Auch die Demokratie hat einmal schmutzig angefangen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 130

Armin Thurnher
am 24.07.2020

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Toleranz wäre das Wort der Stunde, schrieb ich hier kürzlich. Anlass war ein Aufruf von amerikanischen Intellektuellen, der auch auf deutsch erschien. Dieser wiederum bezog sich auf die Cancel-Culture, die ihr Heil im Eliminieren von Gegnern, Denkmälern und Wörtern sucht und von besorgteren Menschen als Vorzeichen eines nicht mit zivilisierten Mitteln zu bändigenden Konflikts aufgefasst wird.

Wobei wir nicht vergessen, dass der Krieg durchaus zu den zivilisierten Mitteln gerechnet wird. Er ist bekanntlich der Vater aller Dinge. An dieser Aussage würde heute vor allem die gendermäßige Unregelmäßigkeit bemerkt.

Vor Jahren bekam ich einen Toleranzpreis umgehängt. Ich war für Preise stets dankbar. da sie in der Regel mit Geldzuwendungen verbunden sind, habe mich aber ein Leben lang davor gehütet, sie als Bestätigung meines Werks oder meiner Person aufzufassen. Anerkennung gern, Gütesiegel nein.

Manche Prädikate wachsen sich auch zu Peinlichkeiten aus, die man nur mit Humor ertragen kann. In meinem Fall ist das die Herausgeberlegende, abgeleitet von der lebenden Legende, einer contradictio in adjecto, weil Legenden üblicherweise entstehen, wenn ihr Gegenstand, weil im Jenseits aufhältig, nicht mehr greifbar ist. Naja.

Wenn ich lese, wie sich manche Kolleginnen als „preisgekrönte“ Journalistinnen ausloben lassen und wirklich meinen, das und nicht ihre Arbeit zeichne sie besonders aus, denke ich gern daran, dass für manche Organisationen das Journo-Preisverleihen auch nur ein Racket darstellt.

Sockel des Lueger-Denkmals in Wien. Kultur und Barbarei, in vielen Schichten.

Foto Apa @ Roland Schlager

Der „Friedenspreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln“ gehört nicht in diese Kategorie. Der hat mich wirklich gefreut und zugleich naturgemäß gekränkt, denn es war ein Preis fürs Lebenswerk. Heißt, wie bei Oscars, in keinem einzelnen Film warst du gut genug, aber du bist schon so lange da, also sollst du auch einmal etwa bekommen. So bekam ich ihn.

Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels wird in der dortigen Öffentlichkeit ernstgenommen, wer ihn bekommt, hält eine Rede, die zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse internationale Beachtung erfährt. Eine Rede zum Preis des österreichischen Buchhandels wird im Standard abgedruckt und in der Mittags-ZiB in einer halben Minute abgetan. Keine Hard News, und in der Tat hatte ich nicht Wichtiges zu sagen, außer ein paar Dingen über Medien und Toleranz, denn für diese war ich ja ausgezeichnet worden.

Ich werde heute nicht fertig, all das nur anzudeuten, was ich seitdem zu diesem Thema gesagt habe. Bei manchem kann man sich nur wiederholen, also fange ich einmal damit an. Ich sprach über die Rolle der Presse, jenes in voller Blüte verschwindenden Wesens, und davon, wie die institutionalisierte österreichische und internationale Medienkorruption das Verschwinden der publizistischen Idee begünstigt. Wer will, kann das noch nachlesen.

Die Lage hat sich nicht geändert, sie hat sich nur überall verschärft, von Trump bis zu unseren Türkisen.

Zur Toleranz sagte ich wenig, aber ich begann, mich mit dem Begriff auseinanderzusetzen. Im Falter und in ein, zwei Reden habe ich dann einiges präzisiert. Zum Aufwärmen möchte ich, leicht redigiert, aus einem Seinesgleichen-Kommentar  zitieren:

Toleranz meint jedoch entgegen verbreiteter Ansicht eben nicht, Missstände zu dulden, obwohl das Wort ursprünglich genau das heißt: Duldsamkeit. Allein, der Begriff hat sich gewandelt. Toleranz bedeutet längst, anderes und andere anzuerkennen, gerade dann, wenn man nicht ihrer Ansicht ist, und gerade dann, wenn einem die Ansichten des anderen gegen den Strich, auf die Nerven oder sonst wohin gehen. Toleranz endet erst dort, wo die anderen Dinge fordern, die an die Substanz der gegenseitigen Anerkennung gehen.

Die französischen Revolutionäre haben diesen Toleranzbegriff in Form der Menschenrechte vor 231 Jahren festgeschrieben. Ein Abrücken davon kann die Demokratie nicht tolerieren. Toleranz hat also mit falscher Duldsamkeit nichts zu tun, wenngleich man vom Toleranten verlangen muss (oder besser er von sich selber), dass seine Toleranz bis an die Grenze des ihm Erträglichen geht. Die Grenze ist festgeschrieben. Gemeinsame Sache mit Feinden der Toleranz zu machen, geht nicht.

Die Duldsamkeit muss strapaziert werden, bis an die Grenze. Strapaze bedeutet hier argumentative Arbeit und scharfe Kritik, die wieder verlangt Kenntnisse und nicht bloß wohlfeile Vorurteile.

Ich hätte mir ein gewisses Echo auf einen Gedanken aus meiner gestrigen Kolumne erwartet (bin aber auch mit stillem Nachdenken zufrieden), dass wir der eigenen Geschichte gegenüber zur Toleranz fähig sein müssen. Sonst bleibt uns nämlich bald nichts außer Faustrecht. Auch die Demokratie selbst wird anrüchig, wenn man ihr verengend die historischen Umstände ihrer Entstehung ankreidet.

Was sagen denn die neuesten Freunde und Freundinnen demokratischer Gleichberechtigung dazu, dass ihr Idee selbst nichts gälte, wenn sie bedächten, dass die Demokratie selbst klein und schmutzig anfing: unter Ausschluss von Frauen, Sklaven, Fremden? „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein“, sagt Walter Benjamin, und ich werde nicht müde, diesen Satz zu zitieren. Er bedeutet nicht, wir müssten das Dokument als entwertet auf den Misthaufen der Geschichte werfen, weil wir seinen Makel erkennen. Vielmehr müssen wir unser Wissen erweitern, um unsere Toleranz zu begründen, das heißt abwägen zu können, ob der kulturelle Gehalt eines Dokuments (oder die Leistung eines Menschen) es wert ist, seinen Makel zu ertragen. Abkürzungen helfen dabei nicht. Man muss mitunter weite, mühsame Wege gehen. Toleranz und Totalitarismus schließen einander hingegen aus. Mit Intoleranz und Enge kommt die Linke nirgendwohin.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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