Der Virologe, der Journalismus und ich.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 164
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Zur gestrigen Seuchenkolumne erreichte mich das Mail eines Lesers: „Mit Freude und Interesse lese ich nicht nur regelmäßig Ihre Kolumne, sondern habe mich auch zum ebenso regelmäßigen käuflichen Erwerb des Falter entschlossen, weil ich dessen tiefgründigen, mutigen und unparteischen Journalismus, der auf billige Manipulation verzichten möchte, sehr schätzen gelernt habe. Ich denke, es täte Ihren wiederholten Ausflügen in die vervirte Welt gut, auch andere Stimmen aus der Wissenschaft zu Wort kommen zu lassen, als immer wieder nur auf die Gefährlichkeit des Virus hinzuweisen und dafür auch etwas fragwürdige Argumentationsketten in Kauf zu nehmen. So zum Beispiel die von Ihnen erwähnte in Neuseeland beobachtete gesunkene Sterblichkeit während des Lockdowns als Argument gegen die Sprengersche Behauptung ,der Unter- und Fehlversorgung durch den Lockdown‘“.
Leser Paul Schön tritt freundlich in mein Leben und gibt mir den Anlass, etwas zu dieser Kolumne zu sagen, und was sie in meinen Augen und für mich ist. Sie ist kein Forum für diverse Wissenschaftler, wenngleich ich mich einer Diskussion nicht verschlösse. Im Wesentlichen legt die Kolumne meine Sicht der Welt dar, die oft ein Schließen der Augen vor ihr und ein Mich-Hinwegträumen von ihr darstellt. So viel Freiheit muss sein. Nun wollen sich die Augen bekanntlich nicht zu jeder Zeit schleißen. Also reagiert die Kolumne auf Politik, durchaus satirisch, wenn es sein muss, und frei von jenen Banden, in die sich ein professioneller Journalismus gern selbst legt, um sich unangreifbar und uninteressant zu machen.
Das ist natürlich ungerecht gesagt und gedacht, denn ich selbst behaupte immer wieder – und völlig zu Recht, wie ich meine –, dass der redaktionelle Journalismus seine Daseinsberechtigung daraus bezieht, dass er Verfahrensweisen einhält und weiterentwickelt, die da heißen: kritische Prüfung der sogenannten Fakten, gegenseitiges Befragen der Argumentation, auf dass niemandem Unrecht getan werde.
Dieser Objektivismus, wenn ich ihn einmal so nennen darf, braucht aber ein stilistisches Vermögen, das ihn vor sich selber schützt.
Journalismus ist Teil des Aufmerksamkeitsgeschäfts. Er ist jener verschwindende Teil, der sich durch die erwähnten, selbstauferlegten Fairnessregeln einschränkt, während der Rest der Unterhaltungsindustrie ungehemmt einen Raubzug nach des Menschen Beachtung unternimmt. Weil auch Journalismus daran teilnimmt, in seinen besseren Ausformungen, wenn auch selten genug, im Bewusstsein seines Tuns, so ist er naturgemäß nicht vor den Versuchungen dieses Raubzugs sicher. Zuspitzung, grelle Überformulierung, Manipulation, Nichterkennen von publizistischen Fallen einer alles umschlingenden P.-R.-Industrie, Verzerrung der Proportionen, Klüngelwirtschaft sind nur einige dieser Versuchungen.
Journalismus ist ein System, das seine internen Gesetze (Aufmerksamkeitstrophäen horten, gegenseitig hochloben) nicht seine Beurteilung der Gesellschaft beeinflussen lassen sollte, weil diese Gesetze die Darstellung gesellschaftlichen Proportionen verzerren (aktuell die Wahrnehmung Straches, die alle dazu verführt, auch Ihren Kolumnisten, dem Bedeutungslosen zuviel Bedeutung zu geben). Würde ich diesen Gesetzen immer folgen, hätte ich jeden Tag Kurz, Sobotka, Fellner und die Dichands vorzuführen, aber diese Kolumne gestattet mir den Luxus, auf meine psychische Balance zu achten. Deswegen Naturbeobachtung, Lyrik und Musik, was wenig Beachtung, aber viel Freude bringt.
Guter Journalismus sollte sich nicht nur all dieser Gefahren bewusst sein, er muss sie mitreflektieren, muss auch anders sein können, deutlich wahrnehmbar anders, wobei deutlich anders nicht bedeutet: Zeigefinger-anders. Aber doch: anders geschrieben, anders bebildert, anders gedacht. Diese Kolumne hier ist ein Sonderfall. Zumindest betrachte ich sie selber so. Im Aufmerksamkeitswettbewerb würde man sagen, Meinung und Einordnung werden als notwendig ergänzende Gegensätze zu Reportage und Aufdeckung wieder wichtig.
Ich sage etwas schlichter, ich schreibe hier gegen den Tod. Unternehme ein tägliches Exerzitium, eine Übung des In-Mich-Gehens und es Aus-Mir-Rauslassens, das sich nicht den Beschränkungen einer Zeitung unterwirft, sondern jenen der Sprache. Bin mir zwangsläufig der Vergeblichkeit der Übung bewusst, habe deswegen in der ersten Kolumne Heiner Müller zitiert: Ich schulde der Welt einen Toten. Was noch nie jemanden von der Übung dispensiert hat, gegen diese Schuld aufzubegehren.
Im Rahmen dieser Übung ist mir der Virologe Robert Zangerle zugewachsen; das bringt doch ein Element der Aufklärung in die Kolumne herein. Ich weigerte mich von Anfang der Pandemie an, hier den Ersatzvirologen abzugeben. Eine Versuchung, der manche Kollegen nicht widerstehen konnten. Klar war in der Krise, zu kritisieren ist zuerst nicht die Wissenschaft, zu kritisieren ist die Politik, die entscheiden muss, was sie aus dem (mitunter widersprüchlichen) Rat der Wissenschaft macht. Und klar war, es ist schwer für Nichtwissenschaftler, die Wissenschaft einzuschätzen. An Wissenschaftskundigen herrscht Mangel.
Zangerle ist als Mediziner, Virologe und emeritierter Professor an der Uni Innsbruck ein Wisenschaftskundiger. Ich darf ihn nicht loben, sonst gefährde ich unsere Kooperation. Sage also nur so viel: er kennt sich aus. Er ist international mit Virologen und Epidemiologen vernetzt und hat einen Überblick über die aktuelle Fachliteraur (allein diesen aufrechtzuerhalten, ist eine beträchtliche Arbeitsleistung).
Ich gebe ihm hier gern Raum, und er äußert sich nur hier. „Zugewachsen“ ist übrigens nicht korrekt. Es war so, dass ich ihn einmal zustimmend zitierte, weil mir ein öffentliches Statement von ihm vernünftig vorkam. Er schrieb mir, und so ergab sich eine Korrespondenz. Ihn hier erscheinen lassen zu können ist nicht nur ein Privileg, sondern der Versuch, die Stimme eines Wissenschaftlers eben nicht journalistisch zu verpacken, abzufedern und gegen andere abzuwägen. Es ist der Versuch, sie einfach öffentlich hören zu lassen. Ganze 14 Kolumnen von ihm sind bisher hier erschienen, zitiert wurde er zuvor schon viel öfter.
Für Gegenstimmen, lieber Herr Schön, ist hier deswegen kein Raum, weil dies keine Kolumne einer medizinischen oder medizinisch-politischen Debatte ist. Hier sprechen der Virologe und ich. Wenn sich andere ein Muster daran nehmen, umso besser.
Was den von Ihnen zitierten und kritisierten letzten Absatz in seiner gestrigen Kolumne betrifft: mir scheint, es geht hier wie in der ganzen Kolumne darum, die Unsicherheit bei der Einschätzung des Virus zu zeigen. Der Absatz wie der ganze Text richten sich gegen zwei Dinge: gegen die Hybris vorschneller Urteile und gegen die Unterschätzung der Gefährlichkeit dieses Virus. Dass ein Quantum Ironie dazukommt (geringere Sterblichkeit aufgrund von weniger chirurgischen Eingriffen) kann doch nicht verbergen, dass hier nicht flott auf die Pauke gehaut wird, sondern mit aller Vorsicht argumentiert: „Da die genauen Todesursachen aber noch nicht geklärt sind (in Österreich liegen sie jeweils Mitte des Folgejahres vor), bleibt die Diskussion hypothetisch.“
Es ging um die Frage, ob der Lockdown in Summe Leben gerettet oder vielmehr, wie der Public-Health-Experte Martin Sprenger meint, gekostet hat. Die Debatte ist offen, aber sie deutet möglicherweise in die andere Richtung, sagt Zangerle. Ich kann hier nichts Fragwürdiges erkennen. Und wenn, kann man dagegen öffentlich argumentieren.
Alle Kolumnen Zangerles stehen hier online. Ich bin froh, dass er sich die Mühe macht und die Seuchenkolumne als sein Forum nimmt. Und wenn Epidemiologen, die sie seinetwegen lesen, dadurch ab und zu ein fragwürdiges Langgedicht von mir untergejubelt bekommen, eine Sobotka-Polemik oder einen poetischen Exkurs, freut es mich genauso, wie wenn Anti-Sobotkisten unversehens mit medizinischem Fachwissen konfrontiert werden.
Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher