Das Mähwort zum Sonntag

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 118

Armin Thurnher
am 12.07.2020

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Der Kollege ist nicht gerade für seine Wald- und Wiesenexpertise bekannt. Kauft keine Rasenroboter!, rief er dennoch kürzlich auf dem Kurznachrichtendienst. Braucht niemand! Weiß nicht, ob die niemand braucht, ich hätte ein paar Quadratmeter, wo ich sie ganz gut brauchen könnte. Aber Igel und andere Kleintiere freuen sich gar nicht über dieses Gerät, daran ist nicht zu zweifeln.

Florian Klenk, so hieß der Agrarkundige, schob dann auch noch die Parole „Wozu 1x in der Woche mähen!“, hinterher. Und: „Lass blühen!“ Das klang so sehr wahlweise nach Wladimir Iljitsch Lenin oder Helmut Kohl, dass es mich gleich zu einer Sonntags- Kolumne animierte. Statt eines Schmähworts heute ein Mähwort.

In meiner Kindheit gab es keine elektrischen Rasenmäher, von digital gesteuerten Robotern träumte man nicht einmal. Unser Haus im Bregenzer Vorort war umgeben von Wiesen, in denen nicht nur Gras wuchs. Margeriten, Kuckucksblumen, Spitzwegerich, Huflattich, Glockenblumen, Mohn, Wegwarte, Hahnenfuß, Sauerampfer und was weiß ich was boten uns Kindern genug zu schauen. Bienen, Hummeln und Schmetterlinge fanden reichlich Nahrung.

Es gab Kuhweiden und Futterwiesen; heute stehen dort überall Siedlungshäuser und kleine Villen. Rasenmäher und Fadenschneider regieren. Damals bestand unser Hauptproblem darin, dass wir gerne Fußball spielten und dafür zu wenig Möglichkeiten vorfanden. Nur in gemähten Wiesen war es erlaubt, aber dann stach das geschnittene Gras in die barfüßigen Sohlen.

Marte, der Bauer und seine Knechte mähten die meisten Wiesen, bis auf die hinter dem Haus. Ein paar Mal im Jahr rückten Vater und Großvater ganz in der Früh aus, ehe Vater ins Büro musste, und schritten mit Sensen ans Werk. Einer etwas weiter vorn, der andere versetzt etwas dahinter, legten sie links von sich mit leise zischender Sense eine Reihe Grasschwaden ins Feld, rechts von ihnen erschien in Zeilen das gemähte Feld. Ab und zu legten sie Pausen zum Schärfen ein, den Wetzstein hatten sie selbstverständlich in einem blechernen Kumpf voll Wasser umgeschnallt, damit er schön feucht blieb.

Dann blieb das Gras liegen, nach ein, zwei Tagen wurde es gewendet, und wenn es trocken war, nach Hause gebracht. Heinzen waren in der Gegend zwar Standard, aber ich erinnere mich nicht daran, dass Großvater welche hatte. Einen Leiterwagen voll Heu davon nahm er sich beiseite, häufte es auf und stieg nackt hinein, um in praller Sonne stundenlang ein Heubad zu nehmen, wobei er ein großes, rotkariertees Sacktuch mit vier Eckknoten versah und als Sonnenschutz über seinen stoppeligen Schädel breitete.

Er liebte es, eine Bierflasche in die Sonne zu stellen, bis das Bier so heiß war wie Kaffee. Es war Mohrenbräu, das nicht aus diskriminatorischen Gründen so heißt, sondern nach dem Brauereigründer Josef Mohr, dessen Emblem aber längst durch ein Bäumchen als Symbol der Gartenstadt Dornbirn ersetzt gehört hätte.

Meine Sense, mit schönem slowenischem Holzgriff, korrekt „Worb“ genannt (sagt aber niemand).

Ich hatte als Kind nie Gelegenheit, das Sensenmähen zu lernen. Das war Erwachsenenwerk. Erst auf dem Land, wieder mit Wiesen ums Haus, griff ich zur Sense. Nach einigen Versuchen ging es mir ganz gut von der Hand. Der alte Nachbar schaute über die Mauer und fragte mich anerkennend, wo ich es gelernt habe. „Die Jungen können das ja nicht mehr!“ Von meinem Großvater, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich hatte ihm aufmerksam zugesehen. Sie können es übrigens wohl, aber sie ziehen Maschinen vor. Der jüngere Nachbar zeigte mir, wie man die Sense richtig einrichtet (die Spitze auf dem Foto ist zu hoch, sie sollte drei Fingerbreit unter dem Bart liegen, muss ich justieren).

Die Sense gehört gedengelt; dazu braucht man einen Dengelbock, auf den man das Sensenblatt legt und es vorsichtig mit einem Dengelhammer austreibt. Die Schneide wird dabei gleichmäßig ausgedünnt, es ist eine Art kalt zu schmieden, die man braucht, will man die nötige Schärfe erhalten.

Man kann das alles nachlesen, ich empfehle dazu dieses instruktive Büchlein. Oder man kann einen Kurs besuchen, vielleicht bei Karl Katzinger, einem oberösterreichischen Sensenmann, den ich seit Jahrzehnten kenne. Er nannte sich früher Carlos und war einer der erfolgreichsten Falter-Handverkäufer der ersten Jahre. Sein Verrücktheit ist an der Tatsache abzulesen, dass er seine Hochzeitsreise nach Somalia und Jemen unternahm, einjähriges Baby inklusive. In einem Buch hat er das dokumentiert. Heute lebt er im Mühlviertel, ärgert die Behörden (und vice versa), verkauft Obst, veranstaltet Off-Kultur und Sensen- bzw. Dengelkurse. Hier kann man sich einiges davon ansehen.

Ich selbst möchte anmerken, dass eine Folgeerscheinung des Sensenmähens nicht zu unterschätzen ist: man produziert Heu. Das muss zusammengerecht und weggeschafft werden, zum Beispiel auf den Kompost, wenn man kein Vieh hat, für das man es trocknet.

Da ist er wieder, geschweißt, nachgenietet und geölt – Lob und Preis dem Lagerhaus!

Ehrlich gesagt, besitze ich auch eine Motorsense und einen benzingetriebenen Balkenmäher, die motorisch korrekteste Alternative zur Sense. Er gibt mir die Gelegenheit, ein Loblied auf die Lagerhaus-Werkstätte zu singen. Kürzlich riss ein Blech, und ein paar Messer waren locker. Die Lagerhaus-Werkstätte schweißte den Schaden, nietete die Messer nach, ölte ein bisschen und nahm dafür € 25,70.

Übrigens gibt es hier auf dem Land, in einer Gemeinde, die zu 80 Prozent ÖVP wählt, immer wieder Überraschungen. So näherte sich beim Heurigen ein freundlicher Herr und raunte mir ins Ohr (allzu laut wollte er es doch nicht verkünden), er konsumiere diese Kolumne täglich mit Vergnügen und den Falter auch.

Ich bin nicht Jesus, ich verlange keine öffentlichen Bekenntnisse. Es reicht mir, wenn Sie mich lesen. Mähen Sie schön, wo immer Sie sind, und meiden Sie Roboter, so gut Sie können!

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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