Sobotka. Wos will er?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 102

Armin Thurnher
am 26.06.2020

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Was ist mit dem Thurnher los, will er Dichand spielen? Macht er jetzt eine Kampagne, oder macht er sich nur lächerlich? Beschädigt er die Reputation des unparteiischen Journalismus? Nun, unparteiisch ist er nicht, der Thurnher. War er nie. War ich nie, um den Illeismus, das Sprechen von sich in der dritten Person nicht zu übertreiben.

Seit ich auf Twitter bin (als Büro in der dritten Person, warum, wird ein andermal erklärt, die Erklärung schulde ich Markus Wadsak, aber auch einigen anderen, die nichts davon ahnen), lasse ich die Mechanismen dieses Kurznachrichtendienstes auf mich wirken. Die dritte Person schützt mich dabei nur wenig.

Die fatalste dieser Wirkungen ist die reflexartige Änderung des Verhaltens, weil man die Reaktionen sofort vor sich hat. Man wird versucht, sie zu optimieren; mehr Likes, mehr Follower etcetera zu bekommen. Man wird sein eigener Optimierer, sein eigener Coach, nicht der Verweser seiner selbst, wie Nestroy von einem auf dem Friedhof Ruhenden schrieb, aber der Vermarkter seiner selbst. Widersagt ihr dem Algorithmus? Wir widersagen nicht. Wir versagen vor ihm.

Was tue ich, wenn ich auf Twitter seit Tagen den Nationalratspräsidenten und Vorsitzenden des Ibiza-Untersuchungsausschusses zum Rücktritt auffordere? Zuerst verleihe ich meiner politisch begründeten, aber deswegen um nichts weniger echt empfundenen Empörung Ausdruck. Wolfgang Sobotka repräsentiert den Inbegriff dessen, was ich den türkisen politischen Nihilismus nenne, diese Mischung aus erbarmungslosem Selbstlobbyismus, disziplinierter Phrasenschwurbelei und Verhöhnung der kritischen Öffentlichkeit.

Ich denke, man muss sich nicht nur von sich selbst nicht alles gefallen lassen (Viktor Frankl), man muss sich auch von der Politik nicht alles gefallen lassen. Wolfgang Sobotka treibt die türkise Verhöhnung des Publikums als Vorsitzender des Ibiza-Ausschusses auf die Spitze. Ich will ihn mir nicht mehr gefallen lassen. Ich weiß nicht, ob es neu ist oder meiner Altersempfindlichkeit geschuldet, aber es gibt kaum eine türkise Politikerin, kaum einen türkisen Politiker, bei dessen Ansicht ich nicht sofort den Fernseher abdrehen möchte, weil die Frechheit und der Schwurbelsprech unerträglich sind. Von Tanner bis Aschbacher, von Blümel bis Edtstadler – eine Zumutung unterbietet die nächste. Aber an einen Nationalratspräsidenten stelle ich gewisse Mindestansprüche.

Mir ist völlig klar, dass meinem Versuch mangels vorhersehbaren Erfolgs eine gewisse Lächerlichkeit anhaftet. Die Menge der Zustimmenden beträgt in Summe nach elf Tagen gerade einmal 4000 Likes; eine gewisse Zahl von Menschen stimmt mir außerdem jeden Tag aufs Neue zu. Also weniger als 4000 Menschen, andererseits ein durchschnittlich besuchtes Austria-Wien-Bundesligaspiel in Vor-Coronazeiten. Retweets habe ich nicht mitgezählt, gesehen wurden die Sobotka-Rücktritts-Tweets allerdings schon etwa 200.000mal. Wäre mein Account so stark wie jener populärerer Kollegen, wären es fünfzigmal so viel, also zehn Millionen. So schnell macht Twitter größenwahnsinnig. Ganz nüchtern wird der Selbstisolant erst, wenn er dem Sofortismus entsagt.

Mir geht es aber nicht um Zahlen. Rücktrittsforderungen soll man nicht inflationieren. Man soll auch das große Vorbild Karl Kraus nicht überstrapazieren, der zweimal Menschen öffentlich zum Rücktritt aufforderte. Einmal gegen alle Voraussicht erfolgreich. Den korrupten Verleger Imre Békessy vertrieb er mit dem Ruf „Hinaus aus Wien mit dem Schuft“ aus der Stadt.

 

Plakat von Karl Kraus, affichiert in ganz Wien nach den Polizeiübergriffen am 15. Juli 1927 mit 89 Toten, davon fünf Polizisten, und Hunderten Verletzten

Gegen den Polizeipräsidenten Johann Schober, 1927 verantwortlich für den Schießbefehl auf die Demonstranten beim Justizpalastbrand (89 Tote, Hunderte verletzte) ließ er in ganz Wien Plakate anschlagen, mit dem schlichten Text: „An den Polizeipräsidenten von Wien, Johan Schober: Ich fordere Sie auf, abzutreten. Karl Kraus, Herausgeber der Fackel.“ Schober blieb im Amt und wurde später Bundeskanzler.

Sobotka ist kein Schober, aber es besteht die Gefahr, dass er im Amt bleibt. Aus den genannten Gründen meine ich, das sollte er nicht tun. Hier für jene, die nicht auf Twitter sind oder dort Besseres zu tun haben, als dem Büro nachzuspüren, zwei dieser meiner Rücktrittsforderungen (13 sind es vom 15.6. bis zum heutigen Tag).

Der am wenigsten „erfolgreiche“ Tweet war jener am 17.6., der mit klassischer Bildung protzte und den berühmten Anfang der Rede des Konsuls Cicero gegen den Verschwörer Catilina im römischen Senat zitierte. „Das Büro konstatiert verdutzt: Er ist noch immer nicht zurückgetreten! QUO USQUE TANDEM ABUTERE, SOBOTKA, PATIENTIA NOSTRA? [19 Retweets /72 Likes]“. Am meisten gemocht wurde der schlichte Klartext am 20.6.: „ Herr Sobotka, als Vorsitzender des Ibiza-Untersuchungsausschusses sind Sie anscheinend befangen. Als Präsident des Nationalrats sind Sie offenbar ungeeignet. Treten Sie ab! [79 Retweets / 484 Likes]“, wobei die Anspielung darauf, dass der Anschein von Befangenheit gleich schwer wiegt wie tatsächliche Befangenheit, juristisch also für eine Disqualifikation genügt, nicht überall verstanden wurde.

Diese Rücktrittsaufforderungen verwendeten einmal auch das Wort „Campain“. Das bezog sich auf die Kampagne von Kurt Waldheim, der dieses Wort liebe und unnachahmlich nasal wienerisch aussprach. Ich bin mir bewusst, dass es richtig Campaign hieße, wollte aber die Assoziation zu „pain“ verstärken, die im gesprochenen Wort deutlicher anklingt. Campain in the ass, meinetwegen. Auch wenn sie Sie nervt, ein Weilchen werde ich sie wohl noch fortsetzen. Bitte um Vergebung meiner Sünden.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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