Dieses Blümelkurz-Österreich ist nicht mein Österreich

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 179

Armin Thurnher
am 11.09.2020

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„Wie die Großen mit den Menschen spielen“, hieß ein Buch des Politikwissenschaftlers Ekkehard Krippendorf, der in grauer Vorzeit das eine oder andere für den Falter schrieb. Es handelt von Goethes Politik. Der Geheime Rath war ja nicht nur Dichter, sondern politischer Berater und Politiker zu Weimar. Ich warte darauf, dass die Cancel Culture jenes Todesurteil hervorholt, das der große Humanist unterschrieb, und das gewiss Faust II auf den Misthaufen der Geschichte befördert. Es betraf eine Kindsmörderin.

Die Großen der Goethezeit waren Kaiser, Könige, Fürsten und Menschen wie Napoleon Bonaparte, der Millionen für seine Politik über die Klinge springen ließ und doch verehrt wurde wie Jesus Christus. Das Wort „Bonapartismus“ bezieht sich aber nicht auf ihn, sondern auf seine Nachfolger. Napoleon III. führte ein autoritäres Regime, das die Interessen des Bürgertums auf undemokratische Art vertrat. Die fatale Größe des Dynastiebegründers verlieh ihm eine gewisse Aura.

Was tun, wenn nicht die Großen, sondern die Kleinen mit den Menschen spielen? Menschen wie Kurz, Schallenberg und Blümel? Die wie Außenminister Schallenberg ihre tatsächlich bürgerliche Identität bedingungslos einer Parteilogik opfern, die man eher als Sektenlogik bezeichnen muss, weil sie begründeten Widerspruch oder begründete Dissidenz ausschließt?

Alexander Schallenberg, Österreichs „fataler neopragmatischer Äußerungsminister“

Foto @ ORF ZiB 2

Ich rede, Sie haben es längst verstanden, vom Fall Moria. Man versinkt vor Scham vor dem Fernseher, wenn dieser Außenminister, der sich als verständig und einigermaßen liberal präsentierte, nun im deutschen Fernsehen als Hardliner und Inhumanitätsprofi hergezeigt wird. Man weiß nicht, soll man weinen oder lachen, wenn sich dieser Finanzminister Blümel gerade als der bessere Strache präsentiert, als der garantiert anständige Unanständige, der garantiert nationalistische Europäer, der garantiert niederösterreichische Stahlhelm als nächster Wiener Bürgermeister.

Das ist schlechter Mummenschanz, natürlich, aber er betrifft echte Menschen. Der Mensch in der Regierung spielt dem Kleinen Mann den Kleinen Mann vor, der die Interessen des Kleinen Mannes vertritt. Österreich zuerst. Österreich hilft Österreich. Kleiner Mann für kleinen Staat. Wir haben einander genug zu helfen, den anderen haben wir schon ausreichend geholfen. Und so geht es immer weiter.

Das ist scheinbar geschickt, weil es der Stimmungslage entspricht. Scheinbar entspricht. Denn Österreich ist nicht so, obwohl es genauso ist. Es gibt das andere Österreich, das human ist, ohne humanitätsbesoffen zu sein, wie ein furchtbarer Ausdruck lautet.

Es gibt die Bürgermeisterin von Alberschwende und den Bürgermeister von Lustenau, sie gehören der ÖVP an und sind dennoch für eine christlich gestimmte Politik. Und gewiss sind sie nicht allein, vom Kardinal und vom Bundespräsidenten abwärts. Nicht, dass ich mich politisch auf diese berufen möchte. Aber die Wahl Van der Bellens zeigte, dass Österreich mehrheitlich nicht Blümelkurz-Österreich ist. Blümel will nun die Reste der Rechtsextremen zusammenkratzen, damit er in Wien über möglichst weit über 20 Prozent kommt, und zögert nicht, damit rechtsextremistische Politik stark zu halten.

Wie schändlich! Man bedient – womöglich im Name von Verantwortungsethik – die miesesten Ressentiments. Ich erwarte mir von einer Regierung, dass sie nicht nur der Emotionslage hinterherhechelt. Ich erwartet mir von politischer Führung auch, dass sie manchmal ihren Standpunkt gegen die demoskopisch ermittelte Gefühlslage durchsetzt. Dass sie die Gefühlslage beeinflusst. Dass sie, ja meinetwegen, führt, statt sich treiben zu lassen.

So würde ich schreiben, hätte ich noch die Illusion, es gäbe Restbestände an christdemokratischer oder auch „anständiger rechter Politik“ im Denken unserer Regierungstruppe. Aber deren Selbstbild besteht nur Unterordnung unter jene jeweilige Erscheinung, von der sie am meisten Beifall erwartet. Vom Außenminister weiß man, dass er es besser weiß. Erst das machte seine miese Übung in Scheinrealismus im ZiB2-Interview  bei Armin Wolf so unerträglich. Manch anderem Regierungsmitglied gönnt man im Zweifel die Vermutung geistiger Schlichtheit und getrübter Wahrnehmung, hervorgerufen durch Kanzleranbetung.

Die Opposition? Schwach wie immer, medial unten gehalten. Der grüne Koalitionspartner? Ja, Vizekanzler Kogler hat, spät genug, etwas gesagt. Die verwögingerte Klubobfrau Sigrid Maurer konnte ihre Kritik in der ZiB 2  nicht besser formulieren, als dass die Äußerungen des Außenministers, dieses fatalen neopragmatischen Äußerungsministers „nicht in die richtige Richtung“ gingen. Und dass man Blümels wegen halt bis nach der Wienwahl warten müsse.

Dann sehe ich mir den CDU-Politiker und außenpolitischen Sprecher Norbert Röttgen an, der sagt, ich zitiere aus dem Gedächtnis: „Es ist eine andere Situation als 2015. Wir brauchen uns nicht von der Rechten unter Druck setzen zu lassen. Als Christlichsoziale folgen wir nicht dem Prinzip, andere (die AfD) nicht stark zu machen, wir folgen unseren eigenen Prinzipien. Menschenunwürdige Zustände zur Abschreckung vor Menschenrechten einzusetzen, widerspricht der Menschenwürde.“ Das ist ein Politiker! Angela Merkel, die Vorsichtige, wird Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. Das ist eine Politikerin!

Wir hingegen haben keine Politiker. Wir haben Schlaucherln. Schäbige kleine Neo-Bonapartisten, die mit einem Bürgertum, das nur an sein Geld denkt, machen können, was sie wollen, solange bei dem die Kassa stimmt. Dass der Moralbankrotteur Strache mitmischt, als wäre nichts gewesen, passt prima dazu. Auch er denkt schließlich an sein Geld.

Wir leben im Zeitalter der emotionalen Pest, um einmal diesen Begriff von Wilhelm Reich zu verwenden. Von ihm stammt auch die berühmte „Rede an den kleinen Mann.“ Bei uns spielen die Kleinen Männer mit den Menschen, und man kann nicht sagen, dass es die Humanität befördert.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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