Hegemonie für nichts. Zum Hitlerhaus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 114

Armin Thurnher
am 08.07.2020

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Wir streiten gern um Häuser der Geschichte in unserem Land, allerdings mehr pflichtgemäß als passioniert. Es ist immer ein Kampf um die Darstellungshegemonie in der Republik, aber auch um Plätze, Posten und Budgets.

Eine Debatte über österreichische Identität fand vor fast 25 Jahren im Falter (analoge Zeiten, kein Digitalarchiv) viele Fortsetzungen und wurde durch zahlreiche leidenschaftliche Beiträge genährt. Als wir vor vier Jahren versuchten, eine Debatte zu initiieren, kam sie nicht recht vom Fleck. Manche Kollegen verstanden gar nicht, worüber da gestritten werden sollte. Österreichische Identität? Fad. Lockt keinen Hassprediger hinter dem Smartphone hervor.

Erst als wir zur Satire übergingen, kam etwas Stimmung auf. Wir brachten Vorschläge, was unserer Meinung nach so ein Haus der Geschichte enthalten müsste, und siehe, die halb ernst, halb gemein gemeinten Vorschläge ergaben ein seriöses Mosaik von Zeitgeschichte. Der ausgestopfte Golden Retriever, den Hans Dichand zu Tode streichelte, Schlingensiefs vor der Staatsoper aufgestellter Container „Ausländer raus“, der Misthaufen, den Protestierer vor dem Burgtheater abluden, als Thomas Bernhards „Heldenplatz“ Premiere hatte, das Porsche 911 Cabrio, in dem Jörg Haider Wolfgang Schüssel emblematisch spazierenfuhr, Conchita Wursts Rasierapparat und vieles andere mehr inspirierten einen mit ähnlicher Museumsarbeit befassten Zeitgeschichtler zu höchstem Lob.

Geschichtshaus Österreich, Illustration Georg Feierfeil

Unter Haus Österreich versteht man, was nicht allen Zeitgenossen klar sein dürfte, die Dynastie der Habsburger. Aber es gibt auch Österreichhäuser, die bei Skiweltmeisterschaften errichtet werden und das Ambiente für Plaudereien des Skiverbands-Präsidenten Peter Schröcksnadel mit Reportern und Sportlern bieten, dieses Alpenkönigs der Unvereinbarkeit. Im Hintergrund flackert ein digitales Kaminfeuerchen. Der Hintergrund, die freihändige Verschwendung von dreistelligen Millionenbeträgen durch Politiker wird irgendwann durch den Rechnungshof aufgedeckt und kümmert keinen Menschen. Außer die Politiker, die werden dann zur Belohnung Landeshauptmann. Putin machts ja auch so. Über allem muht das lila Fleckvieh, die heilige Milka-Kuh der Schleichwerbung.

Jetzt ist wieder das Hitler-Haus in Braunau im Gespräch. Die Republik hat es verstaatlicht, ein seltener Vorgang in Zeiten des Vorrangs alles Privaten. Der Innenminister wollte es zuerst abreißen lassen, um zu verhindern, dass Neonazis oder andere relevante politische Kräfte eine Kultstätte daraus machen. Er hieß Wolfgang Sobotka, also wurde es nicht abgerissen. Kanzler und Vizekanzler murmelten dann etwas von „pädagogischer Initiative“, aber das ist vier Jahre her. Schon länger gab es dafür seriöse Konzepte, etwa für ein „Haus der Verantwortung“.

Jetzt wird das Haus umgestaltet und dergestalt neutralisiert, dass eine Polizeistation einzieht. Das scheint den Königen der Gedächtnislosigkeit in unserer aktuellen Regierung zwar logisch, ist jedoch der völlig falsche Weg.

Selbst den Gedenkstein wollen sie entfernen. Das zeigt ihre Ahnungslosigkeit von Geschichte und auch der internationalen Bedeutung der Sache. Hitler ist nun einmal neben Mozart eine unserer wenigen Weltberühmtheiten. Das kann keine österreichische Regierung wegdekretieren. Sie lädt mit ihrem dilettantischen Wegzauberversuch das scheinneutrale Haus erst recht mit jener Geschichtsmagie auf, die sie bannen will.

Hexenmeister der Ahnungslosigkeit: „Da war doch einmal etwas“, darum können Mythen ganz anders wabern als um eine eindeutige Aussage. Sie haben die Hegemonie, aber wofür, scheinen sie nicht zu wissen. Hegemonie für nichts.

Ich plädiere seit Jahren vergeblich für Sichtbarkeit und ein unverantwortliches Konzept. Das Hitler-Haus muss ein Haus der Hitler-Satire werden. Ein Haus der Verantwortungslosigkeit. Filme wie „Schtonk“, Mel Brooks’ „Springtime for Hitler“, Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“, Charlie Chaplins „Great Dictator“ und so weiter laufen in einem kleinen Kinosaal, ja, Jan Böhmermann auch, Titelblätter der Zeitschrift Titanic, Comics, satirische und literarische Verhunzungen des „Führers“ lassen ein ernst eingetretenes Publikum lachend aus dem Haus strömen.

Ein Intendant vom Kaliber Christoph Schlingensief müsste gefunden werden, der Referenten engagiert, und doch nicht den Rahmen verliert; Hitler-Bezichtiger und Hitler-Beschwichtiger, Nazikeulenschwinger und Hitlerverehrer, Antifa und Kellernazis kommen vor und werden besprochen und sprechen fallweise mit.

Allein in den letzten Tagen böten sich jene Leute an, die den Falter der Hitler-Verherrlichung bezichtigen, weil er ein Inserat für Führungen durch Hitlers Wien brachte, in dem dessen Rückkehr in diese Stadt den beschämenden Tatsachen entsprechend „triumphal“ genannt wurde. Und die Zeitung, die daraufhin nicht das Missverständnis, sondern Florian Klenk und den Falter skandalisierte.

Oder jene Organisation, die den nahen Osten aus rechter Perspektive beobachtet und mich beinahe zum Holocaust-Leugner stilisierte, nämlich zum „Verteidiger der Rede- und Denkfreiheit von Holocaustleugnern“, weil ich Noam Chomsky zitierte. Ja das gibt es, Chomsky, den jüdischen Intellektuellen, der auch einmal Blödsinn sagt, wenn der Tag lang ist, aber über den Holocaust noch nie den Hauch eines Zweifels aufkommen ließ, Chomsky, dessen Familie zum Teil den Nazis zum Opfer fiel, diesen Chomsky erklärten die selbstgerechten Nahostbeobachter zum Holocaustleugner-Versteher, weil er die Redefreiheit absolut setzt. Was mit dem, was ich von Chomsky zitierte, überhaupt nichts zu tun hatte. Darüber reden wir vielleicht ein andermal, wenn das Twittergiftl ein wenig abgekühlt ist.

Das NS-Verbotsgesetz gilt selbstverständlich auch für das Hitler-Geburtshaus. Einmal im Jahr wäre dort Quartal des Ernsts; dann übernähme in meinem Konzept das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands das Regime und zöge Bilanz über den Wahnsinn während des restlichen Jahres, im Haus und auch außerhalb, im Haus Österreich. Dann könnte man auch diskutieren, ob die vorherrschende, mitunter verlogene Betroffenheit, nachdem es an echter jahrzehntelang fehlte, bei manchen jüngeren Menschen genau das Gegenteil das Beabsichtigten bewirkt: eine Konjunktur von Hitler-Verehrung.

Die Bewachung des Hauses müsste allerdings die ganze Zeit über seriös sein; man könnte zu erwartende Anschläge von Rechtsextremen in das Konzept miteinbeziehen

(das war eine aktualisierte Glosse aus meinem 2016 erschienenen Buch Ach, Österreich).

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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