Ich war bei Bussi Fussi!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 116

Armin Thurnher
am 10.07.2020

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Ich muss Ihnen etwas gestehen: Ich kann mich nur schwer anschauen. Nicht nur wegen meiner weißen Haare (unwürdig, aber entsetzlich) und der Art des Dasitzens. Ich höre mich auch ungern reden. Ich verstehe gut, dass man statt meiner lieber andere ins Fernsehen einlädt. Gern erinnere ich mich an eine kleine Episode, als ich etwa vierzig war. Ein ORF-Redakteur rief mich an und sagte, er betreue nun die Pressestunde im ORF und bitte mich als Chefredakteur, ich solle ihm ein paar jüngere Mitarbeiterinnen vom Falter nennen. Ich sei erstens schon in einem gewissen Alter, und Männer wie mich habe man nun zweitens genug gesehen. Das mochte im allgemeinen zutreffen, nur mich im speziellen hatte man dort noch nie gesehen. Das sagte ich dem jungen Mann, empfahl ihm aber zwei Kolleginnen und war froh, etwas hinter mir zu haben, was ich nie vor mir hatte.

Man hatte mich im ORF natürlich aus zwei Gründen nicht gesehen. Erstens müssen dort die reichweitenstarken Medien „bedient“ werden, ob deren Journalisten nun etwas zu „sagen“ hatten oder nicht. Sonst würden diese Medien grantig und machten bei der nächsten Generaldirektorenwahl Stimmung gegen den amtierenden Chef. Auch bei der Politik galt es vorsichtig zu sein, und niemand verstand das besser als ich.

Zweitens ahnten die Damen und Herren beim ORF, dass ich keine Lust hatte, mich an geltende Konventionen zu halten. Sie hielten mich für unberechenbar, und das schloss mich als Hölzlwerfer im Frageritual namens Pressestunde aus. Ich war, heute kann ich es sagen, froh darüber, dort nie mitgemacht haben zu müssen, obwohl jeder Auftritt im TV dem Medium Falter genützt hätte. Ein einziges Mal kam ich dran, und da ging es nicht um einen Politiker. Aber das ist eine andere Geschichte.

Eine zeitlang moderierte ich später auf Okto mit anderen die Sendung Medienquartett, in der wir versuchten, nicht konfrontativ, sondern erklärend verschiedene Aspekte von Medien zu beleuchten. Man kann die meisten dieser Gespräche noch auf Okto ansehen, einige sind es vielleicht noch immer wert.

Der Glaube, der ORF habe die gesellschaftliche Verpflichtung, interessante Debatten mit interessanten Leuten über interessante Themen zu führen, kam mir bald abhanden. Ich verstand, der ORF hat die Aufgabe, die in seine Öffentlichkeit drängenden Kräfte so auszubalancieren, dass er sein eigenes System am effizientesten erhält. Für diskursive Kritik hält er Kabarettisten, aber nicht zu üppig.

Das begünstigte die Konkurrenz der privaten Sender, die stärker auf Konfrontation und offenes Reden setzten. Servus TV zum Beispiel. Der Sender entwertete sein interessantes Debattenkonzept aber gleich wieder durch eine Selbstverpflichtung zu zwei obligaten Rechstextremen, die mitdiskutieren müssen.

Werbung für Folge 8, die letzte Sendung vor der Sommerpause.

Puls 4 wiederum hatte Fußi! Rudi Fußi ist Politikberater, und seine Show Bussi Fussi war, als erschiene im Fernsehen auf einmal ein Politiker, der den Leuten die Wahrheit sagt, statt die übliche glatte Phrasenshow abzuziehen.

Rudi Fußi hat mit mir eines gemeinsam: er gilt als unberechenbar. Das habe ich im Falter gelesen, nicht die Gemeinsamkeit, sondern die Unberechenbarkeit. Das heißt, Fußi sagt nicht, was man von einem braven Sendungsmacher erwartet. Er weiß nicht, wo Schluss ist. Oder er weiß es, aber er pfeift drauf. Er macht nicht ein bisschen symbolische Kritik – damit keiner sagen kann, der Sender sei nicht kritisch oder offen für kritische Stimmen. Er macht überschießende Kritik und sagt deutlich und unüberhörbar, was er für falsch, empörend und skandalös hält.

Rudi Fußi ist keiner dieser Journalisten, die stundenlang im Fernsehen labern können, ohne dass jemand erkennen würde, wofür und wogegen sie sind. Hinsichtl-Rücksichtl, und am Ende geht es doch nur um die eigene Rolle. Wie war man, wie kam man rüber?

Fußis Sendung ist erfrischend. Sie war einmal eine Sendung im Privat-TV, jetzt ist sie auf Youtube. Puls 4 hat sie coronabedingt ausgesetzt, sagt der Sender. Naja. Fußi bot an, sie gratis zu produzieren, aber der Sender votierte fürs Aussetzen. Damit, dass reichlich Hilfsgelder aus dem Kanzleramt flossen und reichlich Kanzlerkritik aus Fußis Sendung floss, hat das gewiss nichts zu tun. Es kann sich nur um einen österreichischen Zufall handeln. Im Herbst wird Bussi Fussi gewiss in neuem, noch bissigerem Glanz im Privatsender erstrahlen.

Als er mich nach Harbach in den schönen Ponyhof einlud, sagte ich gleich zu. Ich mag Fußi, ich mag seine Offenheit; bei ihm habe ich das Gefühl, seine gerade Rede ist nicht aufgesetzt, sie ist das Bedürfnis eines durch und durch politischen Menschen, der die Politik in ihren Details kennt und deswegen im großen und ganzen für komplett daneben hält. Fußi ist ein Linker, der – wie ich – denkt, Politik soll den kleinen Leuten helfen und die Wirtschaft fördern, aber nicht so, dass sie nur die Taschen derer vollstopft, die eh schon im Überfluss haben. Außerdem isst er – wie ich – Schnitzel und tritt doch vehement für Tierwohl ein.

Seine Spontaneität sieht so aus: Ein alter, verstimmter Flügel stand im Aufzeichnungsraum. Ich probierte ihn ein bisschen. Was, du kannst klavierspielen?, fragte Fußi. Machen wir was zusammen! Was? Na, die Internationale zum Beispiel. Habe ich noch nie gespielt, da brauch ich Noten. Schon erschien die Singstimme downgeloaded auf dem Laptop, schon sang Fußi mit Enthusiasmus, die Begleitung musste ich improvisieren. Jetzt weiß ich, ich kann mich nicht nur nicht anschauen, ich kann mich auch nicht hören.

Aber ich redete gern mit ihm. Es war kein vorbereitetes Ausfragen. Es war ein Gespräch, entspannt, aber nicht unernst. Nicht geschwollen, aber auch nicht verlogen volkstümlich. Ich glaube, Fußi hätte das Zeug zu einem guten Politiker. Vielleicht sollten Politiker einfach versuchen, von ihm zu lernen. Der sogenannte Klartext wird in der Politik gewohnheitsmäßig vermieden. Vielleicht ist das ihr erster und größter Fehler.

Wie auch immer, der Vorteil von Youtube besteht darin, dass man sich die Sache jederzeit ansehen kann. Schauen Sie doch einmal hinein.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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