Gestaltungsanspruch? Wir gestalten, indem wir darauf verzichten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 125

Armin Thurnher
am 19.07.2020

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Manchmal muss man abwarten, ob ein Warnschuss der letzte Schuss war, oder ob er nicht doch Wirkung zeigte, und alles gut wird. Im Fall der Europäischen Rundschau, der von Paul Lendvai herausgegebenen außenpolitischen Revue, weiß man nun Bescheid. Lendvais Interview im vorletzten Falter ließ an Deutlichkeit so wenig zu wünschen übrig, dass man vielleicht eine Schamreaktion erwartet hätte, eine Selbstbesinnung, eine kleine Kurskorrektur, eine madige Geste vielleicht, von irgendjemandem, der sich in Österreich für publizistisch-politische Kultur verantwortlich fühlt.

Paul Lendvai

Foto @ Heribert Corn

Es kam nichts. Da ist niemand. In Zeitungen erschienen ein paar dürre Meldungen. Die Neue Zürcher Zeitung nahm vor fünf Tagen Notiz und zitierte Lendvais Abschiedsinterview:

»Die Europäische Rundschau war nicht nur Paul Lendvais „Kind“, der renommierte Journalist, der in der gesamten Zeit als Herausgeber und Chefredaktor amtiert hat, ist auch ihr Motor und Impulsgeber gewesen, der mit feinem Spürsinn Tendenzwenden ausmachte und aufkommende Phänomene identifizierte. Die anspruchsvollen Ziele waren dabei von Anfang an hoch gesteckt: eine mitteleuropäische Entsprechung zu Foreign Affairs, die es mit Publikationen wie Commentaire an intellektuellem Niveau und thematischer Vielfalt aufnehmen konnte. Karel Schwarzenberg hatte 2013 zum vierzigjährigen Jubiläum die herausgehobene Rolle der Zeitschrift in ganz Mitteleuropa gerühmt und sie „zu den wesentlichsten Produkten“ gezählt, „die Österreich in seiner Generation zustande gebracht“ habe.

Wenn die Europäische Rundschau jetzt eingestellt wird, so liegt dies gewiss nicht daran, dass ihr die Themen ausgegangen wären. Den Grund hat Paul Lendvai in einem Interview mit dem Falter in schonungsloser Offenheit benannt, indem er auf die weggebrochenen Inserate aus der österreichischen Wirtschaft verwies. Der Bittgang zu den Inserenten sei für ihn zur „Schule der Erniedrigung“ geworden. Heinz Fischer, ehemaliger Bundespräsident und Präsident des Kuratoriums, hat es in seinem Abschiedsbeitrag diplomatischer formuliert, als er schrieb, dass „heute das Geld von Regierung und Wirtschaft in andere Richtungen fließt.«

„Nach 47 Jahren“ – die letzte Ausgabe der europäischen Rundschau

Wem meine Klagen über ein fehlendes Bürgertum in Österreich und die fatalen Folgen dieses Fehlens auf die Nerven gehen, der bekommt hier wieder einmal Anschauungsmaterial für deren Berechtigung. Anschauungsmaterial zum Schämen. Das Land Oberösterreich schiebt dem Industriellen Pierer Hunderttausende für ein Motorradmuseum hinüber; einen Zusammenhang mit Parteispenden für die ÖVP will ich gar nicht herstellen, mir genügt die Tatsache, dass zugleich wesentlichen Kulturveranstaltungen in Oberösterreich das Geld gekürzt und stattdessen oligarchenfreundlichen Veranstaltungen wie Pierers „Museum“ hinübergeschoben wurden.

Die Oligarchisierung Österreichs bedeutet zugleich eine weitere Entbürgerlichung. Ein Bürgertum, das auf sich hielte, würde nicht einfach einem immer weniger verschämten Nehmertum frönen. Es würde vielmehr darauf achten, dass es sich nicht nur bereichert, sondern Organe erhält, in denen es sich selbst darstellen und in einer qualifizierten Öffentlichkeit auch mit anderen diskutieren, das heißt, in der es sich auch kritisch darstellen lassen kann. Zwecks Selbstoptimierung, um es für die herrschende Clique verständlich auszudrücken. Und zur Optimierung der Gesellschaft.

Eine solche qualifizierte Öffentlichkeit bedarf eines gewissen intellektuellen Niveaus, dieses wieder erreicht man nur, indem man Intellektuellen die Möglichkeit gibt, ihr Öffentlichsein zu praktizieren.

Zeitschriften spielten bei der Entstehung der bürgerlichen Öffentlichkeit eine wesentliche Rolle; die moralischen Wochenschriften der Aufklärer machten im London des beginnenden 18. Jahrhunderts den Anfang. Eine gelockerte Zensur ermöglichte ihren Erfolg. Bald wurden sie auf dem Kontinent nachgeahmt.

Man kann den Abschuss der Europäischen Rundschau, so muss man deren Abschluss nennen, als „Indiz für einen Verzicht auf mitteleuropäische Gestaltungsansprüche“ werten, wie dies die NZZ tat. „Es ist nicht ohne Pikanterie, dass die Zeitschrift gerade im ersten Jahr der ersten konservativ-grünen Koalition ihr Erscheinen aufgeben muss. Wenn der „Gestaltungsanspruch“ aber auf eine schleichende Orbanisierung hinausläuft, ist das Ende dieser Zeitschrift keine Panne, kein Versehen, es passt vielmehr ins Programm.

Man muss ihn darüber hinaus auch als das sehen, was er ist: den Verzicht auf ein Milieu, nein, den Versuch der Ausrottung eines Milieus, das intellektuelle Auseinandersetzung mit den Grundlagen von Politik ermöglicht und damit auch eine kritische Diskussion dieser Politik.

Zeitschriften spielen überall auf der Welt eine wichtige Rolle bei dieser Auseinandersetzung; ihre Finanzierung muss mäzenatisch organisiert werden, sei es privat, sei es staatlich. Sie sind ein Kulturgut, in dem Sinn, als sie zu einer demokratischen Kultur nicht nur gehören, sondern deren Voraussetzung bilden. Ohne sie keine Öffentlichkeit, also müsse sie auch öffentlich finanziert werden.

Die Obszönität, dass eine Presse- und Medienförderung nicht darauf abstellt, sondern sich hinter dem Kriterium der Auflage und der Reichweite, also der publizistischen Macht eines Mediums versteckt, womit eine Finanzierung des Boulevards aus Mitteln der öffentlichen Inseratenvergabe zwingend nötig wird – 18 Millionen jährlich für die Krone, kaum weniger für Österreich und Heute, aber keine 100.000 für die Europäische Rundschau – wird nicht abgemildert, sondern verschärft durch die Tatsache, dass es sich dabei weitgehend um Medienkorruption mit Hilfe von Steuergeldern handelt.

Die Neuorganisation der österreichischen Medienförderung ist dringend notwendig. Die Einstellung von Lendvais renommiertem Blatt stellt ein Fanal dar. Dass sie im Inland derart kümmerliche Resonanz erweckte, mag den Medienkorruptionisten aller Lager scheinbar Recht geben. Für Freunde der Demokratie ist es ein Alarmzeichen.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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