Wie privat ist „privat“ auf Twitter? ICH sage: eher nicht.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 176

Armin Thurnher
am 08.09.2020

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Vorgestern wurde Michael Bauer, Sprecher des Bundesheers, auf Twitter von einem Journalisten blockiert, und bald hieß es, als Bundesheersprecher könne Bauer nicht privat twittern.*

Könne er doch, sagte Bauer, und gleich war der Austausch mit Kränkung getränkt wie ein Punschkrapferl mit Rum. So geht es solchen „Austäuschen“ auf Twitter in Sekundenschnelle. Schwups sind sie besoffen mit Ärger. „Weder Sie noch sonst jemand bezahlt mich für diesen Twitter-Account“, blaffte Bauer.

„Sorry, aber dann sollten Sie allerdings in Ihrem Profil klarer machen, dass Sie hier als Privatperson twittern und nicht als Sprecher des Bundesheeres“, belehrte ihn ORF-Moderator Armin Wolf.

Bauer biss in den angebotenen Zeigefinger: „Ich twittere hier als Sprecher des BMLV; Sie sind ja auch nicht privat hier.“

Wolf, den Zeigefinger zurückziehend: „Ich bin tatsächlich privat hier. Das steht auch seit mehr als 10 Jahren in meinem Profil. Ich spreche nicht für den ORF und twittere nicht als Vertreter des ORF, sondern als Armin Wolf. Das ist mir auch sehr wichtig.“

Bauer, bissfroh: „Aus meiner Sicht ist das nicht möglich: Die überwiegende Mehrheit Ihrer Follower folgen Ihnen ja nicht als Privatperson, sondern als ZiB2-Moderator. Sie sind eine der stärksten Marken des ORF und daher lassen sich Ihre Tweets von der Marke, die Sie vertreten, nicht trennen.“

Als beide hinreichend Unrecht hatten, brach Wolf ab und pflückte  ein  Zitat aus einer Kolumne des langjährigen NZZ-Medienjournalisten Rainer Stadler heraus, die ein Dritter in den Austausch geworfen hatte. Stadler wurde übrigens von der neuen NZZ entmachtet und ging heuer im Juni nach 31 Jahren „freiwillig“. In der zitierten Kolumne schrieb er über die Eitelkeit des einzelnen Journalisten und wie sie der zunehmenden Automatisierung des Gewerbes widerspreche. Scheinbar zumindest, denn naturgemäß brauchen algorithmengetriebene Medien Attraktionen, also Stars aller Arten.

Die Frage, ob Moderator Wolf und Bundesheersprecher Bauer auf Twitter öffentliche Personen oder Privatpersonen sind, ist unentscheidbar. Ihr Beharren darauf, dass sie sich in aller Öffentlichkeit privat zu äußern belieben, entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie.

Hannah Arendt beschrieb die Öffentlichkeit der antiken Polis so: Wer die Agora betrat, ließ den Privatmann hinter sich. Was er dort sagte, sagte er (und es waren nur Männer, keine Frauen, Fremde oder Sklaven zugelassen) ohne das Ansehen seiner privaten Person, nur als öffentlicher Akteur, nur als Stimme im Gespräch darüber, was dem Gemeinwohl, der Stadt, der Polis am besten nütze. Das war politisch.

Der Privatmann war der Idiotes. Dass er seine Merkmale in der öffentlichen Diskussion abstreifte, war ein Zeichen demokratischer Freiheit. Die Stimme des Reichen war damit soviel wert wie die des Armen, des Jungen soviel wie die des Alten, des Starken soviel wie die des Schwachen. One man, one vote. Jegliches private Interesse hatte draußenzubleiben. Symmetrie von Macht.

Unsere Öffentlichkeit hat einen langen Weg hinter sich, und vielleicht kann man sagen, dass in der Sphäre der Social Media sich die alte demokratische Idee auf den Kopf gestellt hat. Jetzt dürfen alle sprechen außer denen, die nicht mitsprechen können, mangels Ausstattung mit Geräten, mangels Gelegenheit, mangels Fähigkeit. Das wären die modernen Sklaven. Im digitalen Forum gilt nicht jede Stimme gleichviel. Die Stimmen der Sprechenden mit den meisten Anhängern und Followern, mit der größten Prominenz gelten am meisten. Sie bestimmen darüber, wieviel Gewicht die Meinungen anderer haben, indem sie auf sie eingehen oder nicht, indem sie sie retweeten und empfehlen oder nicht. Asymmetrie von Macht.

Wir haben es also mit einer neuen Mischform zutun, mit politischer Idiotie oder idiotischer Politik (pardon my Greek). In ihr lässt sich nicht mehr unterscheiden, ob privat oder in öffentlicher Rolle gesprochen wird. Alles mischt sich auf undurchsichtige Weise.Ich fange bei mir selber an. Spreche ich auf Twitter privat? Ja. Insofern, als ich niemanden um Erlaubnis frage. Niemand beim Falter hat mir was dreinzureden (manche versuchen es vergeblich). Andererseits mache ich mir nichts vor: Wäre es nicht ich mit meiner Funktion und Geschichte, hätten sich nicht in meinen ersten paar Tagen auf Twitter mehr als tausend Leute als Follower an meinen Account gehängt; hätten mir nicht freundlich interessierte Menschen einen Blauhaken verschafft (wer kriegt den einfach so?); hätten mich nicht Kolleginnen und Kollegen fleißig retweeted, um mir ein wenig aufzuhelfen – mit einem Wort, ohne meine Falter-Persona wäre ich nicht dort, wo ich bin. Verglichen mit richtig großen Accounts ist meiner ein Zwergerl, aber verglichen mit Nichts auch nicht nichts.

Die funktionale Autorität ist von der Social-Media-Persona nicht zu trennen, und das bittere Erwachen käme erst, würde ich mich von allen Funktionen zurückziehen. Ganz egal, was „Ich“ da sage, es wird sowohl „mir“ als auch „dem Falter“ angekreidet, auch wenn sich ganze Nachfolgegenerationen bei der Lektüre meiner Tweets und Kolumnen klatschend facepalmen.

Ich bin es und ich bin es nicht. Armin Thurnher und der Falter lassen sich nicht trennen, genauso wenig wie Armin Wolf und der ORF, sogar wenn er ihn verließe. Sie haben einander teilweise gemacht. Auch wenn ich verstehe, dass Wolf sich mit seiner Rede von den Fesseln des Rundfunkgesetzes befreien will, auch wenn ich einsehe, dass zwischen Arbeitnehmern wie ihm und Arbeitgebern wie mir Unterschiede bestehen, gäbe es dazu noch viel zu sagen; vielleicht ein andermal.

Um die Ambivalenz der Mischkulanz zu markieren und um mich vor der sozialmedialen Wahnsinnsseuche des Narzissmus notdürftig zu immunisieren, habe ich mich auf Twitter zum Büro erklärt, um eine Dritte Person schützend zwischen „mich“ und mich zu stellen. Und um bei aller Absicht, für mich als Autor zu werben, zu vermeiden, als „ich“ im Ego-Froschchor mitzuquaken.

Wie immer ich es betrachte, die Verwirrung bleibt. Sie durchzieht das digitale Dasein. Dieses ist, wie Rudi Fussi sagen würde, kein Ponyhof. Und bloß zu behaupten, man sei privat hier, ist so gut, als behaupte man seine Unfehlbarkeit. Privat ist da längst nichts mehr, schon gar nicht eine Meinung. Ich bin übrigens Papst, falls Sie es nicht wussten.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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