Ich ist auch nur eine dritte Person
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 108
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Ich weiß, Sobotka. Aber Sobotka wird in nummerierten Tweets abgehakt, scheibchenweise zum Rücktritt demontiert, sozusagen. Das feine Zilken dieser Tweets des Büros hält er nicht durch. Niemand hält das durch. Vor allem, weil der parteiischste Parlamentspräsident der zweiten Republik hinter seiner bockigen Fassade weiß, er ist im Unrecht. Aber diesen Republikschädlingen ist es egal, was sie wissen, sie tun was sie tun. Die monumentale Patzigkeit, mit der sie ihre Anscheinbefangenheit wegfeixen, die selbstbewusste Indolenz, mit der sie auf ihr Medienimperium der Käuflichkeit bauen, die Süffisanz, mit der sie, Schuldumkehr betreibend, ihre Kritikerinnen verarschen – all das ersetzt die Kinoleinwand, ohne in irgendeiner Form Leinwand zu sein.
Nun zum Wetter.
Gestern sagte das Radio Gewitter an. Am späten Nachmittag ging ein Gewitter nieder. Ist es gut, ist es schlecht, dass wir Natur präzise voraussagen können? Als ich darüber nachdachte, fiel mir ein, ich habe eine Schuld abzutragen. Beim Wetterchef des ORF, Markus Wadsak. Der hat es vermutlich längst vergessen, aber Büros vergessen nicht, außer wenn sie wollen. Es gibt ganze Büros, die sich nur der Vergesslichkeit widmen, unsere Republikschädlinge unterhalten solche, und so griff der Finanzminister bei seiner Aussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss auf das Büro für Vergesslichkeit (BfV) zurück, als er sich gleich 86mal an nichts erinnern konnte. Die diesbezüglichen, vom BfV zur Verfügung gestellten Unterlagen mussten in eigens angefertigten amnetischen Rollwagen in den Ausschuss gekarrt werden.
Markus Wadsak hatte noch eine Antwort gut
Foto @ ORF
Als ich mich mit Wadsak in einen Disput verwickelte, murrte er etwas über Pseudonyme, und dass er nur mit Leuten diskutiere, die Klarnamen angeben. Ich versprach, es ihm zu erklären. Heute ist es so weit.
Ich mache kein Geheimnis daraus, dass das Büro Thurnher, unter welchem Titel ich dort agiere, dazu dient, Reklame für mich zu machen. Wer und was ich bin, schildere ich im Profil hinreichend aus, sodass von Anonymität oder Pseudonymität keine Rede sein kann. Ich behaupte dort, ein Büro agiere, besetzt von Herrn T. (das bin ich, der Herausgeber des Falter), der Message Control Control Commission (vielfältig aktiv), Tante Elfi (zuständig für zweifelhafte Gedichte) und die Bots (verantwortlich für Missgriffe aller Art, Versäumnisse und Tippfehler, die sich in diesem Medium häufen und keine Korrektur zu passieren haben, also passieren sie eben mir, und ich schiebe es auf wen anderern).
Warum das Theater, fragt sich mancher. Die Antwort ist leicht zu geben. Ich wollte nie auf Twitter sein, und so bin ich es auch jetzt nicht, nicht als Thurnher-Ich, oder nur, wenn es mit mir durchgeht, was schon vorgekommen ist.
Dieser Lapsus, wenn ich also als „ich“ twittere, zeigt, worum es mir zuerst geht: Die dritte Person ist kein Illeismus, der mich im Stil Haiders oder anderer Rechter überhöhen, wichtig machen und der Kritik entrücken soll. Nein, das Sprechen in der dritten Person schiebt eine Reflexionsschranke zwischen den vom Medium geforderten Sofortismus und mich. Ich muss über die gewählte Formulierung etwas nachdenken, und dabei muss ich bedenken, was ich gerade mache. Ich kann mir beim Aufmerksamkeitsgemetzel nicht selbst alles durchgehen lassen. Dieses laffe, begründungslose Beurteile von Dingen, über die ich nichts zu sagen wüsste außer „großartig“ oder „lesenswert“, dieses kumpelhafte Anfliegen von Menschen, die ich nicht kenne, „also gut, heute erklär ich euch mal xxx, wird etwas länger“, dieses subjektgeschwollene Meinungshaberertum „ich glaube“, „ich habe“, „nicht mein Stil“ – all das halte ich nicht nur für schlechte Manieren, das halte ich für medienimmanente narzisstische Dauerentgleisungen. Als jahrzehntelang gereifter (ha!) Kommentator sind mir solche Versuchungen allzu gut vertraut, auf Twitter kehren sie als hochtoxische digitale Essenz wieder.
Der Gebrauch der dritten Person dient also der Selbstkontrolle durch Selbstdistanzierung. Verfremdung könnte man dazu sagen, wäre Brecht nicht ein beim Publikum von Twitter vermutlich vergessener Autor. In mir habt ihr einen, der es ist und nicht ist. So ist es bei allen, ich mache es mir nur klar.
Die Seuchenkolumne drucke ich immerhin einmal aus, redigiere sie mit der Füllfeder und kontrolliere sie dann noch zweimal, in ihren digitalen Zuständen als Word-Dokument und WordPress-File. Da kann ich es, zwar noch immer zweifelnd, doch wagen, „Ich“ zu sagen.
Ich kenne Menschen, die mit ihren Eltern per Sie sind. Nicht in Österreich, zugegeben. Diese Sitte ist bei uns abgekommen, das invasive Kumpel-Du wurde zum Standard. Ich bin nicht einmal mit mir selber per Du. Das D-Wort ist auch im inneren Monolog eine intime Zumutung, finden Sie nicht? Versuchen sie es einmal mit der dritten Person, sie werden überrascht und erfreut einen Zuwachs an Lebensqualität feststellen.
In Ihnen spricht dann Ihr Ich mit Ihrem Moi. Bei Arno Schmidt finden sich immer wieder schöne Formulierungen dazu. Habe ich Ihnen das kleine akademische Spottgedicht von Wystan Hugh Auden (Academic Graffiti, in Homage to Clio) schon serviert?
Paul Valéry
Earned an meagre salary
Walking through the Bois,
Observing his Moi.
Diese Art von Audens Poesie gehört zu den unerreichten Vorbildern Tante Elfis, von der wir, jetzt kann ich den Plural ja benützen, ohne in den Verdacht majestätischer Selbstüberhöhung zu geraten, ein andermal erzählen.
Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher