Dem Diskurse dienen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 143

Armin Thurnher
am 06.08.2020

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Ich sehe den Skandal der Commerzialbank Mattersburg und denke, da stimmt was nicht. Schwierigkeiten der Mediengerechtigkeit: Tritt der burgenländische Landeshauptmann bei Armin Wolf in der ZiB2 auf, von diesem tunlich gelobt für die Tapferkeit, sich vor ihn zu wagen, so muss er doch den Preis dafür bezahlen.

Hans Peter Doskozil bei Armin Wolf, ORF ZiB 2, 4. 8. 2020

Auf Twitter verlautbarte Armin Wolf: „Ich finde es übrigens anerkennenswert, wenn sich Entscheider und Entscheiderinnen im ZiB2-Studio kritischen Fragen stellen. Ich glaube, das dient dem öffentlichen Diskurs wesentlich mehr, als nur über eigene PR-Plattformen (oder gar nicht) zu kommunizieren.“ Und er listete Leute auf, die sich ihm trotz mehrfacher Einladung nicht stellen.

Dem öffentlichen Diskurse dienen, das wollen wir doch alle, Digitalmaoisten und Printfaschisten, Funkkommunisten und Analogreaktionäre.

Im Ernst, Dienst am Diskurs ist äußerst anerkennenswert. Mir bleibt dabei doch eine kleine Frage offen. Vorausgeschickt, dass Armin Wolf nur seinen Job macht, und den macht er ja gnadenlos gut. Die Frage lautet: was tut der ORF gegen das Problem, dass man durch Nichterscheinen die Dimension einer Geschichte derart beeinflussen kann?

Ich erinnere mich an eine Episode aus meinem vergangenen öffentlichen Leben, als ich tatsächlich bisweilen vom ORF-Magazin Report zu politischen Themen befragt wurde. Nur zur zeitlichen Orientierung: das muss unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern gewesen sein.

Da geschah es mir einmal, dass ich für eine Geschichte zum segensreichen Wirken der Gebrüder Fellner befragt wurde. Ich sprach und sprach, und während ich zum öffentlichen Diskurs dienstfertig beitrug, dachte ich insgeheim bei mir schon, da wird nix draus. In dem Sinn, dass von meinem halbstündigen Referat gewiss nur ein Fünfzehnsekundenschnipsel bliebe, und zwar jenes, das mir als am wenigsten wichtig und geglückt erschien.

Wir Diskursdienstleister sind aber nicht wehleidig, so redete ich weiter und redete im Bewusstsein der Sinnlosigkeit meines Sprechens, erinnerte die Redakteurin aber daran, bitte die Erwähnung des Falter im Bildtext nicht zu vergessen, denn darum ging es mir ja vor allem.

Aber es kam besser. Weil Wolfgang Fellner den Diskursdienst und die Stellungnahme verweigerte, brachte er den ganzen Beitrag zu Fall. Man konnte, ohne ihn selbst ans Wort zu lassen, die Ausgewogenheit nicht wahren, hieß es damals.

Da sind sie mittlerweile ein Stück weitergekommen beim ORF. Aber das Problem bleibt: Wie wahrt man die Proportionen? Müsste der ORF nicht den Commerzialbank-Skandal als das präsentieren, was er ist, nämlich nicht als Dosko-SPÖ-Affäre, wie es der türkise Spin erheischt, sondern als Provinzposse mit vermutlich hauptsächlicher Beteiligung aus schwarzem Umfeld? Wer ist Martin Pucher, wer sind die Aufsichtsräte und -rätinnen der Bank, die all das durchgewunken haben, wer die ahnungslosen Partner, wie raffiniert war die Kunst des Fälschers etctera? Und zwar in jenen Sendungen, die unser Nachrichtenbild prägen?

In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Commerzialbank-Skandal längst ein SPÖ-Skandal, ja fast nur ein SPÖ-interner Skandal. Ein ungenannt bleiben sollender Medien-Herausgeber twitterte, Pamela Rendi-Wagner öffne nun wohl eine Flasche Champagner. Sollte heißen, die SPÖ-Chefin freue sich, dass ihr Rivale nun auf die Mütze kriegt. Ich denke, die Idee, ihr solche Kurzsichtigkeit zu unterstellen, passt zur allgemeinen Tendenz, die ÖVP aus Skandalen möglichst herauszuhalten.

Ich verstehe, dass nun der Verdacht turmhoch aufsteigt, Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil habe seine Regionalmarketinggesellschaft vorzeitig vom bevorstehenden Bankrott der Bank informiert, was er naturgemäß bestreitet, worauf diese versuchte, ihre 1,5 Millionen durch Überweisung zu retten.

So what, möchte man nicht gerade sagen. Aber man fragt sich in aller Betroffenheit, selbst wenn es stimmt, was wäre das größere Verbrechen, Leute durch Betrug um ihr Geld zu bringen, oder zu versuchen, aufgrund eines bescheidenen Wissensvorsprungs ein paar öffentliche Gelder zu retten? Ja, das wäre Gläubigerbevorzugung im öffentlichen Interesse, die schlimmstdenkbare Untat.

Die Nachrichten triefen vor Litigation-PR, verantwortlich sind ihr zufolge nicht Finanzmarktaufsicht, Nationalbank und Rechnungsprüfer, sondern das rote Land, ganz klar. Obwohl dieses nicht die Bank, nur die übergeordnete Genossenschaft prüfte, soviel ich weiß.

Wenn Doskozil ins Studio kommt, freut sich Wolf, und wir, die Meute, mobilisiere schon die Daumen, für rauf oder runter. Auch Doskozil ist gut beraten, den Gang in die Arena zu wagen, Distinktionsgewinn ist garantiert, und auch bei Totalversagen droht kein Amtsverlust, wie Figura Tilg zeigt. Aber noch einmal: der ORF als ganzes wäre dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Proportionen gewahrt bleiben. Das muss ein Medium seiner Größe und Bedeutung leisten (weil ich den Einwand schon höre: der Falter als kleineres Medium muss und kann das nicht, soll aber wenigsten versuchen, durch Kommentare die Größenverhältnisse einzuschätzen).

Die Proportionen verrutschen nicht nur hier. Wo ist diese Unbarmherzigkeit beim Aufdecken des kläglichen AUA-Deals der Regierung? Was bedeuten die Commerzialbank und Doskozils Rolle dabei im Vergleich zur Jahrhundertentscheidung, Österreich europapolitisch auf die Seite der „Schlichten Vier“ zu stellen? Was hören wir über den Fall Wirecard, deren Chef als Guru und Spender des Kanzlers auftrat?? „Jedem halbwegs Informiertem Prüfer hätte längst auffallen können…“, tönt es über die Commerzialbank. Jedem halbwegs informierten Kanzler nicht?

Öbag-Chef Thomas Schmid umhüllt sich, Wolf sagt es, post Ibiza mit Schweigen; wo ist der Lärm von Berichten, die dieses Schweigen unerträglich machen?

Und leider verrutschen, nicht erst seit Corona, aber seitdem auf irritierend zunehmende Weise (wer hat denn das Gesundheitsministerium so zerstört, und wer fragt danach?) die Proportionen des öffentlichen Diskursdiensts zugunsten der Regierung. Das muss man erkennen, wenn auch nicht anerkennen.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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