Die Wurstsemmel als Herabwürdigung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 122

Armin Thurnher
am 16.07.2020

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Ich verstehe Christian Pilnacek. Dieser Satz verlangt einiges an Erklärung. Ich verfüge nicht über genügend juristische Insider-Informationen, um die Rolle des mächtigen Sektionschefs im Justizministerium rund um die Ibiza-Affäre und andere Skandale richtig beurteilen zu können; vieles, von dem was der Öffentlichkeit und mir bekannt ist, deutet auf eine wenig erfreuliche Tätigkeit hin, doch könnte ich es belegen, hätte ich längst Anzeige erstattet. Bloß wo?

Bei der WKSta natürlich. Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist unerschütterlich. Dass Christian Pilnacek vor seinem Auftritt im Ibiza-Untersuchungsausschuss ÖVP-Fraktionschef August Wöginger traf, geschah naturgemäß rein zufällig und war außerdem privat.

Der Sektionschef war, so wird berichtet, vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss nervös und benahm sich auffällig. Äußerlichkeiten werden wir ihm aber nicht ankreiden. Ob und wann er welche geheimen Weisungen gab, um Ibiza und die Folgen für jemanden abzuschwächen, oder ob er unerbittlich alles verfolgte, was der ÖVP schadet, das werden die Untersuchungen des Ausschusses gewiss ergeben.

Wenn sie abgeschlossen sind, ist Pilnacek nicht mehr so mächtig wie bisher, falls die Regierung dann noch besteht. Beides ist anzunehmen.

Halten wir uns also an die Fakten.

Pilnaceks Klage im Kurier vom 16.7. nach dem Ausschuss

Bleiben wir bei der Wurstsemmel. „Der Herr Krainer mampft Wurstsemmel während der Befragung“, klagte Pilnacek nach seinem Auftritt im Kurier. Das ist beklagenswert unpräzise.

Wir wissen bedauerlich wenig über diese Semmel, und würde die Kolumne nicht derart früh am Tag geschrieben, hätte einiges an Recherche stattfinden müssen. So aber ließ ich den Abgeordneten Krainer lieber schlafen. Dennoch nagen Fragen: welche Wurst enthielt sie? Extra, oder gar Käsewurst? War es am Ende gar keine Wurst-, sondern eine Leberkäs- oder gar eine Schinkensemmel? Enthielt sie ein Gurkerl?

Und, Frage aller Fragen, die mir in der Fleischhauereien meist abschlägig beschieden wird, vor allem in jenen Supermärkten, in denen sie selber „backen“, das heißt, während sie die Luft mit künstlichem Backduft parfümieren, ungenießbare Teigbatzen aufwärmen und als Gebäck ausgeben, die sich im Mund nicht krachend-anschmiegsam verhalten wie eine Semmel, sondern sich an den Gaumen picken wie Kaugummi: die Frage aller Semmelfragen: war es eine Handsemmel?

Wurstsemmel ja, aber das ist nicht präzise genug, Foto @Skyend

Eine Handsemmel wäre das Mindeste, was ich von einem Abgeordneten erwarten würde.

Ich kann mir vorstellen, wie der Befragte Pilnacek, dessen Magen nach vier Stunden Befragung bereits diskret knurrte, neidvoll auf die Semmel blickte, die im Mund des Abgeordneten Krainer verschwand, während ihn die Abgeordnete Krisper an der Grenze zur Hörbarkeit annuschelte. Er konnte nicht hören, was sie sagte, weil das Splittern des Semmelkruste im Mund des Abgeordnete Krainer akustisch die Worte der Frau Krisper überlagerte.

Ich kann mir denken, was Pilancek dachte, der natürlich trotzdem gut hörte, was Frau Krisper sagte, es gab ja Mikrophone und Lautsprecher.

Ich, dachte Pilnacek, würde nicht einmal eine Handsemmel wollen, nicht einmal mit Käse, auch nicht eines dieser vorgeblich leckeren Brötchen – auch das Wort lecker würde ich nicht verwenden – wie sie in den Schaufenstern der Bäckereiketten vor sich hin gammeln, gefüllt mit lappigen Salatblättern, üppig Cremekäse und saftelnden Tomatenscheiben, und bereits durch das Plexiglas erkennen lassen, dass das Brot, das sie umhüllt, eher einer labrigen Knetmasse gleicht als einem Gebäck.

Nein, dachte Pilnacek, nicht einmal eine Leberkässemmel würde ich hier essen, selbst wenn es eine resche Handsemmel voller feinstem Pferdeleberkäse wäre! Ich, würde man mich fragen, und man fragt mich hier ja alles, nur das nicht, ich würde vier Brötchen aus dem Schwarzen Kameel vorziehen, feines Schwarzbrot, nicht zu dick in zierliche Rechtecke geschnitten, wenn Sie wissen was ich meine, eines mit Blaukraut, eines mit Beinschinken, auf diesem etwas Kren, eines mit Eier-Currysalat und eines mit Linsen.

Diese Schwarze-Kameel-Brötchen sind die besten der Stadt, darf ich Ihnen versichern, sie übertreffen jene des berühmten Trzesniewski bei weitem, von den beklagenswerten Kreationen des Hauses Duran ganz zu schweigen, wenn es den noch gibt, aber der war immer nur was für Proleten wie Sie, Herr Krainer, die Weißbrot für etwas Vornehmes halten, mich wundert es ja, das sie nicht ein Kaviarersatz-Brötchen von Duran verspeisen, wenn es den, wie gesagt noch gibt, worüber ich nicht informiert bin, da ich meine Brötchen anderswoher beziehe, woraus Sie sicher auch noch einen Vorwurf gegen mich konstruieren werden. Dazu nähme ich einen Piff Bier und nicht wie Sie ein Diätcola aus der Dose.

Die Wahl Ihres Imbisses, Herr Krainer, stellt in der Tat eine Missachtung dieser Institution und eine Herabwürdigung meiner Person dar.

So oder ähnlich dachte Herr Pilnacek, und ich kann ihn verstehen. Vielleicht dachte er auch an Karl Heinz Bohrer, und dann verstünde ich ihn noch besser, doch wäre Bohrer eine für einen österreichischen Sektionschef eher ungewöhnliche, ja in einem Ausschuss zu untersuchende Lektüre.

Die Stillosen werfen den Stillosen Stillosigkeit vor. Herr Ober, noch ein Blaukraut-Brötchen, bitte, und einen Pfiff!

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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