An meine Fahnen hefte ich nichts

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 123

Armin Thurnher
am 17.07.2020

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Vor dem Fenster ein Tiepolo-Himmel, im Radio ein munterer, gutgelaunter Gesundheitsminister. Er klingt so beruhigend, sozusagen das akustische Gegengift zu Sobotka, den ich seit nunmehr 35 Tagen zum Rücktritt auffordere. Auf Twitter nur, aber ich tue, was ich kann. Anschober findet gar kein Ende mehr, weswegen ihm die Moderatorin mit routinierter Rüdheit das Wort abschneidet. Das möchte ich nicht erleben, dass mir das Herz übergeht und der Überfluss erst gierig in Gefäßen aufgefangen, und wenn er richtig sprudelt, einfach weggeschüttet wird.

Wer sich in Medien begibt, kommt darin um. Wer sich in Medien begeben hat, kommt aus ihnen nicht mehr heraus. Ich beklage das nicht, ich weise nur darauf hin. Wer Texte wie diesen liest, ist bereits infiziert und mitgefangen. Es gibt kein Medienspital, nur ein paar ambulante Mediensanitäter wie mich.

Darf ich Sie noch einmal mit der Wurstsemmel quälen? Indizien scheinen darauf hinzudeuten, dass Jan Krainer in ein Käseweckerl biss, nicht in eine Wurstsemmel. Eine Aussage vom Essenden selbst zu erhalten, ist mir bis jetzt noch nicht gelungen. Ehrlich gesagt, habe ich ihn auch nicht selbst angebohrt, nur ein bisschen auf Twitter herumgefragt, wie man das – so dachte ich – halt so macht.

Ich widerstehe der Versuchung, nun zu Exkursionen über die Käsesemmel und Käse in meiner Kindheit auszuholen (kommt ein andermal, hier nur ein bildlicher Vorgeschmack).

Milchpilz Bregenz,

Foto @ Friedrich Boehringer

Egal, was Krainer aß, man kann den Fall schon deswegen exemplarisch nennen, weil der oberste juristische Beamte Christian Pilnacek, sozusagen von Staats wegen mit der präzisen Erfassung von Sachverhalten betraut, aufgrund derer dann Konsequenzen erfolgen oder unterbleiben, nicht einmal imstande ist, aus eigener dienstlicher Wahrnehmung eine Wurstsemmel von einem Käseweckerl zu unterscheiden.

Das hat naturgemäß mit Stil etwas zu tun. Präzision der Beobachtung und Genauigkeit der Formulierung sind die Voraussetzung für eine treffende Schmähung. Da der unglückliche Pilnacek als Thersites danebengriff, brauchte er für den Spott nicht zu sorgen, und es erwuchs ihm ein Odysseus nach dem anderen.

Ich erhielt auf meinen Wurstsemmel-Exkurs einiges Feedback. Das viele Lob freute mich, aber eine Reaktion traf einen Nerv. Einer meiner Studenten, die ich einst mit dem erwähnten Aufsatz von Karl Heinz Bohrer zur Frage „Stil oder Maniera“ quälte, teilte mir auf dem Kurznachrichtendienst mit, er erinnere sich an diesen Text. Ja, auch ich habe an einer Journalistenschule unterrichtet, an der Fachhochschule des WiFi, das ist lange her, es ging um Sprache und Stil und um Medienethik (zwei Vorlesungen, deren Inhalte ich aber nicht trennen konnte, denn sie bedingen einander gegenseitig, was ich nicht zureichend zu erklären vermochte).

Als Lehrer war ich ein Totalversager, was aber jahrzehntelang nicht auffiel, sodass ich ungestört meines Amtes waltete. Ich versagte, weil ich dachte, wenn ich die jungen Menschen unterfordere, langweile ich sie. So zwang ich sie, Texte zu lesen, die auch mir selbst etwas abverlangten. Ein bisschen Kant zum Beispiel, etwas Aristoteles, und eben Bohrer. Und langweilte sie erst recht.

Bohrer selbst hat seinen grundlegenden Essay in einem seiner autobiografischen Bücher als Satire bezeichnet, oder als „öffentlich wirksame Ironie“, die auf seinen realen Erfahrungen in England beruhte; er brachte sein belustigtes Entsetzen über die Differenz zum Ausdruck, die deutsche, unoriginelle Offizielle im Vergleich zu den saftigen britischen Originalen an den Tag legten (heutzutage entschiede man sich angesichts von Exzentrikern wie Boris Johnson blind für die deutsche Langeweile der Angela Merkel.)

Ich las den Text deswegen, weil Bohrer sich darin als der interessante konservative Intellektuelle zeigt, der er ist, konservativ-revolutionär nämlich, und mit seiner Kritik an der Unfähigkeit der braven Nachkriegsdeutschen zur Selbstdarstellung einen wunden Punkt traf: die Unfähigkeit der Demokratie, sich selbst zu repräsentieren; diese Unfähigkeit lässt das Gift der autoritären Versuchungen so attraktiv erscheinen.

Natürlich war es eine Provokation für die Studierenden, welche nicht alle studierten, aber von mir als Progressivem eine warme Weltanschauungsdusche erwarteten und nicht sperrige Texte eines Autors, das hatten sie gleich heraus, der ihrer eigenen Einstellung in keiner Weise entsprach. Unter anderem, weil er Respekt für den akademischen Ort einforderte, was ich unterstützte, indem ich. ein akademischer Pilnacek, gleich einmal ein Essverbot in der Vorlesung aussprach. Als ich noch Falter-Redaktionssitzungen leitete, galt dieses Essverbot übrigens auch dort (ich glaube, es gilt noch immer).

Natürlich kam jede Menge Kritik an meinem Wurstsemmel-Text, unter anderem die, der Autor, also ich, beweise „einmal mehr, wie wenig objektiv er denkt und schreibt“. Das ist eine akkurate Beobachtung, und ich bin stolz darauf. Ich versuche nicht, meinen Standpunkt hinter einer Scheinunparteilichkeit verschwinden zu lassen, um als erhabene Instanz fein aus dem Schneider zu sein. Nein, ich ergreife Partei. In diesem Fall gegen die Parteilichkeit eines türkisen Personals, das Versuche verhöhnt, in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

„Objektivität, Unabhängigkeit, neutrale Berichterstattung“ hefte ich mir nicht „auf die Fahnen“. Ich führe keine Fahnen und kann mir also nichts daran heften. Auch neutrale Berichterstattung habe ich nie versprochen, die gibt es nämlich nicht. Unabhängigkeit, ja, die nehme ich in Anspruch, dafür habe ich immer gekämpft, aber auch die muss man immer wieder skeptisch überprüfen. Objektivität? Es gibt nur Subjektivität, die ihren Standpunkt verbirgt. Dabei werden Sie mich nicht erwischen!

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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