Obacht, Arsch. Warnung: kann Explizites beinhalten!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 111

Armin Thurnher
am 05.07.2020

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Wir müssen über den Hintern reden. Das Gespräch eröffnen wir zwangsläufig mit Karl Kraus, der in seiner Glosse „der Rückwärtige“ schrieb: „Der Österreicher fühlt sich beim Wort ,hinten‘ so sehr ertappt , dass er die größten sprachlogischen Opfer bringt, um es zu vermeiden.“ Was naturgemäß auch für die Österreicherin gilt. Nicht für die Abgeordnete Stefanie Krisper von den Neos, die sich im Ibiza Untersuchungsausschuss in berechtigter Empörung über die ständige Behinderung durch Vorsitzenden und Verfahrensrichterin zur Bemerkung hinreißen ließ: „Die gehen mir am Oasch, alle.“

Das Mikrophon war noch eingeschaltet, sodass die Bemerkung für ein gewisses Aufsehen sorgte und der Verfahrensrichterin Huber als Vorwand dienen konnte, die Konsequenzen aus ihrer offensichtlichen Uneignung für dieses Amt zu ziehen und abzutreten. Der Vorsitzende des Ibiza-Untersuchungsausschusses, der Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, ganz offensichtlich parteiisch und also in seinem Amt eine eklatante Fehlbesetzung, als „Initiator und Präsident“ des vom Glücksspielkonzern Novomatic mit Inseraten bedachten Alois-Mock-Instituts befangen, aber dennoch stur am Ausschussvorsitz festhaltend, dieser Sobotka war als einziger nicht imstande, das Protokoll seiner eigenen Beamten zu lesen und bezichtigte Frau Krisper, die Verfahrensrichterin an personam gemeint zu haben.

Es war eine typische Bosheit, eine Mischung aus Unschärfe, Gemeinheit und Artikulationsschwäche, ein sogenannter Sobotkismus, der ihm dazu diente, einen „Tiefpunkt der Gesprächskultur“ zu konstatieren. In Wahrheit lieferte er mit seiner absichtlichen Hörschwäche einen weiteren Beweis seiner Parteilichkeit und setzte einen neuen Tiefpunkt in der Geschichte des Parlamentarismus. Die Verachtung dieser demokratischen Zentralinstitution, die sich darin ausdrückt, dieser einen Mann wie ihn vorzusetzen, könnte man gar nicht offensichtlicher dartun. Die regierenden Buberln feixen und verhöhnen das Publikum. Das kann einem wirklich auf den Arsch gehen.

Der Arsch kam nicht erst in der Aufklärung in die Literatur; die Brüder Grimm stellen seine Wortgeschichte kurz so dar: „In einer großen Anzahl von derbkräftigen, oft sinnreichen und poetisch gewandten Redensarten des Volks, welche die feine Welt scheu abweist, spielt dies Wort eine Hauptrolle (…) Das Altertum war natürlich und gerade heraus, heute hält man für anständig, sich nur abgezogner Ausdrücke wie der After, der Hintere, das Gesäß, der Sitzer, die Sitzteile oder gar des Euphemismus der Allerwerteste zu bedienen.“

Nun rechnen wir Herrn Sobotka nicht der „feinen Welt“ zu; seine Abweisung des Worts hat andere Gründe. Die Sprachgeschichte habe das „rohe Wort roher und breiter gemacht“, schrieben die Grimms. Noch Luther sagte „Ars“, im Vorarlberger Dialekt nennt man Kirschen heute noch „Krise“; der Arsch heißt auf alemannisch sowieso ganz anders: Füdla. De Sades „Philosophie im Boudoir“ dürfte bei Erörterungen über den Arsch nicht unberücksichtigt bleiben, aber das würde weitab führen, zum „Arschficken“. „Der Arsch eines Knaben“, sagt der Freigeist Dolmancé dort, „schenkt mir noch mehr Wollust als der eines Mädchens“. De Sade kann und will politisch verstanden werden. Wir aber bleiben bei unserem politischen Arsch. Unser A-Wort ist deutlich dürrer und dürftiger.

Die iranischstämmige Wiener Grünpolitikerin Negar Roubani erregte vor zwei Jahren den Unwillen des zartestfühlenden aller österreichischen Journalisten, als sie vor ihrem Urlaub – ausgerechnet auf Malta, wo sie Journalistinnen umbringen und die Korruption bis in die Regierungsspitze reicht – schrieb: „tschüss Österreich, du arsch! du hast jetzt eine woche zeit, eine nettere version von dir selbst zu werden.“ Michael Jeannée fragte sie daraufhin, was er sich selbst täglich zu fragen erspart: „Intelligenz? Deutsch? Gute Erziehung? Politisch auf dem Laufenden?“ Sobotka, kann man sagen, entspricht politisch ungefähr dem, was Jeannée journalistisch tut.

Die Arsch-Metapher für Österreich ließe sich durchaus historisch begründen, indem man die politische Nachkriegsgeschichte Österreich so beschriebe: Die eine Arschbacke war rot, die andere schwarz. Zusammen setzte sich dieses fette Hinterteil so lange auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger und forderte seinen Proporz-Tribut, indem nämlich jede Arschbacke für sich das gleiche beanspruchte, was die andere bekam, bis es den Bürgerinnen und Bürger auf die Nerven ging, derart flachgepresst und erstickt zu werden, und sie dem Porporz ein vorläufiges Ende machten. Heute sind beide Backen türkis, die eine politisch, die andere medial, und beide verhöhnen uns mehr oder weniger freundlich.

Den Arsch beim Namen zu nennen, ist im österreichischen Hinterland weiterhin unerwünscht. Als Goethe sagte: „Musst all die garstigen Wörter lindern, / aus Scheißkerl Schurk, aus Arsch mach Hintern“, war das ironisch gemeint. Bei uns gilt es als Handlungsanleitung.

Leck mich im Arsch, Sechsstimmiger Kanon von W. A. Mozart

W. A. Mozart, österreichischer Fäkalkünstler

Sobotka, der militante Musensohn, kann seine vorgebliche Empörung einpacken. Vielmehr soll er, da er auch als Mozart-Interpret hervorgetreten ist – er gab die Kleine Nachtmusik mit der Cappella Istropolitana, als Musik in Josef Haders Film „Wilde Maus“ verwendet – , Stefanie Krisper zu Ehren vier von Mozarts Kanons aufführen: Leck mir den Arsch fein sauber KV 382 d, Leck mich im Arsch KV 382 c, Beym Arsch ist’s finster KV 441b, Difficile lectu mihi Mars KV 559; am besten bei der Feierstunde anlässlich seines offiziellen Rücktritts.

Dann können wir lachend sagen, seine Versuche und die seiner Parteigenossen, uns von Ibiza und den Folgen abzulenken, gehen uns am Arsch vorbei. Schönen Sonntag!

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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