Über Liebe in Zeiten der emotionalen Pest. Und Hunde.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 175

Armin Thurnher
am 07.09.2020

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Bei der Washington Post darf, wer Kolumnen schreibt, nur einmal im Leben über Hunde schreiben. Kolumnistin Ruth Marcus brach am Wochenende dieses Gesetz und schrieb ihre zweite Hundekolumne über den Tod ihres Hundes Tank. Niemand versteht diesen Regelbruch besser als ich, der ungehemmt von jeder Regel über seinen toten Hund schreibt, wann es ihm passt.

Auch ich war Hundehasser, als es Wien noch nicht gelungen war, das Problem der Hundekacke in den Griff zu bekommen. Mittlerweile nimmt Wien das Sackerl, was den Alpenverein sogar ermutigte, kürzlich die Forderung aufzustellen, auch der Mensch möge in den Alpen ein solches mit sich führen. Eine verständliche Forderung, wenngleich sich Klettersteige und Wanderwege mit Wiener Gehsteigen um die Jahrtausendwende diesbezüglich nicht vergleichen lassen.

Der Erfolg des Wiener Sackerls zeigt: mit Willen, Überzeugung, pragmatischem Geschick, Strafandrohung und glaubwürdiger Exekution lässt sich politisch fast alles durchsetzen. Wenn die Regierung also an der Digitalsteuer scheitert, an der Ampel, an Medienpolitik, an transparenter Coronahilfe, an vernünftiger Europapolitik, an humaner Flüchtlingspolitik, ich höre schon auf, dann liegt das daran, dass sie all das weder will noch kann.

Der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk war ein gefürchteter Polterer und tat, als könne er durchsetzen, was er wolle (sein stilles Pendant, der Finanzstadtrat Hans Mayr spielte meistens mit). Beim Problem der Hundescheiße versagte Zilk aus Angst vor der Wiener Seele. Die Hunterln greifma net an.

Auch Zilks Nachfolger Michael Häupl zögerte bei dieser sensiblen politischen Frage lange, überlange und posierte sogar trotz seiner bekannten Aversion gegen Hundsviecher mit einem ebensolchen für ein buntes Kronefoto. Erst die Stadträtin Ulli Sima griff durch und zähmte die durch die Landschaft scheißende Gemütlichkeit auf vier Beinen. „Bellende Gemütsreserven“, so bezeichnete sie Herbert J. Wimmer in einem frühen Text, den wir gemeinsam gegen tausend Tonnen Hundekot schrieben, einer der schlechtestverkauften Falter-Titelgeschichten aller Zeiten. Zilk und Häupl wussten, was sie fürchteten.

Das Meinungsstück der Washington Post preist die wundersamen Kräfte der Vierbeiner. Der gegen den Willen des Pater Familias angeschaffte Köter rettet die heile Welt der Familie Marcus, weil er sich jederzeit von allen herzen lässt und die Herzenden übers Gesicht schleckt. Hundeliebhaber verstehen das. Marcus weitet es aus und macht den Hund zur Metapher für gesellschaftlichen Zusammenhalt, versus die Killorange Trump, die eine halbe Gesellschaft aus Eigennutz gegen die andere Hälfte aufhetzt.

Nun wissen wir, dass der Hund sich nicht aus purem Altruismus herzen lässt, sondern weil er auf uns angewiesen ist, um an sein Futter zu kommen. Dennoch sind Hunde die besseren Menschen, weil sie uns, so langen wir es ihnen nicht tun, von sich aus nichts Böses angedeihen lassen.

HUND UND HASENSCHUTZ

Dies schickte mir ein Leser als Dank und „zur Erheiterung“, als ich gerade diese Kolumne schrieb. Erheiterung gelungen!

Zeichnung @ Martin Oberbauer

Für Soziologen und Psychologen wäre es lohnend, zu untersuchen, wie Gesellschaften aussehen, die auf den Hund verzichten müssen. Wie kämen einsame und auch noch hundelose Menschen durch die Coronakrise? Wie viel schlimmer wäre es um die Volksgesundheit bestellt, müssten Menschen nicht mit ihren Hunden täglich Gassi gehen, zweimal und bei jedem Wetter?

Sie müssen es nicht machen wir die Nachbarin im Dorf, die ihr vierbeiniges Prachtexemplar an eine lange Leine hängt, die Leine durchs Autofenster nimmt und dann gemütlich mit dem Köter hügelauf und hügelab fährt, während er mit hängender Zunge hinterdrein hetzt. Erinnert mich an meinen Onkel, der, als meiner Tante zur Rehabilitation Spaziergänge verschrieben wurden, sie ins Grüne chauffierte, aussteigen ließ und ihr mit dem Auto geduldig im Schrittempo folgte.

Hunde sind nicht nur die besseren Menschen, sie sind auch sehr klug. Können hunderte, tausende Wörter verstehen. In Moskau haben streunende Exemplare gelernt, das Metro-System zu nutzen. Sie nächtigen in den Vorstädten und treiben sich tagsüber bettelnd in der Innenstadt herum.

Hundeliebe ist reiner als Menschenliebe. Das hängt wie gesagt mit der mangelnden Bosheit des Objekts zusammen. Wir sollten uns dennoch hüten, Hunde zu idealen Wesen zu stilisieren und ihnen Menschenrechte zuerkennen. „Tiere sind nicht unsere Brüder, nicht unsere Untertanen. Sie sind andere Nationen, gefangen mit uns im Netz des Lebens und der Zeit“, sagte der Naturforscher Henry Beston 1928. Das und vieles andere liest man im faszinierenden Artikel von Michelle Nijhuis über unsere Kommunikation mit Tieren.

Letzter Beweis für die Bedeutung von Hundeliebe: dem in Stein gehauenen, händchenhaltenden Paar auf dem Sarkophag, den Philip Larkin in seinem unsterblich-skeptischen Liebesgedicht „An Arundel Tomb“ besingt, liegt ein Hundepärchen zu Füßen, „the little dogs under their feet“.

Ich verstehe Frau Marcus und ihr Hunde-Pathos. An wen immer wir uns verschwenden, am Ende bleibt „Our almost-instinct almost true:  / What will survive of us is love.“

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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