Alles, was wir über das Virus nicht wissen. Und was wir wissen könnten.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 163

Armin Thurnher
am 26.08.2020

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Diesmal wieder am Wort: Virologe Robert Zangerle von der Uni Innsbruck.

Eine Infektion mit SARS-CoV-2 führt zu keiner binären Konstellation. Weder erkranken die meisten Menschen mild und erholen sich schnell, noch kann man sagen, in anderen, selteneren Fällen erkrankt jemand schwer und landet schließlich auf der Intensivstation, wo dann ein beträchtlicher Teil der Erkrankten stirbt. Covid-19 ist vielmehr eine sehr komplexe Erkrankung. Einerseits verblüfft uns die Vielfalt an Beschwerden und Schädigungen sowohl im akuten und als auch im selteneren, noch sehr vage definierten, chronischen Stadium. Andererseits geben uns genaue Zusammenhänge des akuten mit dem chronischen Stadium Rätsel auf. Manche, die mild erkrankten, sind noch nach drei Monaten arbeitsunfähig. Andererseits gibt es welche, die so krank waren, dass sie fast gestorben wären, aber nach einigen Wochen wieder auf das Niveau ihres vorigen Befindens zurückkehren.

Das Wissen zu Langzeitfolgen von Covid-19 ist noch sehr unvollständig. Wir wissen nicht, wie häufig solche Folgen sind, wir kennen noch nicht alle Formen von Beschwerden und Schäden und schon gar nicht wissen wir, wie lange diese Folgen andauern können. Die Langzeitfolgen spielen in der Diskussion zu Covid-19 zunehmend eine Rolle. Selbst Epidemiologen, die uns durch einen unzutreffenden Vergleich der Sterblichkeit von Grippe mit Covid-19 zu beschwichtigen versuchen, räumen ein, „anders als bei der normalen Grippe, … gebe es bei Corona Spätfolgen“.

Die Liste an anhaltenden Beschwerden durch Covid-19 ist länger und vielfältiger als die meisten Ärzte sich das vorstellen können. Solche Beschwerden schließen extreme Müdigkeit bis Erschöpfung ein, rasenden Puls, Kurzatmigkeit, Gelenkschmerzen, benebeltes Denken, permanenten Verlust des Geruchssinnes und Schädigungen an Herz, Lunge, Nieren und Gehirn. Die Wahrscheinlichkeit, ob ein Patient bleibende Symptome entwickelt, kann bisher nicht eingeschätzt werden, weil die Studien sich bisher oft auf bestimmte Spätfolgen konzentrierten, aber auch weil Studien selektionierte Patienten untersuchten (vorwiegend Krankenhauspatienten), und die Studiendauer variabel und noch kurz war.

Ein Team des Center for Disease Control and Prevention, USA, beschrieb bei einem Drittel von 270 mild erkrankten Patienten (weil keine Versorgung im Krankenhaus) nach 14-21 Tagen eine Beeinträchtigung, die eine normale Aktivität nicht erlaubte. Im Vergleich dazu sind das bei der Grippe 10 Prozent. In der Gruppe der 18-34-Jährigen ohne Vorerkrankungen traf das immer noch bei 20 Prozent zu.

Eine Studie aus Italien hat ergeben, dass von 142 Menschen, die mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus lagen, zwei Monate nach Genesung noch 87 Prozent an Symptomen wie Erschöpfung, Luftnot und Gelenkschmerzen litten. Ähnliches gilt für Patienten aus einem britischen Krankenhaus, wo die Symptome zum Zeitpunkt der Diagnose und 12 Wochen danach verglichen wurden: Kurzatmigkeit, Müdigkeit und Schlaflosigkeit dauerten am häufigsten fort, ein Verlust des Geruchssinnes („Anosmia“) fand sich noch bei 10% der Patienten.

Symptome von Covid-Patienten bei der Aufnahme ins Krankenhaus (rot) und später (blau)

Beunruhigend war eine Studie, in der, nach einer weitgehenden Erholung nach Covid-19, Kernspintomographie-Untersuchungen vorgenommen wurden. Bei annähernd 70 Prozent wurden mikrostrukturelle Veränderungen gefunden, deren Entstehung und prognostische Bedeutung aber unklar bleibt. Ob sich die 60 untersuchten von insgesamt 155 angesprochenen Patienten (alle aus einem Krankenhaus in China), von denen, die nicht in die Studie einwilligten, unterschieden, ist offen.

Wissenschaftler der Uniklinik Frankfurt haben bei ihrer Studie über die Folgen für das Herz bei einer Corona-Infektion „erschreckende Beobachtungen“ gemacht. Es wurden 100 ehemalige Corona-Patienten untersucht, von denen zwei Drittel einen milden Verlauf hatten, weil sie nicht im Krankenhaus versorgt wurden. Bei 78 Patienten konnten sie in der Kernspintomographie entzündliche Veränderungen des Herzens nachweisen, bei rund 60 Patienten diagnostizierten sie eine aktive Entzündung des Herzmuskels. Trotz kleinerer Fehler in der statistischen Auswertung bleibt die Kernaussage der Studie nach Überzeugung der Autoren unverändert gültig.

Ergebnisse der COVID Symptom Study, die auf einer Millionen in Großbritannien, Schweden und in den USA benutzten App basiert, legen nahe, dass 10-15 Prozent aller Patienten mit Covid-19, einschließlich auch solcher mit milden Symptomen, sich langsam erholen.

Die Vielfalt der Beschwerden und Schädigungen ist zuerst einmal durch ACE2, den Rezeptor für SARS-CoV-2 (das auslösende Virus für Covid-19), scheinbar leicht erklärt. ACE2 kommt in vielen Organen vor, darunter Niere, Herz, Darm, Blutgefäße und Mund-Rachen-Raum. SARS-CoV-2 ist aber zum Zeitpunkt von „späteren“ Beschwerden längst aus dem Körper verschwunden. Es muss sich also um einen Schaden handeln, der durch die Reaktion des Körpers entstanden ist, die am besten, wenn auch etwas vage als eine gesteigerte Entzündung („Hyperinflammation“) beschrieben wird. Dementsprechend gibt es keine gesicherte Behandlung dieser bleibenden Zustände, und es wird schwierig bleiben, eine Lösung zu finden. Ein Team um Trisha Greenhalgh macht aber gute Vorschläge für das Management von „post-acute-Covid-19 in primary care“ . Kortison, wie Dexamethason, senkte das Sterblichkeitsrisiko in der akut erkrankten Gruppe, die Sauerstoff benötigte (leicht bis moderat, je nachdem, ob mechanischer Beatmung nötig war), während Dexamethason für Patienten, die keinen Sauerstoff benötigten, keinen Nutzen hat .

Derweil firmieren Covid-19 bedingt chronisch Kranke in den Tabellen des Gesundheitsministeriums als „Genesene“ , auch beim Robert-Koch Institut,  in der AGES gelten sie als „Geheilt“. „Recovery“ im Englischen ist keinen Deut besser. Die Sprache der Epidemiologen ist oft unsensibel. Martin Sprenger beklagt sich, dass auf dem offiziellen Dashboard „positiv Getestete bis vor Kurzem als Erkrankte bezeichnet wurden“, während es ihn offensichtlich nicht stört, dass durch Covid-19 chronisch Kranke als „Genesene“ oder „Geheilte“ bezeichnet werden. Wie sollte man sie nennen? „Virenbefreite“ (analog zu Viral Clearance)? Oder ihren Zustand „Viruselimination“?

Ungewöhnliches zu Todesfällen berichtet Neuseeland: besonders gegen Ende des harten Lockdowns sind im Vergleich zu den Vorjahren signifikant weniger Todesfälle aufgetreten. Bei lediglich 22 Verstorbenen mit Covid-19 ist dieser Rückgang selbstredend auf andere Ursachen zurückzuführen. Da die genauen Todesursachen aber noch nicht geklärt sind (in Österreich liegen sie jeweils Mitte des Folgejahres vor), bleibt die Diskussion hypothetisch. Ich empfehle aber allen an Public Health Interessierten, sich anzuschauen, wie äußerst interessant Public Health Experten der University of Otago versuchen, den Rückgang an Todesfällen zu erklären.

Sie nennen weniger Atemwegserkrankungen, weniger Luftverschmutzung, weniger chirurgische Eingriffe (!) und weniger Autounfälle als mögliche Ursachen, warum 2020 signifikant weniger Menschen starben als 2019. Diese Diskussion unterscheidet sich ganz wesentlich von der Argumentation Martin Sprengers, der zwar ein 18-monatiges Public Health Studium in Neuseeland absolvierte, aber den „Verlust an gesunden Lebensjahren aufgrund der durch den Lockdown stattgefundenen Unter- und Fehlversorgung von anderen akuten und chronischen Erkrankungen bedauert.“

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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