Was Twitter aus einem machen kann

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 192

Armin Thurnher
am 24.09.2020

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Der Medientheoretiker Norbert Bolz produziert sich auf Twitter als Aphoristiker. Bolz hat eine interessante Entwicklung hinter sich; vom linken Medienstartheoretiker (oder hielt nur ich in der Wiener Provinz ihn für einen solchen?) zum Apologeten der Rechten. Von Medien hat er eine Ahnung, wer möchte das bestreiten. Das sieht man an seiner Wahl der Form, und daran, dass er konsequent dabei bleibt. Twitter ist wie gemacht für Aphorismen. Bolz wäre ein Gegner, wie man ihn sich wünschen würde. Wenigstens kein Trottel.

In einer Medienbeilage des Falter zitierte ich ihn so: „Sein Befund: ,In der von den Massenmedien formatierten Öffentlichkeit ist Kritik durch Moralisierung ersetzt worden: Zwischen den Polen Lob und Tadel wird das Nachdenken eingespart, in Feuilletons und Talkshows wird längst nicht mehr diskutiert, sondern nur noch emotionalisiert‘ (Theorie der neuen Medien, 1990) wird am liebsten von denen geteilt, sie selber emotionalisieren. Bolz ist eine Medienperson, aber seine Beiträge sind meist mehr als bloße Provokationen.“

Seine Medientheorie vom massenmedialisierten Menschen als naturzerstörendes, entropisches Wesen ist tief pessimistisch. Bei Michael Fleischhackers Talk im Hangar traf ich ihn einmal, verwundert, dass man solche Sätze sagen und dann doch Talkshows besuchen kann. Der Smalltalk mit ihm war angenehm. Je länger ich ihn auf Twitter beobachte, desto mehr schmerzt mich seine Entwicklung zum rechten Reflexapologeten.

Ich frage mich: ist es das, was Twitter aus einem macht? Obacht aufs eigene Maul! Mein Beitritt zu Twitter, Beweis meiner Entropie als Menschenwesen. Vielleicht hat das Hochschul-Milieu Bolz dazu getrieben, Sachen wie kürzlich „Die Corona-Maske ist ein gutes Symbol für das Zum-Schweigen-Bringen in unserer Cancel Culture“ oder „Wir dürfen uns sicher auf die Sendung ,Hitler und sein CO2-Ausstoß‘ freuen“ auszustoßen? Meine Antwort bestand in einem Aphorismus, ich weiß nicht mehr ob ich ihn überhaupt getwittert habe. Er lautete: „Wer ,Klimanazi‘ für den Inbegriff des Bösen hält, sollte einmal über das Verdikt ,Wahrheitsdandy‘ nachdenken“. So oder so konnte ich nicht umhin anzuerkennen, dass Aphorismen auf Twitter gut gehen.

Foto APA © Patrick Seeger

Rechte Hetzer beeindrucken nicht durch den Versuch, geistvoll zu erschienen, sondern meist durch Mut zum Stumpfsinn. Ich bin noch nicht so weit vorgedrungen, dass sie mir in Scharen zusetzen. Lediglich eine Organisation* machte mich einmal im Handumdrehen zum Holocaustleugnerversteher (nicht ganz zum Holocaustleugner, aber sie hielten erst knapp davor inne), weil ich zustimmend Noam Chomsky zitiert hatte. Wenn man nicht submittiert oder schweigt, beginnt ein munteres Treiben, bei dem ein gewisses linkes Milieu (diesem gehörten meine Verfolger angeblich an) erst zufrieden ist, wenn es einem den Beweis abgerungen hat, dass man nicht zu ihm gehört. Linke Verblendung je schon: durch Ausschluss wird man stark. Und wenn man nicht zu ihnen gehört, gehört man gar nicht zu ihnen. Dann ist man ein Rechter. Ist es Bolz so ergangen? Bei Rechten wiederum habe ich das Gefühl, die setzen auf Zulauf, egal, wer zuläuft, und schlügen Gegnern der Einfachheit halber lieber den Schädel ein.

Lisa Eckhart haben die Linken auch gut hergerichtet; ihr Name dient mittlerweile als Trigger für Rechtsphobien. Tough wie sie ist, lässt sie nicht nach, und recht hat sie. Durch Nachlassen hat man noch kaum wen besänftigt. Durch Dagegenhalten ebenfalls nicht. Die Lust an der Unversöhnlichkeit ist allgegenwärtig, aber keineswegs neu. Wenn sie könnten, würden sie Schierlingsbecher austeilen. Und lasst uns nicht vergessen, dass Sokrates, das lästige Schandmaul, ihnen so auf die Nerven ging, dass er sie provozierte, das Schlimmste in sich hervorzukehren: er machte seine Gegner zu seinen Mördern. Ein wenig erinnert er mich an den beleidigten Knaben, dem im Winter die Finger erfroren. „Selber Schuld, der Vater, hätte er mir dickere Handschuhe gegeben.“

Wider alle Evidenz spüre ich eine gewisse Zuversicht. Schon als Junger hielt ich Generationskonflikte für Schwachsinn; mit meinem Vater hatte ich eine unproblematische Beziehung, er war allerdings weder ein alter Nazi, noch ein autoritärer Problembär und ließ mich liebevoll in Ruhe. Mit einer Toleranz, die ich heute, da ich sie voll erfasse, nicht zu ergründen vermag. Ich erfüllte nichts, was er sich vielleicht von mir erwartet hatte, und doch begegnete er jeder meiner Wendungen und Windungen mit freundlichem Interesse. Anders als ich, der ihn vom Kapitalismus abbringen wollte. Er war ein Konservativer, wahrscheinlich das Idealbild eines Christlichsozialen, so korrekt, dass er sich weigerte, wie alle Verwandten in der Schweiz einzukaufen, und noch mehr, wie sie das Eingekaufte zu schmuggeln. Dabei nicht bigott.

Warum mir das einfällt? Wegen des Generationenkonflikts, der Teil eines Ausschlussverfahrens sein kann, und weil sie glauben, mich als Schlimmsten zu beleidigen, wenn sie mir mein Alter ankreiden. Es ist natürlich bitter, alt zu sein, die Freunde rings verwelken oder sterben zu sehen. In den Augen der Frauen keine Fünkchen mehr aufleuchten zu lassen, allenfalls ein mildes, körperloses Interesse. Viel Verlust, wenig Gewinn. Ageismus ist das letzte Reservat, wo der Gutmensch die Sau rauslassen darf; Rechte haben sowieso keinen Genierer.

Ein jüngerer Freund, auch schon grau um den Kinnbart, gab mir Ratschläge, die er wie alle brutalen Ratschläger vorzieht selbst nicht zu befolgen. Hände weg von Twitter, zum Beispiel. Ein Zeitdieb, ein Suchtmacher! Bringt das Schlechteste im Menschen hervor. Und dann diese alten Säcke, die über nichts anderes mehr zu schreiben wissen, als darüber, wie es ihnen schlecht auf Twitter geht. Mach es nicht, warnte er. Zu spät. Aber ich räche mich an ihm und an Twitter. Schmuggle kleine Gedichte hinein, verweigere der halluzinierten Blase das anbiedernde Duwort. Verstecke mich hinter meiner dritten Person. Erfand ein Büro samt Personal. Kindisch, wie alte Leute eben sind. Migrierte vollends aus meiner analogen Existenz und fing kurz nach dem Ausbruch der Seuche an, diese Kolumne zu schreiben. Darüber hier immer wieder mehr.

*das ursprünglich hier stehende Wort „jüdisch“ wurde gestrichen, weil die Organisation Mena es zum Anlass nahm, mich erneut zum Antisemiten zu stilisieren: diesmal verglichen sie mich mit Karl Lueger und bestätigten damit glänzend mein Argument.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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