Holz schlichten. Streit schlichten. Unter Schlichten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 193

Armin Thurnher
am 25.09.2020

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Als Herr T. eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem Antisemiten verwandelt. Manchmal wache ich auf und denke, es muss etwas passiert sein, über das ich schreiben kann. Und manchmal denke ich, dass ich über das, was mir einfällt, garantiert nicht schreiben kann. Was hatte ich getan? Ich hatte eine Nahostbeobachtungsorganisation „jüdisch“ genannt. Ich werde, dachte ich, eine Nahostbeobachtungsorganisationsbeobachtungsorganisation gründen, die durch und durch nahostbeobachtungsorganisationssolidarisch ist. Das ist das mindeste, was ich tun kann, ehe ich nahostbeobachtungsorganisationsbedingt verstumme.

Man hat ein Problem, wenn man ein Problem hat, Jüdinnen und Juden „jüdisch“ zu nennen, weil dem gelernten Österreicher und der gelernten Österreicherin dann offenbar gleich so etwas wie ein pejoratives Hoppala dazwischen kommt. Man wird daran erinnert, wie der gern des Antisemitismus bezichtigte Jude Karl Kraus den Gebrauch des Worts „hinten“ erklärt hat: „Der Österreicher fühlt sich beim Wort ,hinten‘ so sehr ertappt, daß er die größten sprachlogischen Opfer bringt, um es zu vermeiden.“ So kommt es zu Formulierungen wie „unsere jüdischen Mitbürger“ und dergleichen halbverlegenen Fein- und Feigheiten.

Ich irrte: naturgemäß ist eine Organisation nicht jüdisch, bloß weil sie projüdisch ist oder einige ihrer Mitglieder jüdisch sind oder beides. Man hätte das mit einem freundlichen Hinweis korrigieren können, wie das auch sonst bei Fehlern geschieht, die ich nicht gerne, aber häufig mache. Ich bedanke mich dann und korrigiere mich.

Nix da. Eine Meute von Besserwisserinnen biss sich pronto auf Twitter an mir fest. Ich hatte in einem Artikel über Twitter erwähnt, dass sie mir vor ein paar Monaten, weil ich Noam Chomsky zustimmend zitiert hatte, Holocaustversteherverständnis vorwarfen. Nun galt es, mich erneut des Antisemitismus zu überführen. Mich mit Karl Lueger gleichzusetzen, war ein Leichtes, denn wer jüdisch ist, bestimme ab jetzt ja ich. Ein anderer digitaler Kiebitz, bekannt für seine steife neoliberale Oberlippe, machte aus mir einen neuen Jörg Haider, weil ich meinen Fehler „mit dem Ausdruck des Bedauerns“ zurückzog. Er fantasierte, ich hätte auf den seligen Jörgl angespielt und gesagt: „meinetwegen entschuldige ich mich.“ Ich entschuldigte mich aber nicht „meinetwegen“, ich drückte mein Bedauern über meinen Fehler aus. Steiflippe überführte mich seines Ressentiments (der Witz ist von Kraus).

Noch einmal: mein Fehler bestand darin, statt „pro-jüdisch“ oder vielleicht korrekt „Israel-solidarisch“ einfach „jüdisch“ gesagt zu haben. Da fanden die Damen und Herren von der und um die Thurnherbeobachtungsorganisation wieder eine Gelegenheit, loszulegen. Noch immer verfolgt sie mein Chomsky-Zitat von damals, und so müssen sie mich verfolgen für jetzt und alle Zeit. Ich hatte Chomskys ausführlich begründetes Urteil wiedergegeben, die US-Republikaner seien die gefährlichste Organisation der Weltgeschichte, weil sie nämlich mit ihrer Klimapolitik das Schicksal nicht nur der Bevölkerung der USA, sondern das der ganzen Welt aufs Spiel setzen.

Das war im Juli. Dazwischen hatte ich es fast schon wieder vergessen. Aber auch Vergessen kann ein aggressiver Akt sein, was eine Twitterantin so ausdrückte: „Das Einbringen der – vermeintlichen – Religion in dieser von Thurnher seit Juli obsessiv und aggressiv geführten Fehde hat einen extrem problematischen Beigeschmack. (Übrigens sind Herausgeber, wissenschaftlicher Leiter und CR von mena-watch ziemlich sicher nicht ,jüdisch‘)”.

Obsessiv und aggressiv geführte Fehde ist gut. Das ist ziemlich sicher so, als würde man den Verzehr einer Wurstsemmel als obsessiv und aggressiv geführte Fehde gegen das Tierreich auslegen. Kann man machen. Es ist halt ziemlich sicher lächerlich, wenn ein paar Leute die Gelegenheit nützen möchten, alte Rechnungen mit mir zu begleichen oder neue aufzumachen, für Bestellungen, die ich nicht getätigt habe. Mit vermeintlicher Religion oder „Religion“ hat das nichts zu tun. Ziemlich sicher.

Der Artikel, der das anrichtete, beschrieb genau jene Mechanismen, die er auslöste. Dabei hatte er versucht, statt sie aufzurühren und zu schüren, sich ihnen sanft und vorsichtig zu entziehen. Entschlossenheit zur Verbissenheit lässt jedoch nicht mit sich handeln, da hilft es weder, einen Fehler einzubekennen (habe ich gemacht) noch auch ihn bedauernd zu korrigieren (habe ich auch gemacht).

Ich ging dann hinaus und schlichtete ein lecker Stößchen Brennholz auf, drei Festmeter trockener Buche (drei weitere warten noch unter einer Plane, die sie vor dem Regen schützt). Holzschlichten erspart die Lektüre von Heidegger und von Twitter. Es beansprucht den Rücken und den Verstand, nicht sehr, aber doch. Es ist hinreichend handwerklich und technikfern. Man muss die Scheiter so aufeinanderlegen, dass der Holzstoß stehenbleibt. Damit er nicht umfällt, muss man ihn seitlich gut stützen und ordentlich unterlegen. Das ist umso schwieriger, je kürzer die Scheiter sind; wir haben sie in 25 cm, 33 cm und 50 cm Länge.

Die Freunde von Mena-Watch, die sogenannten Menaden, mögen mich in Ruhe lassen. Vielleicht schreiben sie Noam Chomsky einen Brief. Er wird ihnen gewiss antworten und ihre Besorgnisse zerstreuen. Ich habe noch drei Meter vor mir. Holz kann ich, Streit auf Twitter kann niemand schlichten.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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