Das Rotschwänzchen-Massaker

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 137

Armin Thurnher
am 31.07.2020

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Man muss es zugeben, von allen Vögeln hier herum sind die Rotschwänzchen die dümmsten. Zumindest will es so scheinen. Man meint, die Jungvögel könnten fliegen, und sie fliegen auch, dann aber sitzen sie herum, als seien sie übermannt von dieser Fähigkeit. Also ich wäre übermannt. Sie sind übervögelt und staunen über dieses Vermögen, das ihnen zugeflogen ist, und dieses Staunen lähmt sie und macht sie zu einem feilen Opfer kätzischer Mordlust.

Katzenopfer dank Fliegenkönnen.

Jungrotschwanz, übervögelt vom Vermögen, fliegen zu können

Eben flog der kleine Matz noch meterweit, nun sitzt er da, sieht er den Kater nicht, warum fliegt er nicht weg?

Seine Mutter zetert ein paar Meter höher, aber er scheint sie nicht zu hören (in solchen Fällen geht man wegen Blödheit von einem Er aus). Kürzlich saß so einer im Hochbeet eine halbe Stunde unter Erbsen, während ihn die Mutter suchte. Dann erschien er und flog hinüber über die Mauer, wo er erneut eine Viertelstunde verharrte, dem Gezeter der Eltern zum Trotz.

Es ist die Außenmauer, auf die der Scheckerlkater von den linken Nachbarn gern hinaufspringt (Hannibal tut so, als wäre er dafür längst zu ungelenkig, aber unser Verdacht ist, er verzichtet darauf, weil es sich für ihn nicht auszahlt. Er spart Mordenergie). Scheckerl ist jung, beige-rot-weiß gefleckt, geschmeidig und von einnehmender Blödigkeit im Gesichtsausdruck. Er ist uns wichtig, weil er die Wühlmäuse in Serie vertilgt, zu denen ich, dem Naturschutzbund sei’s geklagt, nicht einmal ansatzweise eine derart emotionale Bindung aufbauen kann wie zu den Vögeln, obwohl ich erkenne, dass sie genauso herzeinnehmende Nestchen bauen wie diese.

Scheckerl also halten wir für nützlich, wenn er Mäuse fängt, und für einen Mörder, wenn er sich an Singvögel macht.

Noch schlimmer steht es um Fredi, die Keks-Katze von den rechten Nachbarn, vielleicht benannt nach dem leersten Gebäck aus dem Schnittenpalast, aber seinem Namen zuwiderlaufend gibt Fredi eine erstaunliche prunkvolle Erscheinung in der Natur ab, denn er ist weiß. Seine Mutter, ebenso weiß wie er, bildete mit ihm ein unerhörtes Schreckensgespann für alles Kleingetier. The terror of whiteness. Zusammen streiften sie wie zwei weiße Kleintiger durchs Unterholz und richteten dort Blutbäder an, die ich mir gar nicht ausmalen will. Bis Fredis Mutter von einem Auto überfahren wurde. Seither streift Fredi allein, aufgrund seiner bleckenden Weißheit jederzeit von überall sichtbar. Er wirft sich auf den Rücken, wenn er mich sieht und spricht mit mir, läuft aber davon, wenn seine Besitzerin nicht in der Nähe ist. In ihrer Gegenwart lässt er sich von mit streicheln.

Irena, meine Frau, hat den Verdacht, dass Fredi und Scheckerl oder gar beide sich in der Nacht hereinschleichen und Hannibals Futternapf leerfressen. Er kann sich ja nicht wehren, der arme Alte.

Erzählt dies, und während sie redet, geht sie hinüber in den Kies und spricht. Er hat ihn gefressen, mit allem was an ihm dranhängt, mit dem Schnabel, den Augen, den Krallen, nur drei Federn ließ er übrig. Da sind sie. Nein, es ist nur mehr eine da, die anderen hat er auch geholt, rochen wohl noch nach Jungvogelblut. Ich konnte nichts machen, ich kam zu spät.

Mit Trommelbauch sitzt er behaglich auf der Brücke, der Missetäter, er hat es geschafft, die Saison ist für ihn nicht ganz verloren. Fünf Schwalben, vier Bachstelzen, sechs Rotschwänzchen gingen ihm vor der Mörderschnauze vorbei, fliegen unerreichbar für ihn vor ihm herum. Wir sperrten ihn ein, machten ihm das Jägerleben schwer, er tat, als sei er lahm und könne sich kaum noch bewegen, fraß nichts, zog sich auf einen erhöhten Posten auf der geflochtenen Truhe zurück, von er aus er den Hof überschaute.

Er stirbt, sagte Irena voller Empathie. Ich war skeptisch, zu schnell ging mir die Verwandlung. Wir dachten dann doch beide, er sei krank, weil er nichts fraß und unversehens aus der Küche rannte wie von der Tarantel gestochen, er aber hörte die Schwänzchen zwitschern und keckern, 5000 Strophen singen sie am Tag, von früh bis spät, sechs Stunden Gesang in Summe, er hörte sich das an, wollte nichts verpassen, keine Sekunde, keine Strophe, keine Chance zu töten, denn er wusste, so oft kommt die Gelegenheit nicht mehr daher in seinem Leben, das zwar, wie der Tierarzt sagte, lang sein konnte, aber mit sechzehn Jahren doch zum überwiegenden Teil schon gelebt war.

Als es getan war, wandte sich Hannibal wieder dem Dosenfutter zu, als sei nichts geschehen, nahm seinen üblichen Platz ein, ging, wie er vorher gegangen war, schnurrte, wie er stets geschnurrt hatte, wenn man ihn streichelte.

Aber in seinen Ohren ist immer noch Rotschwänzchengesang. In seinen Augen ist immer noch Mord. Er geht wirklich schwerer. Vielleicht stirbt er doch.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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