Landleben, Jagd und Shreddergate

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 132

Armin Thurnher
am 26.07.2020

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Heute bin ich spät aufgestanden. Licht war schon überall in den Zimmern. Der Wind geruhte zu ruhen. Sobotka zum Rücktritt auffordern, zum 45. Mal. Mut zur Aussichtslosigkeit kultivieren. Wenn man diese Kultur zum Lebensinhalt macht, kann was draus werden: Aussicht auf Aussichtslosigkeit. Im Radio Corona-Meldungen, wie immer. Ist das ein Tag! Schon verdirbt ihn der Wetterbericht. Dörte Lyssewski und Marion Poschmann richten es wieder.

Gestern waren wir bei netten Bekannten eingeladen, keineswegs Sozialdemokraten oder Grüne (das erste hier herum noch seltener als das zweite), aber auch keine sturen Schwarzen. Bei Kurz spüren sie ein Unbehagen, sagen sie. Nichts dahinter, aber das Davor perfekt. Die Sozialdemokratie ist hier so fern wie der Mond, nur weniger gut sichtbar.

Die Sozialdemokratie ist hier so weit weg wie der Mond, nur weniger gut sichtbar

Foto @ESO/B. Tafreshi/TWAN

Ich überlege mir, was ich Leuten antue, wenn ich mich mit ihnen sehen lasse. Wer kann es sich schon leisten, für einen Kommunisten gehalten zu werden? Manchmal denke ich, es erfordere Mut, mit mir selber zusammen zu sein. Schwachsinn. Allerdings kam einmal der Nachbar gelaufen, als mich einer in der Kronen Zeitung einen Bolschewiken nannte. Er wollte sehen, ob er er mich vor etwaigen Lynchkommandos beschützen müsse. Aber die Krone ist auch nicht mehr, was sie einmal war.

Mein Beschützer ist der Jäger hier. Einer der Jäger, wir haben Gemeinschaftsjagden, das ist demokratisch und macht die Jagd Leuten zugänglich, die etwas davon verstehen und nicht im Pyjama in ein Gatter gehen, um auf gräfliche Einladung gegen Geld ein Bambi umzunieten.

Demokratie heißt aber auch Streit, immer stellt sich die Frage, welche Gemeinschaft die Jagd pachten dürfen soll. Und was sie mit Leuten macht, denen auch ohne Pyjama das Ethos abhanden kommt. Die mit dem SUV in den Wald fahren und mit Licht und automatischen Waffen jagen. Vielfältig ist das Landleben.

Bei anderer Gelegenheit fragte man mich nach Shreddergate. Was war auf den Festplatten, die der Bundeskanzler auf merkwürdigste Weise beseitigen ließ? Zur Erinnerung: ein Mitarbeiter erschien bei einer Shredderfirma, gab einen falschen Namen an, nahm den Vorgang des Shredderns auf seinem Handy auf und verlangte anschließend den Shredderstaub , um ihn in Plastiksäcken davonzutragen. Das Ganze zeitnah zum Platzen des Ibiza-Skandals, der den Kanzler so völlig unvorbereitet traf. Sebastian Kurz hatte ja keine Ahnung, mit wem er da eine Koalition eingegangen war, was dieser Strache für einer war. Die Regierung platzte, und der Kanzler musste offenbar unter Missachtung der vorgeschriebenen Abläufe dringend ein paar Dokumente beiseiteschaffen lassen.

Leider deckte der Falter das – ritsche-ratsche – auf.

Der shreddernde Mitarbeiter ist längst wieder im Dienst des Bundeskanzlers, nachdem er kurzfristig suspendiert worden war (er hatte nicht nur einen falschen Namen angegeben, er hatte auch die Rechnung fürs Shreddern nicht bezahlt, so war die Sache überhaupt aufgeflogen).

Aber es ging noch besser. Eine ermittelnde Sonderkommission befasste sich im Innenministerium mit der Sache. Das ist heutzutage eine gefährliche Drohung. Diese Bemerkung ist nicht aphoristisch gemeint. Es ist in der Tat bedrohlich, wenn Polizei und Justiz nicht sachlich, sondern im Dienste einer Partei agieren, denn ein Rechtsstaat ist auf deren Neutralität angewiesen. Es war der Kanzler, der Anfang dieses Jahres die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft öffentlich unter den Verdacht stellte, sie agiere im Dienst der SPÖ. Das Innenministerium untersteht seit 2000 ÖVP-Ministern.

Nun kommt heraus, dass der ermittelnde Polizist der Soko, der schon für die ÖVP als Gemeinderat kandidierte, nicht nur Strache ein SMS schickte, in dem er ihn ermunterte, nach Ibiza nicht abzutreten. Das sei geschehen, hieß es, um sich bei Strache als Informant einzuschleichen. Der Starche-Fan tat also nur so, als wäre er einer. Mag sein, wenn es auch nicht sehr glaubwürdig klingt.

Nein, seinem Auftrag, über Shredderer zu ermitteln, kam der Soko-Polizist ebenfalls bemerkenswert lax nach. Das Handy des Kurz-Mitarbeiters inspizierte er schnell und oberflächlich und gab es gleich zurück. Wie dieser Tage bekannt wurde  , nahm er auch davon Abstand, den Laptop des Verdächtigen zu beschlagnahmen, weil er bei einem Besuch in der ÖVP-Zentrale vom Chefberater des Kanzlers gesehen wurde. Seine Ermittlungen seien deswegen hinfällig geworden.

Eine Ausrede, die nicht einmal in den Plot eines drittklassigen TV-Vorabendkrimis Aufnahme fände. Dafür kommen die Chefs dieses ermittelnden Beamten, die seine Berichte abzeichneten, allesamt aus dem Umfeld des Kanzlers. Das sind bei weitem nicht die einzig merkwürdigen Umstände dieser Shredderei. Dass Festplatten entsorgt werden, ist nämlich nicht ungewöhnlich, aber die Weise, auf die es geschah, ist es durchaus.

Und was war denn auf den Festplatten? Der Soko-Bericht teilt mit, es habe sich um „interne Speicher von Multifunktionsgeräten“ in den Kabinetten von Sebastian Kurz und Gernot Blümel gehandelt. Und: „Es darf darauf hingewiesen werden, dass Videos weder gescannt noch gedruckt oder gefaxt werden können.“

Niemand nimmt an, dass sich das Ibiza-Video auf diesen Speichern befunden hätte. Wohl aber könnten zum Beispiel darauf Szenarien gewesen sein, wie man damit umgeht, mithin Beweis, dass die ÖVP lange vor der Veröffentlichung über das Video Bescheid wusste. Aber das, versicherte ich meinen neugierigen Bekannten, sind nur Spekulationen.

Für die entstandene Ungewissheit ist Kanzler Kurz allerdings mindestens mitverantwortlich, denn sie könnte man nur beseitigen, würden die Festplatten noch existieren. Er hat beides selbst beseitigt, Festplatten und Gewissheit.

Anzunehmen, dass er auch das weglächeln wird können. Der Himmel hat sich mittlerweile mit Wolkendunst bedeckt. Trotzdem schönen Sonntag!

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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