasses Aktion im Stil der frühen 2000er Jahre hat funktioniert. Ich denke eine Donnerstagdemo ist das mindeste, um gegen diese Orbanisierung von Facebook durch die Türkisen vorzugehen.“

Nützt alles nichts. Vorgestriger und zugleich hyperaktueller als Blümel kann man gar nicht agieren. Natürlich haben er und seine Message-Boys das absichtlich gemacht, und auch die dummfreche Vorwärtsverteidigung ihrer Rückwärtszensur, ausgerechnet Menasse NS-Nähe  („ich weiß schon, dass er es nicht so meint“, sagte Blümel grinsend in der Pressestunde), also unwissentliche Nähe zu NS-Gedankengut zu attestieren, ist mehr als eine Unverschämtheit. Es ist Kalkül.

Ein Ex-Kulturminister entzieht in feudaler Manier einem Schriftsteller von europäischem Rang das Forum und maßt sich an, seinen Text zu streichen. Rechtlich unproblematisch, und doch ein exemplarischer Akt, der samt der zu ihm gehörigen Begründung zeigt, dass diese neurechte Politik auf Kulturverachtung und Tatsachenverdrehung beruht. Doppelt exemplarisch wird er dadurch, dass die traditionelle Öffentlichkeit ihn fast durchgehend verharmlost, ironisiert und herunterspielt. Gute Nacht, österreichisches Bürgertum, wherever you are.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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