Narzissmusdusche und Bedeutungseisbad. Über Coronakommunikation

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 185

Armin Thurnher
am 17.09.2020

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Corona und der Staat ist das Thema einer Beilage, die demnächst im Falter erscheinen wird. Eine dieser mit der Arbeiterkammer gemeinsam herausgegebenen Beilagen, die sich in vertiefender Absicht mit einem Thema auseinandersetzen. Ich schrieb dafür den Einleitungsessay und bemühte mich um eine umfassende Perspektive, wie es das Thema nahelegt, und nicht um eine Abrechnung mit hiesigen Akteuren.

Es wird Sie kaum überraschen, dass Pauschalurteile nicht möglich sind. Autoritär regierte Staaten schnitten beim Kampf gegen die Pandemie glänzend ab (China) oder gar nicht glänzend (Russland). Demokratien mit einigermaßen intaktem Sozialstaat und politischem Personal, das ihn schätzt (Deutschland) waren erfolgreicher als Staaten, deren Führer libertären Flausen anhängen (England) oder die ihr Land an den Rand der Autokratie bringen (Brasilien, Indien, USA).

Ein interessantes Zitat fand ich bei Francis Fukuyama, dem US-amerikanischen Historiker, der mit seinem Wort vom „Ende der Geschichte“ berühmt wurde. Der durchaus neoliberal hartgesottene Fukuyama plädiert in einem Text im Magazin Foreign Affairs für den Staat und schreibt: „Erfolgreiche Regierungen reagierten früh und wachsam, mit weit verbreiteten Tests und Kontaktverfolgung, sie kommunizierten mit ihrer Öffentlichkeit auf transparente, koordinierte Weise und stellten dabei Angehörige von Gesundheitsberufen in den Vordergrund.“

Das virologische Quartett

Foto APA © Helmut Fohringer

Er kennt nicht unser virologisches Quartett, das seine Aufmärsche vor Livestream-Kameras von Pressekonferenzen filmreif einstudiert hat. Dass bei uns medizinisches Personal in den Vordergrund gestellt wurde, kann man wirklich nicht sagen. In der öffentlichen Mischung aus Politik, Public Health und Epidemiologie dominiert die Geschmacksnote politischer Augenblicksprofit. Transparenz, Aufklärung und Information leiden darunter.

Der gestrige Auftritt des Public Health-Experten Martin Sprenger in der ZiB2 war in seiner Aussageschwäche fast gespenstisch und sicher weder die Schuld des Interviewers noch komplett des Interviewten. Sprenger hat zuvor schon interessante Sachen gesagt. Gestern sagte er keine. Armin Wolf wiederum nahm das ihm von Sprenger hingeworfene Hölzchen nicht auf, das da lautete, die Ampel sei schon im April fertig gewesen, „aber da war die Message Control dagegen“. Nicht anzunehmen, dass er es überhörte, aber er wollte diese Abzweigung vermeiden, die in Bezug auf die pandemische Information wenig, in Bezug auf Seuchenpolitik einiges gebracht hätte.

Das Virus tut, was krisenhafte Erscheinungen immer tun. Es befördert jenen Zustand, in dem Alternativen unentscheidbar scheinen, aber doch entschieden werden müssen. Ausnahmezustand eben. Aufgeregte Zuspitzung und nicht leidenschaftsloses Abwägen. Wie auch, im Angesicht einer Krankheit, deren Folgen noch immer erforscht werden. Einer Krankheit, deren Virus eben völlig neu ist.

Auf transparente Weise zu kommunizieren haben wir nicht gelernt und wir verlernen es durch unsere öffentliche Übung immer weiter. Wir stellen Experten in eine Arena und bringen sofort diesen leidenschaftlich aufbegehrenden Ton hinein, mit dem unterdrückte Minderheiten verzweifelt auf ihr Recht gegen eine fette Mehrheit pochen, die sie ihnen nimmt. Sofort antwortet ihm der leidenschaftlich abschätzige Ton, der alles mit einer verächtlichen Geste abtut. Nur dass beide Töne Publizisten nicht gut anstehen.

Öffentliche Äußerungen gehören nicht zum Handwerkszeug von Technikern, Medizinern und anderen. Sie geraten in eine Kommunikationsarena, nicht auf Diskurs abstellt. Es geht um Aufmerksamkeit. Um sie konkurrieren nicht mehr nur Medien, sondern prinzipiell alle, dazu instand gesetzt durch Social Media: scheinbar instand gesetzt, sollte man eher sagen.

Social Media befeuern und belohnen agonales, also wetteiferndes Verhalten. Das Resultat ist ein immer anschwellendes aggressives Gemurre, in dem es schwer ist, sachlich zu bleiben und Haltung zu bewahren und Dialoge zu führen. Aufmerksamkeit ist Macht, um sie kämpfen alle. Ringzwang und Bezwingzwang. Anschließend Narzissmusdusche und Bedeutungseisbad. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wirken in all dem oft verloren. In ihren eigenen Öffentlichkeiten und Publikationen fühlen sie sich sicher, aber dort bleiben sie dem allgemeinen Publikum verborgen. Wissenschaftsjournalisten müssten vermitteln. Sie sind rar, obwohl es Qualitätsmedien ohne sie nicht geben dürfte. Skepsis ist Aufmerksamkeitsgift.

Diese Kolumne hier versucht, sich den beschriebenen Mechanismen zwar zu entziehen, weiß aber, dass das unmöglich ist und versucht deswegen, wenigstens die Umstände unserer Krisenkommunikation präsent zu halten und mitzureflektieren. Ich glaube, das ist es, was Robert Zangerle von der Uni Innsbruck dazu motiviert hat, hier mitzuschreiben.

Er ist vier Jahre jünger als ich, aber auch schon emeritierter Universitätsprofessor der Virologie, Dermatologie und Venerologie, ein venerabler Gesprächspartner also. Zangerles Information über die Pandemie hauen nicht auf den Tisch, sie bringen informierte Einschätzungen von Experten, mit denen er vernetzt ist und über deren Erkenntnisse, Studien Fragen und Antworten er berichtet. Wer mag, kann sich daran orientieren. Es ist kein Kontrastprogramm zu den offiziellen Darbietungen, es sind Hintergrundinformationen, die einen in den Stand setzen können, sich womöglich selber ein Urteil zu bilden. Für mich ist es lehrreich, zu sehen, wie selbstkritisch und skeptisch hier einer vorgeht, der aufgrund jahrzehntelanger Arbeit über HIV von der Sache wirklich eine Ahnung hat.

Unsere Beziehung ist lustig. Wir sind beide Vorarlberger, ich unterrichtete, wie wir entdeckten, als jugendlicher Hilfsschilehrer in der Skischule des Cousins seines Vaters. Wir reden nicht miteinander, wir schreiben einander. Reaktionen muss ich von ihm fernhalten. Mit der New York Times hat er gesprochen. Sonst mit Journalisten: lieber nicht. Kommenden Samstag können Sie ihn hier wieder lesen.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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