„Eskalierende Plünderung“

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 136

Armin Thurnher
am 30.07.2020

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Ich habe einen Fehler gemacht. Ich mache dauernd Fehler, dieser wurde gleich korrigiert und wird auch hier noch einmal richtiggestellt. Wo die SPÖ und ihre Vorsitzende seien, fragte ich rhetorisch in meinem Kommentar „Seinesgleichen geschieht“, und in einer Aufzählung ärgerlicher Tatsachen, die eine kräftige Opposition verlangen würden, fragte ich auch, wo sie bleibe

„… angesichts der 200.0000 wöchentlichen Euro für die Be­raterfirma McKinsey, die Corona-Tests organisieren soll, die nicht stattfinden, nicht einmal annähernd im versproche­nen Rahmen?“

So weit, so schlecht. Denn das Unternehmen McKinsey teilte mir umgehend mit, was es der Welt schon mehrfach in einer gleichlautenden Presseaussendung mitgeteilt hatte:

„McKinsey wurde im Rahmen des Projekts Safe A/COVID-19-Testungen im Tourismus zu keinem Zeitpunkt bezahlt, weder von der öffentlichen Hand noch von Privatunternehmen.Einige der beteiligten Labore haben gemeinsam mit McKinsey an der Entwicklung eines möglichen umfassenden COVID-19-Testsystems gearbeitet. In diesem Zuge gab es auch die Überlegung privater Labore, McKinsey mit einer bezahlten Unterstützung zu beauftragen (u.a. für Projektmanagement, Optimierung Logistik, IT-Konzeption). Eine solche Beauftragung kam jedoch nicht zustande, so dass McKinsey aktuell nicht mehr an dem Projekt beteiligt ist.Auch das BMLRT und die WKÖ haben dies unseres Wissens nach bestätigt.“

Ich stelle also, wie orf.at und andere Medien fest, meine Behauptung war falsch. Ich hatte sie, Höchststrafe, aus der Kronen Zeitung, und Anfängerfehler, nicht selbst überprüft. Auch gibt es eine parlamentarische Anfrage von SPÖ und Neos zum Thema. Die Affäre sieht mittlerweile anders aus, es geht um eine ÖVP-nahe Kommunikationsagentur, die auch für McKinsey arbeitete. Details hier und hier. Den Kanzler-Freunderlsumpf um Wirtschaftskammer und Tourismusministerium werden wir mit Interesse beobachten.

In einem internen Mailwechsel sagte ich, ich sei froh, dass McKinsey nicht seine Finger in der Organisation der Tests habe. Was daran so schlimm wäre, fragte mich daraufhin ein Kollege. Zuerst dachte ich, er wolle mich nur ärgern. Dann aber merkte ich, er meinte es ernst. Er ist ein Hardcore-Modernist, der wie alle guten Journalisten, ständig alles anzweifelt, so auch mich.

Daher darf ich eine ebenso ernste, kurze Antwort versuchen. McKinsey steht als Chiffre für globalen Shareholder-Value. Im Team und im beratenden Umfeld von Sebastian Kurz befinden sich mehrere Menschen, die in Beratungsfirmen sozialisiert wurden (Markus Gstöttener bei McKinsey, Bernhard Bonelli und Antonella Mei Pochtler, die „Schattenkanzlerin“, die mittlerweile etwas mehr in den Schatten gerückt ist, bei der Boston Consulting Group). Auch in der ersten Krisengruppe der Regierung tauchte ein kleines Papier von McKinsey auf.  Von den ökonomischen Beratern des kanzlernden Sparefroh wollen wir gar nicht anfangen, aber es scheint nicht verkehrt, eine Art türkisen Shareholder-Spirit in Denken und Handeln dieser Regierung zu erkennen.

Auslagerung an Private scheint modern und widerspricht doch einem zentralen Prinzip von demokratischer Verwaltung. Sie hat sich nämlich am öffentlichen Wohl zu orientieren; Beratungsunternehmen, die Shareholder Value zum obersten Prinzip erheben, orientieren sich hingegen am Wohl des Einzelnen.

Sparefroh-Mosaik im Donaupark, Sinnbild unserer Regierung? Foto @ Herzi Pinki

Man kann das moralphilosophisch schlicht mit dem berühmten Satz des holländischen Sozialtheoretikers Bernard Mandeville (1670-1733) rechtfertigen, „private vice is public benefit“, also das private Laster der Bereicherung komme letztlich doch der Allgemeinheit zugute. Trickle-Down-Theorie ist ein anderer Name für diesen längst widerlegten frommen Wunsch. In der Realität müssen wir von streaming up statt von trickle down reden: In den USA haben die Corona-Hilfsmaßnahmen der Regierung und der Fed dazu geführt, dass zwischen 18. März und 4. Juni dieses Jahres das Vermögen der US-Milliardäre um 565 Milliarden Dollar zunahm, anders als es die wirtschaftliche Situation nahelegen würde. Der US-amerikanische Historiker Robert Brenner, ein Marxist, beschreibt das in einem atemberaubenden Text über „eskalierende Plünderung“.

Ungern gestellte Fragen: Wie schaut es bei uns damit aus? Wer profitiert bei uns von (echter oder, wie üblich gefaketer) Kurzarbeit und anderen Maßnahmen?

Ein weiteres Problem: wenn die öffentliche Hand sich selbst verarmt, kann sie auf Dauer keinen funktionierenden Staat aufrechterhalten. Wissenschaftsminister Heinz Fassmann hat kürzlich zu Recht den Wunsch nach einem österreichischen Robert-Koch-Institut geäußert. In der durchaus wirtschaftsfreundlichen Schweiz haben öffentliche Stellen wie die ETH und nicht private Organisationen wie das Rote Kreuz für die Corona-App gesorgt (sie ist besser und komplexer).

Der Staat kann sich durchaus privat organisierter Organisationen bedienen, aber nicht solcher, die ihm sagen, wie er funktionieren soll. Denn ihre Interessen sind den seinen entgegengesetzt. Erkennt er das nicht, sondern macht er eine doofe Ideologie daraus („mehr privat, weniger Staat“), führt das zur Selbstentmächtigung des demokratischen Gemeinwesens.

Diese systematische Entmächtigung der Verwaltung wegen Misstrauens gegenüber parteipolitisch anders orientierten Beamten richtet sich gegen den Gedanken des österreichischen Beamten. Dessen Idee, gemeinhin bekannt als Ideal des mariatheresianisch-josefinischen Beamten, steht aber für die Idee eines Staats als Gemeinwesen. Werden diese Leute – es gibt sie noch! – nicht in Anspruch genommen (wie der Verfassungsdienst, der von der ÖVP ins Besenkammerl gestellt wurde), oder entmachtet, wie durch die weisungsbefugten Generalsekretäre, verfallen ihre Fähigkeiten. Zu unser aller Schaden.

McKinsey & Co stehen für diesen Verfall, für das Gegenteil des Staats als Gemeinwesen. Die Überlebensfrage eines demokratischen Staates lautet also: wie schaut eine moderne Verwaltung aus, die nicht bürokratisch verknöchert, sondern effizient agiert, ohne deswegen öffentliches („unser aller“) Vermögen zur Plünderung bereitzustellen?

Das mindeste wäre im übrigen Transparenz in den Beziehungen des Staates zu privaten Auftragnehmern. In der Slowakei sind solche Vertragsverhältnisse öffentlich einsehbar. Das müsste doch im stolzen Österreich ebenfalls möglich sein. Ehe wir in an dieser türkisen Mischung aus Dilettantismus und Privatisierungswut ersticken. Und ich vor lauter Eifer noch mehr Fehler mache! Aber vielleicht lässt sich aus ihnen etwas lernen.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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