Schweden hat strengere Corona-Maßnahmen als Österreich!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 140

Armin Thurnher
am 03.08.2020

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Heute ist wieder Robert Zangerle am Wort. Der Virologe aus Innsbruck hat einen interessanten Vergleich vorgenommen, der nicht nur Laien wie mich verblüffen wird. Nur noch ein Wort zur gestrigen Kolumne: aufgrund eines technischen Problems wurde niemand, der sie abonniert hat, von Ihrem Erscheinen verständigt. Bei Interesse können Sie sie unter dem unten angegebenen Link nachlesen. Der Sobotkismus wird naturgemäß weiterhin bekämpft. Auch von der Kater- und der Schnittenfront gibt es demnächst hier mehr zu berichten. Jetzt aber zu Zangerle:

Schweden galt als Land mit den lockersten Corona-Auflagen. Doch schon vor Wochen ist es von Österreich überholt worden.

Foto APA © Christoph Stache

Mit seinen lockeren Corona-Auflagen wird Schweden der Freiheiten wegen gelobt, aber wegen hoher Infektions- und Todesfällen auch kritisiert. Doch Österreich hat bereits seit Juni weniger strenge Auflagen als Schweden. Ein von der Universität Oxford berechneter Index zeigt, dass Österreich nicht nur lockere Auflagen als Schweden hat, sondern auch lockerer vorgeht als seine Nachbarstaaten.

Was in dieser Diskussion über Maßnahmen oft vergessen und von den Proponenten der „Herdenimmunität“ gerne verschwiegen wird: Schweden setzt nach wie vor sehr starke Maßnahmen. Hier zwei Beispiele.

  1. Nationales Besuchsverbot in Altersheimen. In Schweden gilt im ganzen Land nach wie vor ein Verbot für Besuche in Altersheimen (seit 1. April). Ein Leiter eines Altersheims kann in besonderen Fällen jedoch Ausnahmen bewilligen. Österreich hat die Bestimmungen für Altersheime seit 4. Mai bereits schrittweise gelockert; unterdessen dürfen Besucher die Räumlichkeiten wieder betreten. Vereinzelt wurden Altersheime hierzulande wegen neuer Corona-Fälle für Besucher jedoch gesperrt.

  2. Keine Ansammlungen von mehr als 50 Leuten. Öffentliche Versammlungen und Veranstaltungen sind in Schweden schon seit 29. März nur bis 50 Personen erlaubt. Die Regel gilt noch heute: Die Polizei ist nach wie vor befugt, durchzugreifen und eine Versammlung aufzulösen. Wer eine Veranstaltung, wie zum Beispiel eine Demonstration, organisiert und gegen die 50er-Regel verstößt, kann gemäß Verordnung der schwedischen Regierung mit einer Geldstrafe oder gar einer Freiheitsstrafe von einem halben Jahr bestraft werden. In Österreich wurde ab 29. Mai eine 100-Personen-Regel eingeführt, und ab 1. Juli 2020 waren Veranstaltungen mit zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen in geschlossenen Räumen mit bis zu 250 Besucherinnen/Besuchern und mit zugewiesenen und gekennzeichneten Sitzplätzen im Freiluftbereich mit bis zu 500 Besucherinnen/Besuchern möglich. Die Ausgangsbeschränkung für ganz Österreich ist seit 1. Mai aufgehoben.

Österreich ist eines der lockersten Länder! Anhand von neun Anhaltspunkten hat die Universität den «Government Response Stringency Index» berechnet, mit dem sich die Stärke der Corona-Maßnahmen verschiedener Länder vergleichen lässt. Auch gemäß diesem Index zeigt sich, dass Österreich weniger strenge Schutzbestimmungen als Schweden hat.

Aus: Oxford Government Tracker 2020

Einen wasserdichten Beweis für einen direkten kausalen Zusammenhang von Maßnahmen und der Verbreitung mit dem Coronavirus gibt es zwar nicht, aber die Hypothese, dass beides zusammenhängt, ist common sense. So nähern sich die Zahlen an neuen Infektionen in Schweden und Österreich einander an, und Italien wird wegen der sehr niedrigen Zahlen an neuen Infektionen, trotz vieler Lockerungen bei immer noch strengeren Regeln, bereits als neues Vorbild diskutiert (hier  und hier ).

Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten 7 Tagen

Italien                  3,2

Deutschland       5,6

Österreich           9,7

Schweiz             10,1

Schweden         14,3

(Quelle hier )

In der öffentlichen Diskussion werden häufig Wirtschaft und Gesundheit gegeneinander abgewogen. Diese Abwägung beruht auf der Vorstellung, dass allein die konkreten Maßnahmen die Wirtschaft schwächen, doch diese Idee hat sich als falsch herausgestellt: Auch die Angst der Bevölkerung vor Corona lähmt die Wirtschaft. In einer viel beachteten Studie wurden die Ausgaben anhand einer skandinavischen Großbank von Personen in Dänemark, wo die Regierung ein Shutdown angeordnet hatte, mit Personen aus Schweden, wo die Regierung keinen generellen Shutdown verordnete, verglichen. Insgesamt kam es in beiden Ländern zu großen Reduktionen in den Ausgaben, 25% in Schweden und 29% in Dänemark.

Zwei hervorstechende Resultate überraschten viele: einerseits gingen die meisten Kürzungen direkt auf die Verbreitung des Virus zurück, unabhängig von staatlichen Maßnahmen. Andererseits erlaubte die Eingrenzung der Verbreitung des Coronavirus durch staatliche Maßnahmen der älteren Bevölkerung größere ökonomische Aktivitäten (über 70-Jährige Schweden gabe signifikant weniger aus als die Gleichaltrigen in Dänemark). Hier oder hier anschaulich zusammen gefasst.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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