Zwei Herzen, eine Seele: der Kanzler ohne Milde und die Krone

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 181

Armin Thurnher
am 13.09.2020

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

War das eine Aufregung! Gestern brachte die Kronen Zeitung die verblüffende Schlagzeile, die Regierung, also der Kanzler solle doch bitte Gefühle zeigen. Es ging um die Kinder von Moria. Selbst die Krone wurde angesichts des Elends scheinbar weich und menschlich. Menscheln lässt es sich am besten en famille, vor allem, wenn es darum geht, Kinder zu retten, am besten vor ihren muslimischen Familien. Kinder ja, der Rest nein. Österreich hilft Österreich. Krone hilft Kindern.

Cover der Kronen Zeitung am Samstag, dem 12. 9. 2020

Schleimrevolver Michael Jeannée füllte sich mit Honigseim und verspritzte schamlos klebrigsüßes Mitleid. Claus Pándi, der Ovid von der Salzach, der große Verbannte, pries auf Twitter die Kolumne Michael Jeannées als menschliche Großtat: „Das Spektrum der Meinungen in der Krone ist groß. Das ist gut so. Mit den Meinungen mancher Kollegen geht man öfter konform, mit einigen seltener. Heute teile ich hier gerne die emotionale Antwort eines Kollegen an die kalten Propagandisten der Emotionslosigkeit,“ teilte Pándi auf dem Kurznachrichtendienst mit.

Das Blatt der heißen Herzen und der eiskalte Kanzler. Nein, der „kalte Propagandist der Emotionslosigkeit“. Der herzige Herr Pándi und der warmherzige Herr Jeannée tun was für diese Erzählung. Wie gern fällt das linksliberale Publikum auf die Kronen Zeitung herein! Endlich ist sie einmal auf unserer Seite! Endlich einmal hellt sich die dunkle Seite der Macht auf und ist mit uns! Sogar Jeannée!

„Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zum Sterben“, schrieb er über einen von der Polizei in den Rücken geschossenen Jugendlichen und würde es, wie er auf Anfrage bestätigt, jederzeit wieder schreiben. Ein Jugend- und Kinderspezialist sozusagen. Wenn so einer einmal etwas Richtiges sagt, soll man das dann nicht gelten lassen?, fragt das Publikum, dem man nicht einmal die Reblaus vorsingen muss, damit es waaach wird.

Die Leute sind wie jene politischen Parteien, die hoffen, die Krone auf ihre Seite zu bekommen, indem sie sie mit Kohle überschütten. Die Krone denkt natürlich nicht daran. Sie spurt zum Schein, solange es ihren Interessen nicht schadet. Spürt sie aber, dass sich ein Lüftchen dreht, dreht sie sich mit, egal wer ihr was bezahlt hat. Bei Gespür ist ausgespurt.

Nicht zu vergessen, wie oft sie dabei erfolgreich scheitert: Volkszorn trifft Schüssel voll, schrieb sie. Aber als der Polyp Österreichchauvinismus alles umarmte, gab sie klein bei. Kanzler bleibt hart, schrieb sie über Faymanns von ihr diktierte Flüchtlingspolitik, schon war er weg, der Werner. Sie ist das Medium, das zugleich dafür und dagegen ist, immer zum eigenen Vorteil.

Ihre Kolumnisten drehen sich mit ihr. Für Kurz, gegen Kurz. Für Faymann, ohne Faymann. Gegen Schüssel, für Schüssel. Für Haider, gegen Haider. Für Strache, gegen Strache, für Strache. Die Krone turnt die österreichische Geschmeidigkeit des Rückgrats aus olympischem Niveau vor. Rückgrat- und Darmakrobatik als Kombiprogramm. Vorturner ist Jeannée: „Kinder haben große Augen, die schauen, aber nicht begreifen.“ Wer alt genug ist, solche „große Kinderaugen“ in seine Kolumnen zu setzen, ist alt genug, an seinen eigenen Große-Augen-Phrasen zu ersticken.

Keine Sorge, passiert nicht. Dieser Herzensfaschist hat keine inneren Organe, vor allem kein Herz. In seine Mitleidskolumne packt er das alte Lied: „Kinder wissen nicht, was Schlepper sind, Profite, morsche Boote, das Mittelmeer, Ärzte ohne Grenzen, die Caritas.“ So spricht ein Verehrer politischer Mörder wie des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Mit zusammengekniffenen Stecknadelkopfaugen setzt er die Caritas und Ärzte ohne Grenzen mit Schleppern gleich. Das Publikum macht große Augen und hält das Ganze für einen Angriff auf den Kanzler, den der Kolumnist sonst doch umschleimt.

Die Krone gewinnt immer. Diesmal erschnüffelte sie – die Nase immer hart im Wind unter den Stammtischen – eine Stimmung im Land und aktivierte alert eine ihrer drei Hauptstärken: Kinder. Die anderen beiden sind Tiere und Mädchen, falls Sie es nicht wussten. Kinder, Tiere, Mädchen, Hans Dichands altes Leitmotiv.

Auch Sebastian Kurz ist ein Medium, das auf diesen drei Säulen ruht. Seine Kinder sind die Mitglieder der Jungen ÖVP, die er in Amt und Würden putschte, um den Preis allgemeiner Inkompetenz. Die Mädchen sahen wir im Geilomobil, heute sehen wir sie in Ministerämtern, und die Tiere werden symbolisiert durch den Bundespräsidenten, der als gemütliches Maskottchen „Bärlibrumm“ bei den diversen Koalitionen des Kanzlers fungiert und dessen Hunzo Juli Kurz bei Bedarf streichelt. Ein gebrummte sanftes Mahnwort nimmt er dafür gern in Kauf. Kostet ja nichts.

Kurz ist ein Stimmungsschnüffler wie die Krone, nur macht er es wissenschaftlich. Seine Daten sagen ihm, er solle hart bleiben. Er reagiert feinfühlig auf Umfragen. Ich bin froh, sagt er. Diese schrecklichen Bilder, sagt er. Und er lügt, dass sich die Balken biegen. Ein neues 2015 droht, suggeriert er. Gelogen, keine neue Flüchtlingswelle in Sicht. Wir leisten mehr Hilfe vor Ort als andere, sagt er. Gelogen, sie ist beschämend gering im Vergleich zu der Deutschlands und der Schweiz.

In der neuesten österreichischen Polit-Soap sehen wir nicht Gefühllosigkeit gegen Gefühl am Werk, sondern Skrupellosigkeit (des Mediengeschäfts) gegen Skrupellosgkeit (des Politgeschäfts). Wer wird gewinnen? Ich bin froh, sagt der Kanzler. Er ist auch froh, „dass es gelungen ist, die Linie (der Migrationspolitik) auf europäischer Ebene zu ändern.“ Soll heißen: er hat uns obanisiert. Aber diese Linienänderung hält nicht einmal mehr beim niederländischen neoliberalen Hardliner Mark Rutte oder dem rechtskonservativen Bayern Markus Söder.

Die hält nur in einer verhunzten Öffentlichkeit mit dem wohlalimentierten Leitmedium Krone, dessen Mechanismen offenbar noch immer nicht viele verstehen. Und mit dem feinfühligen Mann am Ballhausplatz,. Der ist froh, reagiert mit aller Situationselastik und hat nur Macht im Auge. Bei der Wienwahl und der nächsten Nationalratswahl will er der FPÖ keine rechten Wähler zurückgeben. Moralischer Kollateralschaden, europäische Havarien, geopolitisches Desaster, alles egal. Balkanroute, Frohsinn, schreckliche Bilder, schon wieder da. Wo bleibt Silberstein?

Cover der Kronen Zeitung am Sonntag, dem 13. 9. 2020

Der Kanzler ohne Milde hat ein gutes Gefühl. Triumphal zieht die Krone mit einer neuen Schlagzeile am Sonntag den Schwanz ein: „Kanzler reagiert auf Herzlos-Kritik.“ Kein Kind kommt uns herein. Ja, Kurz verdoppelt die Hilfe vor Ort. Wenig, verdoppelt, bleibt nicht viel. Gut gemacht, Herzlose! Die Skrupellosen sind wieder vereint. Auf Seite 2 findet der begabte Chefredakteur Klaus Herrmann die wahren Schuldigen: es sind die Grünen, die sich nicht um die echten Probleme kümmern, um die Starkstromleitung in Salzburg.

Groß weiten sich da meine Augen, ich verstehe nichts von alledem, ich will einfach nur leben, überleben. Still bete ich: Lieber Gott ich bin so froh, dass lieber Gott ich bin nicht so. Und denke: Was den Sonntag erst zu einem Sonntag macht, ist Österreichs doppelte Niedertracht.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!