Nach hundert Kolumnen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 100

Armin Thurnher
am 24.06.2020

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Hundert Kolumnen – schon nicht wahr. Sechsmal hat das Publikum an meiner statt geschrieben, aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, diese Leserpost-Kolumnen machen mehr Mühe, als würde ich sie selber schreiben. Man muss erstens all das Lob ertragen (verlogen, natürlich freut es einen), man muss den Eindruck von Eitelkeit bedenken, den sie erzeugen könnten (mir egal, weil eh schon wurscht), und drittens muss man sie zusammensuchen und zusammenstellen.

Ein Werk, das in der Kronen Zeitung einst der legendäre Herausgeber verrichtete, der ungekrönte Zwingvogt von Österreich, dessen kleiner Wilhelm Tell zu sein ich mir jahrzehntelang herausnahm (und mit seinen Kindern und Kindeskindern herausnehmen werde). Die Leserpost hier hat eine andere Aufgabe, als das Publikum in den Ansichten des Herausgebers zu bestärken, dessen Kampagnen zu unterstützen und allenfalls Politiker einzuschüchtern.

Sie erscheint, wenn ich das Falter-Maily schreibe, den überaus beliebten, fast täglichen Newsletter des Falter. Das muss ich nur alle zwei Wochen tun, denn in der Redaktion beteiligen sich alle gern am Maily-Schreiben. So ergab es sich, dass ich Zeit für einen eigenen Blog hatte. Das war mir nicht in die digitale Wiege gelegt, aber die Seuche hat alles verändert.

Rehgeiß mit Kitzen (links), Bachstelzen Tick, Trick & Track

(rechts oben), Schwarzdorn mit toten Föhren (rechts unten). Fotos: © Irena Rosc

Ich zog mich in die Selbstisolation zurück, und es stellte sich heraus, was immer schon feststand, die im Falter können das gut ohne mich. Meine herausgeberischen Aufgaben kann ich derweil aus der Ferne wahrnehmen; das bisschen Schiedsrichterspielen, in entscheidenden Fragen allen mit Fehlentscheidungen auf die Nerven gehen, dringend nötige Beschlüsse bis zum Sankt Nimmerleinstag hinauszögern und mich doch auch noch bei führenden Politikern unbeliebt zu machen, das habe ich früher auch nicht anders gehalten.

Sonst schreibe ich den Kommentar, mein Seinesgleichen Geschieht, welcher, wie der Fleischhauer Hofstätter zu sagen pflegt, kein Leitartikel ist, was sich aber nur langsam herumspricht. Und diese edle Kolumne hier.

Wenn ich die Hundert bedenke, welche wiederum wie gesagt nur vierundneunzig sind, genau genommen, aber in dieser Woche dann doch zu echten Hundert werden, so muss ich zugeben, dass ich vom ursprüngliche Ziel ein wenig abgekommen bin. Und wieder nicht. Aber wenn – auch das habe ich in Kolumne 21 schon zitiert – ein Mensch wie der Pianist Alfred Brendel, der doch fast alles in seiner Karriere planvoll entwickelt und mit einer Stetigkeit verbessert hat, die mir nur fassungslose Bewunderung abringt, wenn also ein solcher sagen konnte, vielleicht hätte er mehr Bach spielen sollen, dann kann auch ich sagen: ich habe mir manches anders vorgestellt.

Ich dachte, dies könnte eine Kolumne der Heilung sein, eine, die tröstet, ohne aufdringlich kritisch oder in jenem Ton appellativ oder aufgeregt daherzukommen, den vielleicht erst kommende Generationen als unerträglich empfinden werden, ich aber schon jetzt.

Ich dachte, dies würde eine Kolumne sei, in der ich vom Schönen reden kann, ohne verlegen herumzudrucksen. Eine, die unversehens in Literarische hinüberlappt. Eine Kolumne, die vom neuen Leben berichtet, von einem Leben in Konzentration und Anschauung dessen, was da ist, solange man es hat. Incipit vita nuova. Das schließt ein, dass Nachrufe erscheinen; zwei mussten es schon sein, Nr. 99 und Nr. 62. Höhere Wesen mögen mir weitere ersparen.

Dazu gehören neben der Kunst die paar Naturwesen, die nicht im Verdacht stehen, heimlich Kronen Zeitung zu lesen oder hektisch per Daumen die Gedankenfesselindustrie voranzutreiben: Falken, Schwalben, Rotschwänzchen, Bachstelzen, Rehe, Hasen. Der Kater. Sie kennen sie schon.

Zum Programm sollte auch die Kulturgeschichte der Seuche gehören; das ist in Ansätzen steckengeblieben, kann aber jederzeit wieder aufgenommen werden. Dafür bereichert der Virologe die Kolumne mit medizinisch-wissenschaftlicher Kenntnis. Unpolitisch kann sie nie sein, aber vielleicht gelingt es ihr auf besser nachvollziehbare Weise, als es meinen anderen Texten gelang, zu zeigen, dass ohne Sprachkunst und Sprachempfinden (was das exakte Gegenteil bloßen Sprachgefühls wäre) die schönste politische Kolumne nicht das Fingerkuppenschmalz wert ist, das sie auf Tastatur oder Bildschirm zurücklässt.

Trotzdem kommen sie mir störend dazwischen, die Regierung, die oligarchenfreundliche Medienhilfe, der unzumutbare Nationalratspräsident, die schwurbelnden Ministerinnen, die schwindelerregende Nullprosa des Kanzlers, der regierungsmäßig herausgeforderte Ibiza-Untersuchungsausschuss.

Aber ich sage Ihnen noch etwas: diese Kolumne wird niemals darauf verzichten, Musik und Poesie zu bringen. Sie wird Flora und Fauna beobachten, die Pendlerzüge in die Stadt wieder benützen und sich überhaupt dem Ausnahmezustand hingeben. So lange es geht, werde ich dessen Ende verhindern. Ich bin schließlich nicht Knecht, sondern Autor hier. Dass die Normalität immer verrückt ist, haben wir jetzt hinlänglich erfahren. Die eine Seuche hat unseren Blick für die vielen Seuchen geschärft, die unser Leben plagen.

Die Seuchenkolumne heißt deshalb weiterhin so, ihr neuer Untertitel aber nimmt auf Viren und Wirren Bezug. Die Welt ist vervirt und verwirrt. Machen wir es besser. Machen wir uns immun gegen den Unsinn. Tun Sie den ersten Schritt, abonnieren Sie die Seuchenkolumne, für eine atmende, klare Welt, in der es sich zu leben lohnt!

Danke. Und weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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