Die etwas andere Kanzlerrede

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 165

Armin Thurnher
am 28.08.2020

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„Heute, Freitag, den 28. August 2020, um 10.30 Uhr findet eine Erklärung von Bundeskanzler Sebastian Kurz zur aktuellen Lage und ein Ausblick auf den Herbst statt.“ Das mag sein, und ebenso mag es sein, dass Sie das hier erst lesen, wenn diese gewiss historische Erklärung bereits stattgefunden hat. Früher gab man Erklärungen ab, heute finden sie statt. Soll heißen, sie sind Ereignisse, bei denen nicht so wichtig ist, was abgegeben wird, es geht darum, was eingenommen wird: Aufmerksamkeit, Ablenkung von schwelenden Problemen, Dominanz im politischen Feld, Beschädigung der Konkurrenz, subkutane Wahlwerbung

Lasst uns nicht so tun, als wäre das Staatsmanngeschäft nicht immer ein schmutziges Geschäft gewesen. Nicht alle Staatsmänner sind Periklesse, und auch diesem edlen Griechen, der uns eine der schönsten politischen Reden hinterließ, seine Trauerrede auf die Gefallenen, die zu den Monumenten der Demokratiegeschichte zählt, sagten seine Kritiker nach, er habe Athen in den Krieg getrieben, um einen Prozess gegen seine Person zu verhindern.

Heute leben wir im Zeitalter eines Individualismus, dessen politische Protagonisten nicht mehr durch den Streit um Philosophenschulen geprägt und durch kriegerischen Einsatz für die Demokratie gegkennzeichnet sind, sondern durch Privat-TV, PR und Social Media. Ihr Einsatz gilt ausschließlich ihrem Privatvermögen, wie im Fall Trump, oder ihrem kommenden Privatvermögen, wie im Fall vieler Staatsmänner, die wir aus näherer Nähe kennen.

Wir können also erwarten, was Kurz sagt. Es gehört zu den sogenannten Inszenierungen dieser sogenannten Rhetoriker, dass man uns seit Tagen löffelweise mit allem versorgt, was dann endlich die Form einer Verlautbarung annimmt. Worauf berichtet wird, dass alles Erwartete eintraf, bis auf – Sensation – eine Sache, die wir nun als neu berichten dürfen. Überraschung als Abweichung von der Selbstbehauptung!

Derweil stelle ich mir wieder einmal vor, was ein Kanzler sagen würde, den ich akzeptieren könnte. Und sei es ein Konservativer, denn Angela Merkel, gegen deren Politik ich Fundamentales einzuwenden habe, ist in ihrem Radikalpragmatismus ebenfalls seine Machterhalterin von Gnaden, aber sie wählt ihre öffentlichen Mittel zukömmlicher, sagen wir es einmal so. Nicht narzisstisch, nicht egoistisch. Fair. Damit wäre man schon zufrieden.

Sätze, die wir niemals hören werden: „Meine Damen und Herren, in den vergangenen Monaten habe ich viele Fehler gemacht.“

Foto APA @ Helmut Fohringer

Kurz könnte zum Beispiel sagen: „Meine Damen und Herren, in den vergangenen Monaten habe ich viele Fehler gemacht. Der größte war, mich wie mein eigener Pressesprecher zu benehmen und aus der Corona-Krise jedes Sekunde an TV-Präsenz für mich selbst abzumelken.

Wir stellen ab sofort auf vernünftiges und transparentes Krisenmanagement um, verzichten auf chaotisierende Maßnahmen und organisieren unseren eigenen Bereich wieder so um, dass wir das vorhandene Beamtenwissen nicht an den Rand drängen und durch überbezahlte Berater ersetzen, sondern es mobilisieren. Die erste Wirkung wird darin bestehen, dass wir dem Parlament wieder vernünftig verfasste Gesetze vorlegen können.

Als Zeichen des Respekts gegenüber dem Parlament, an dem ich es leider auch allzuoft fehlen ließt, habe ich übrigens meinen Paladin Wolfgang Sobotka, der mir meinen Weg an die Macht freigebissen hat, gebeten, in den wohlverdienten Ruhestand zu treten, ehe die Herbstsession des Ibiza-Untersuchungsausschusses beginnt.

Die Kommunikation der Krise übernimmt ab sofort auch nicht der Gesundheitsminister, sondern die Chefin Chef der Corona-Task-Force, deren Ziel es sein wird, vernünftige und transparente Informationen bereitzustellen. Rudi Anschober und ich haben vor, unseren vor allem – ich gebe es zu – von meiner Seite mit Nadelstichen geführten PR-Krieg einstellen und unsere Auftritte nur mehr auf das Nötigste zu beschränken. Das in meiner ersten Regierung teilzerstörte Gesundheitsministerium wird wieder aufgebaut. Innenminister Nehammer wird sich ab sofort nicht mehr der Parteipropaganda, sondern wieder der Verbrechensbekämpfung widmen.

Noch eines möchte ich selbstkritisch anmerken, ehe ich zu meinen Plänen komme. Wir, vor allem ich, haben unsere Autorität missbraucht, indem wir in der Corona-Krise zu stark darauf gesetzt haben, durch Beschwören der Gefahr ein vernünftiges Verhalten der Bevölkerung zu erreichen. Wir hatten, auch das gebe ich zu, dabei eine Steigerung meiner Autorität im Sinn. Das ist nicht gut gegangen.

Ich werde in Zukunft versuchen, alles daranzusetzen, Ihre Verantwortung zu betonen. Dafür gibt es das hässliche Wort Eigenverantwortlichkeit, einen Pleonasmus, den wir nicht verwenden sollten. Den auch ich nicht verwenden will. Sagen wir es lieber so: eine moderne Gesellschaft kann ihre Freiheit nur erhalten, wenn ihre Mitglieder sich verantwortungsvoll benehmen und verhalten. Dieses Verhalten muss in öffentlichen Debatten artikuliert und durch vorbildliches Verhalten etabliert, ständig überprüft und ja, am Ende auch überwacht werden. Analog dem Straßenverkehr kann so etwas nicht bloß angeordnet werden und durch bloße Autorität und Überwachung funktionieren. Das Zeitalter der Dekrete ist ein für allemal vorbei.

Meine Damen und Herren: Sie erwarten von mir gewiss ein paar Sätze zu Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Es ist selbstverständlich, dass ich alles unternehmen werde, um die entstandenen Schäden zu reparieren. Zugleich werde ich sorgfältig darauf achten, dass nicht einige Große profitieren, während Zigtausende kleiner Unternehmerinnen und Unternehmer durch die Finger schauen. Es darf nicht sein, dass in der Krise durch Finanzspekulation und Subventionsbetrug die Vermögen noch weiter wachsen, während die Einkommen der unteren Klassen stagnieren.

Deswegen habe ich meine einseitige Kooperation der Regierung mit der Wirtschaftskammer eingestellt und werde versuchen, die Sozialpartnerschaft neu zu beleben; nicht als Mauschelinstitution hinter wattierten Türen, sondern als Institution offener, fairer Verhandlungen zwischen den Interessensvertretungen und der Regierung.

Außerdem, das sage ich am Ende, aber nicht zuletzt, sind wir Europäer. Auch in dieser Frage habe ich mich auf Eingebungen nur an meiner persönlichen Präsenz und der Präsenz unserer Partei interessierten Berater verlassen und auf die sogenannte Sparsamkeit gesetzt, statt zuerkennen, dass der Wiederaufbau nach Corona möglicherweise die letzte Chance darstellt, unserem Kontinent jene Strukturen zu geben, die ihm seit Maastricht fehlen. Sodass er in einer Zeit wachsenden Autoritarismus auf der ganzen Welt eine wehrhafte Insel der Demokratie und der Gerechtigkeit, des sozialen Ausgleichs und der Gemeinsamen, in sich differenten Kultur bleiben und werden kann. Ich lese gerade den neuen Aufsatz von Jürgen Habermas, der in diese Richtung weist, und habe ihn gebeten, uns in europäischen Fragen gemeinsam mit anderen bedeutenden Denkerinnen und Denkern aus der ganzen Welt zu beraten. Die Zusammensetzung dieses Beratungsgremiums gebe ich demnächst bekannt. Die Runde meiner Wirtschaftsberater habe ich indes aufgelöst.“

So sprach er und hätte noch lange fortgesprochen. Aber dann wäre er nicht Sebastian Kurz gewesen.

Dann wäre er mein Kanzler.

Ihr Armin Thurnher

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