Am Wort ist der Virologe: was tun mit positiven Corona-Tests?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 150

Armin Thurnher
am 13.08.2020

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Während Kurfürst Markus Söder gerade seinen Urlaub absagt und schwitzt, weil sein Ruf als effizienter Kanzlerkandidat in Gefahr ist, fahre ich zurück aus Bregenz. An der Grenze von Vorarlberg zu Bayern: nichts. Anders als bei Suben im Osten wird hier kein Coronatest angeboten, keine Schleierfahndung findet statt. Ischgl und Bergamo sind weit. Ganz sorglos wird der Westen, wenn der Osten infiziert ist. Söder bangt, weil seine effizienten Bayern es nicht schaffen, den großzügig getesteten 44.000 Urlaubsrückkehrern mitzuteilen, dass 900 von ihnen positiv getestet wurden. Das gibt ein dickes Minus bei seiner Kanzlerkandidatur. Wir lernen wieder einmal (als wüssten nicht wir in Österreich das schon die ganze Zeit): auch bei Corona geht es nur um die nächste Wahl. Unsere Seuche ist ihre Politik. Schon gellt es dem neuen Hoffnungsträger in den Ohren: „Söder kann Krise nicht!“

Umso lieber bringe ich heute einen nüchternen Text des Virologen Robert Zangerle aus Innsbruck über Sinn und Unsinn im Umgang mit Corona-Tests in medizinischer Hinsicht. Lesen Sie Zangerle, der Gesundheitsminister liest ihn auch!


Schwer zu sagen, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Was wir in der Zwischenzeit tun können: TRIQ so gut wie möglich umsetzen. Für die Wirksamkeit der TRIQ-Strategie (Testen, Rückverfolgen = Contact Tracing, Isolieren, Quarantäne) ist die Beteiligung der Öffentlichkeit von großer Bedeutung. Um ein hohes Maß an Beteiligung zu erreichen, ist es deshalb wichtig, die Bevölkerung vor negativen Auswirkungen zu schützen. Also braucht es Gratis-Tests und adäquat Unterstützung in Isolation und Quarantäne.

Ein wöchentliches Screening der gesamten Gastronomie und Tourismusindustrie ist aber alles andere als zweckmäßig, schon gar nicht ist es kosteneffektiv. Statt auf ein Wegtesten der Infektion zu hoffen, sollte man dringend Maßnahmen zur Prävention durchsetzen.

Da eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 schon innerhalb von ein bis zwei Tagen nach Ansteckung mit SARS-CoV-2 erfolgen kann (mit oder ohne Symptome), ist es aber klar, dass TRIQ allein die Pandemie nicht stoppen kann. Deshalb ist Prävention essentiell: durch Abstand halten, Händehygiene und Masken tragen. Auch die Corona App hat den Vorteil, schnell sein zu können, sie ist als unerlässliche Ergänzung zu sehen.

Ganz generell ist zu betonen, dass jeder Effekt einer Maßnahme, und sei er noch so klein, zur Eindämmung einer Pandemie genutzt werden muss. Auch da tritt eine klare, mathematisch zu berechnender Abhängigkeit zutage: selbst eine geringe Reduktion der Reproduktionszahl Reff, z.B. um 0,3, kann sich bei Werten knapp über 1 als sehr wirksam herausstellen.

Renommierte Ökonomen und Infektiologen haben in einer gemeinsamen Studie gefordert, die Fallzahlen niedrig zu halten  Das gilt ganz besonders auch für TRIQ. Kaum steigen die Infektionszahlen an, ist TRIQ am Anschlag, sodass eine Unterscheidung von Kontakten in die beiden Kategorien noch weniger getroffen werden kann, und „flächendeckendere“ Quarantänen erforderlich werden.

Deshalb macht Christian Drosten  aus Sorge vor stark steigenden Zahlen im Herbst einen ungewöhnlichen Vorschlag: „Ich plädiere nun dafür, im Fall der Überlastung nur (oder zumindest vor allem) dann mit behördlichen Maßnahmen auf einen positiven Test zu reagieren, wenn er von einem möglichen Clustermitglied stammt. Die vielen Tests, die die Politik derzeit vorbereitet, werden bald öfter positiv ausfallen und die Gesundheitsämter dann überfordern – schließlich kann man das Virus ja nicht wegtesten, man muss auf positive Tests auch reagieren.“ Die Clusteranalyse gilt als „backward tracing“ oder „retrospective tracing“, wo Infektionsorte („high spread“) gefunden werden sollen, während das normale Contact tracing einem „forward tracing“ oder „prospective tracing“ entspricht und „high risk“ (im Erwerb der Infektion) Individuen identifiziert werden können, siehe Grafik.

Adam Kucharski, Mathematiker und Infektiologe am Londoner tropenmedizinischen Institut plädiert in einem rezenten Modell für eine Kombination von forward und backward tracing, weil so annähernd doppelt so viele Infektionen vermieden werden können:

Quelle https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.08.01.20166595v1.full.pdf

Ich kann die Vorschläge von Christian Drosten natürlich nachvollziehen, bleibe aber kritisch, nicht nur weil die wichtige Botschaft, die Fallzahlen möglichst klein zu halten, verloren zu gehen droht, nein, sondern weil es eben unbedingt gilt, beides, die Einzelfallverfolgung und die Clusteranalyse, zu vereinen. Von manchen wird der Vorschlag als realitätsfremd gesehen, dass wir alle im Winter ein „Kontakt-Tagebuch“ führen sollten, weil sonst die Gesundheitsämter die auf sie zukommende Mehrarbeit nicht mehr bewältigen können.

Die AGES bekommt immer wieder internationales Lob für ihre Clusteranalyse der Ausbrüche in Österreich. Es gilt aber zu bedenken, dass etwa die Hälfte der Infektion mit SARS-CoV-2 nicht einem Cluster zugeordnet werden können. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso in Österreich die epidemiologische Abteilung der AGES nicht darauf besteht, dass die Ampel eine interne Kontrolle für das Contact tracing enthält (stattdessen enthält sie auch Nutzloses, davon mehr bei Gelegenheit).

Es wäre unbedingt notwendig (durchaus auf Ebene der Bezirksverwaltungsbehörde) systematisch die Zahl der in der Quarantäne positiv Getesteten extra zu erfassen. Das heißt zuerst einmal, dass alle Exponierten in der Quarantäne selbstverständlich getestet werden, natürlich schneller, 60-80% in 24, der Rest in 48 Stunden!), aber vor allem ist der Prozentsatz der in Quarantäne positiv Getesteten (5-15%) ein wichtiges Maß zur Qualitätssicherung. Werden überhaupt die richtigen in Quarantäne geschickt? Die eigene Erfassung der in Quarantäne positiv Getesteten ist auch wichtig zur Beurteilung der Aussagekraft der Positivitätsrate (Verhältnis der positiven zu allen bis dahin durchgeführten Coronatests), die ja neu in die Ampel kommt (wir haben schon vermuteten, dass Anschober die Seuchenkolumne liest!).

Noch ein Wort zum Wegtesten oder Freitesten. Da es bezahlt wird wurde es hier auch schon „Freikaufen“ genannt. Österreich verlangt bei Einreisenden/Rückkehrern aus Risikogebieten einen Coronatest, der die Quarantäne aufhebt, wenn er negativ ausfällt. Die Quarantänepflicht durch Tests zu ersetzen, halte ich wie Marcel Salathé (Taskforce Schweiz) für problematisch: „Es scheint mir ein etwas riskantes Spiel mit der Zeit, weil es möglich ist, dass jemand ein negatives Testresultat hat und dann später ein positives. …Genau in diesem Fenster kann man bereits ansteckend sein, und da wäre es sicherer, sich in Quarantäne zu begeben… Was ich mir wünschen würde, wäre, dass in der Quarantäne mehr getestet würde – und zwar zu Beginn, in der Mitte und am Schluss. Dann kann man schnell reagieren, und man erhält wichtige Informationen, mit denen man später die Quarantäne optimieren könnte…  Im Moment scheint mir einfach die Datenlage noch etwas dünn, um risikoreiche Strategien einzusetzen. Mit mehr Daten wäre es mir wohler, eine Test-Strategie anzuwenden anstatt der Quarantäne-Strategie.“

Mario Pulker, stellvertretender Bundesspartenobmann Tourismus in der Wirtschaftskammer, geht einen abzulehnenden gefährlichen Schritt weiter: „Es müsste wie in Altenheimen auch für den Tourismus möglich sein, die Kontaktpersonen alle zwei, drei Tage zu testen und mit Maske im Betrieb zu behalten.“

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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