Himbeermarmelade und Herzensdemokraten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 187

Armin Thurnher
am 19.09.2020

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„Kontrollierter Frohsinn“ – deutsche Aussichten auf den Karneval unter Coronabedingungen. Gestern gehört im ZDF-heutejournal. Kontrollierter Frohsinn, das ist Deutschland in einer Nussschale. Unkontrollierbarer Unsinn – Österreich?


Man hört zu wenig über das Marmeladekochen. Ich zum Beispiel habe heuer schon mehr als ein Dutzend Gläser Himbeeren eingekocht. Klingt nach wenig, ist auch nicht viel. Die Himbeersorte Autumn Bliss trägt gut, aber meine Frau ist eine starke Konkurrenz. Ich bin der Sammler, sie die Jägerin. Naschkatze. Autumn Bliss hat den Vorteil der späten Blüte, der Himbeerblütenstecher und die Spinnmilbe sind schon geflogen, wenn sie blüht, das heißt, die Früchte dieser Sorte sind wurmfrei. Einladung für Naschkatzen, Problem für Sammler. Zu Ostern nächsten Jahres, wenn für die Pinze keine eigene Marmelade da ist, tut es ihr leid. Das Rezept ist einfach: Fünf Teile Himbeeren, vier Teile Zucker, pro halbes Kilogramm Früchte den Saft einer halben Zitrone. Kein Gelierzucker! Unter vorsichtigem Rühren aufkochen, dann etwa acht bis zehn Minuten leise sprudelnd weiterkochen, dabei zart rühren und abschäumen. Gelierprobe machen: wenn auf einem Teller ein Tropfen zu gelieren beginnt, ist es soweit. In saubere Schraubgläser (vorher auskochen) einfüllen, Gläser etwa eine Stunde lang auf den Kopf stellen. Das offenbar vergriffene Buch von Christine Ferber, aus dem das Rezept stammt, heißt nicht zu Unrecht „Die Marmeladenbibel“. Je länger Sie die Marmelade kochen, desto fester wird sie, desto mehr leidet aber der Fruchtgeschmack. Es ist wie bei der Coronapolitik: man muss die richtige Balance zwischen zu fest und zu flüssig finden. Erfahrung und Gefühl helfen.

Politduellzeit heißt Filzmaierzeit. Vor der Wienwahl treiben sie die Kandidierenden jetzt täglich zu Paaren. Professor Peter Filzmaier: größtmögliche Ausdruckslosigkeit bei höchstmöglichem Tempo. Dabei sagt er kluge Sachen, oft auch witzige. Man müsste das Experiment machen, Filzmaier im ORF zum Umsturz auffordern zu lassen, zum bewaffneten Aufstand, zu Lynchjustiz, Plünderung und Brandstiftung. Ich wette, es würde nichts geschehen. Das macht der Kult der Sachlichkeit, diese Faktenhuberei, die alles hasst, was nach Soft Power riecht. Mimesis an die Maschine. Filzmaiers Sportkenntnisse schlagen die jedes ORF-Moderators um Längen, und hier kann das Volk (ich) auch mitdenken, mithalten, seine Kenntnisse würdigen. F. als Sportkommentator, das wäre ein Quantensprung für den ORF. Vielleicht dafür Polzer in die Politik? Der unaussprechlichen Alliteration wegen?


Dass das SARS Cov-19 Virus der medizinischen Wissenschaft Schwierigkeiten macht, verstehe ich. Es ist neu, außerdem verändert es sich. Da muss es zu Ungenauigkeiten und Unschärfen kommen. Aber die Ökonomie? Man hört von wirtschaftlichen Kollateralschäden; kürzlich hieß es in den Nachrichten, das prognostizierte Bruttoinlandsprodukt werde weniger stark schrumpfen als angenommen, in China rechne man schon wieder mit Wachstum statt Schrumpfen. Und morgen kann es anders kommen. Wie gesagt, beim Virus verstehe ich Unschärfen (den monumentalen Pallawatsch bei der Kommunikation nicht). Aber in der Wirtschaft? Gibt es nur Prognosen, keine Ergebnisse? Tagesaktuelle Ergebnisse, mindestens monats- oder quartalsaktuelle? Warum können wir die nicht erfahren, warum muss immer nur von „monumentalen Schäden an der Volkswirtschaft“ geredet werden? Am liebsten von den präzisionsversessensten Medizinkritikern?


Der Kommunikations-Pallawatsch. Besonders auffällig ist neben der fortdauernden Offensive gegen Wien das kommunikative Versagen der Bundesregierung. Das virologische Quartett, angeführt von Laborchef Dr. Kurz, riskiert ein Ampel-Kommunikationsdesaster, nur um dem Grünen Apotheker Anschober den Schwarzen Peter umzuhängen und Wien in die Rote Ampelecke zu stellen? Oder beginnt die eisenharte türkise Message Control unter dem Ansturm des Virus zu schwächeln? Jeder von uns kennt eine Kanzlerin, die es besser konnte als der Kanzler ohne Milde. Hat er das mit einberechnet?


Dass die Sendung BussiFussi auf Youtube dahinwest, dass die Privatsender Puls 4 oder Puls24 , wo sie ursprünglich lief, nicht bereit sind, sie weiterhin zu senden, ist eine Affenschande und zeigt, was das Gerede von „Level-Playing-Field“ und „Alternative zum ORF“ wert ist. Rudi Fußi ist regierungskritisch. Deswegen findet er keinen Sender. Fußi sorgt für unkontrollierbaren Frohsinn. Das macht seinen Reiz aus. Wenn seine Sendung keinen Sender findet, und zwar offenbar nicht, weil sie schlecht ist (sie ist frech, witzig, volkstümlich und gescheit) , sondern WEIL ES DEM KANZLER NICHT GEFALLEN KÖNNTE – dann ist das nichts anderes als Zensur. Das kann der Kanzler nicht wollen, er ist ja ein Herzensdemokrat. Also muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk helfend einspringen und Rudi Fußi und seinem Team einen geeigneten Sendeplatz zur Verfügung stellen. Wegen kontrollierter demokratischer Perspektive. Danke für Ihre Aufmerksamkeit, Herr Wrabetz.


Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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