Zur Einstellung von addendum: Fleischhacker, Mateschitz und ich

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 142

Armin Thurnher
am 05.08.2020

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Die Recherche-Plattform addendum wurde eingestellt. Menschen fragen mich verdutzt auf Twitter, was ich daran bedauere, wo doch dieser Fleischhacker, der die Plattform leitete und den Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz dazu brachte, sie zu finanzieren, einer sei, mit dem ich nichts am Hut haben dürfte, sollte, könnte. Was ich an dem finde?

Michael Fleischhacker als Moderator

Foto APA @ Hans Punz

Das kann ich gern beantworten. Michael Fleischhacker ist weltanschaulich in so gut wie allem anderer Ansicht als ich, aber ich kann mit ihm darüber streiten. Er hat Lust an der Formulierung, er hat Freude daran, den Streit intellektuell auszutragen und er kann es anerkennen, wenn dem Gegenspieler ein Argument gelingt. Er ist ein rechter Libertärer, eher noch ein Anarcho-Libertärer mit katholischen Wurzeln. Die habe ich ebenfalls, und auch das gefällt mir, wie man sich aus vermutlich ähnlichen Voraussetzungen in verschiedener Weise entwickeln kann.

Außerdem hatte ich ein Offenbarungs-Erlebnis. Einmal kam mir die verrückte Idee, eine Aktion „Rettet den ORF“ zu initiieren.

Es war nicht die erste und einzige derartige Aktion (das Personal des ORF hatte sich schon des öfteren zu wehren gehabt), aber sie wollte dezidiert an die von 1964 anknüpfen, als Chefredakteure österreichischer Tageszeitungen, angeführt von Hugo Portisch und Fritz Csoklich, ein Volksbegehren initiierten, die dann tatsächlich zu einer Totalreform des ORF führte.

Zu meiner Überraschung schloss sich Gerd Bacher, der Langzeit-Generalintendant des ORF, dieser Aktion an. Überraschend war das, weil er gerade noch als Berater einer „Entparteipolitisierung“ des ORF unter Wolfgang Schüssel aufgetreten war, die naturgemäß eine weitere Parteipolitisierung des ORF bewirkte.

Selbst Hugo Portisch signalisierte Zustimmung zur Rettungsaktion. Es kam also auf die Chefredakteure an. Fleischhacker war damals Chefredakteur der Presse. Eine Kollegin waren beleidigt, dass nicht sie die Idee hatte und lehnte die Teilnahme ab (oder wollte sie weder mit ihm noch mit mir in einer Gruppe erwischt werden?). Andere, wie der Herausgeber eines Nachrichtenmagazins, behaupteten, sie wären am mächtigsten allein. Aber zahlreiche andere Chefredakteure taten mit, auch Bacher besuchte die Sitzungen. Er war wohl der Hauptgrund, dass Fleischhacker mitmachte.

Bei diesen Sitzungen stellte sich heraus, dass fast alle Teilnehmenden nicht als Individuen agierten, wie ich mir als kleiner Maxi die Aktion von 1964 vorstellte, sondern als Handlungsbeauftragte ihrer Herausgeber und Eigentümer. Das ergab eine merkwürdige Situation. Die sich als natürliche Gegner des ORF, weil – fälschlicherweise – als Konkurrenten auf dem Werbemarkt verstanden, sollten seine Retter sein? Nur Fleischhacker handelte als Fleischhacker. Er bewies Rückgrat. Das gefiel mir, und es entwickelte sich eine gewisse Sympathie zwischen uns.

So machte ich mit ihm ein großes Interview, als er als Presse-Chefredakteur abtrat. So sagte ich auch zu, als Hubert Patterer von der Kleinen Zeitung uns fragte, ob wir nicht ein monatliches E-Mail-Duell austragen möchten. Das tun wir nun seit einigen Jahren, und es macht mir Spaß, auch wenn das Hörnerstoßen zweier Alphatiere für manche etwas Repetitives haben mag, finden wir doch immer wieder frische Winkel, uns zu verklinken.

Übrigens kritisieren wir einander auch sonst mit aller gebotenen Härte, die kann, um in Fußballdiktion zu bleiben, durchaus raubeinig sein, aber sie bleibt meistens englisch, soll heißen, so fair es geht.

Öffentlichkeit braucht solche Auseinandersetzungen, denke ich.

An Fleischhacker gefällt mir nicht nur der Sportsgeist, auch sein Unternehmergeist. Der Mann riskiert etwas. Er schafft es immer wieder, Geld für Projekte aufzustellen, die durchaus respektgebietend sind. Das NZZ-Projekt, für addendum. Das schafft nicht jeder. Dass sie scheitern, war für die Besserwissenden eh immer klar. Scheitern kann auch gescheiter machen, aber man muss ein Boot auf See gebracht haben, um scheitern zu können.

Was Mateschitz betrifft, kann ich nur mutmaßen. Er steht in der langen stummen Schlange jener, die in Österreich mit mir nicht sprechen. Addendum passte jedenfalls nicht in das Spektrum von Breitbart bis Cambridge Analytica, mit denen amerikanische Milliardäre die politische Klimakrise aufheizen. Das könnte man schon eher der von Fleischhacker moderierten Diskussionsreihe Talk im Hangar auf servus.tv vorwerfen, bei der es ohne die zwei obligaten Rechten und oft genug Rechtsextremen nicht abgeht.

Aber wenigstens herrscht dort nicht die Hinsichtl-Rücksichtl-Mentalität des ORF, der in der Corona-Krise zeitweise zum totalen Regierungssender mutierte und der weiterhin nicht gerade dadurch auffällt, dass er regierungskritischen Stimmen besonders eifrig Raum gäbe.

Immerhin ist Mateschitz einer der ganz wenigen Kapitalisten in Österreich, die Geld in ein qualitativ interessantes Medienprojekt investierten. Das war addendum, was man auch daran erkennen kann, dass Fleischhacker knapp 60 begabte Autorinnen und Autoren dort versammelte. Für sie geschieht die Schließung der Plattform zum ungünstigsten Zeitpunkt. Aber wann kommt so etwas schon gelegen.

Mateschitz will sich, ließ er verlautbaren, wieder auf „lösungsorientierte Projekte jenseits der politischen Alltagsauseinandersetzungen“ konzentrieren. Also mindestens auf eine neue Aufklärung. Oder auf mehr Wachmacherlimonade für alle. Uns Problemorientierte lässt er verdursten.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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