Ich habe vom Wetter keine Ahnung!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 97

Armin Thurnher
am 21.06.2020

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Früher, in meiner Jugend in Bregenz, wusste ich, wann es schlecht würde; ich erkannte es an den Geräuschen des Zugs. Hörte ich in meinem Schlafzimmer den Zug laut über die Eisenbahnbrücke der Bregenzer Ach rattern, wusste ich, es wird schlecht. Westwetter. Das interessierte mich nicht des Schulwegs wegen. Den legte ich bei jedem Wetter mit dem Rad zurück. Auch bei Schnee.

Es ging im Winter um die Ski-Abfahrt vom Pfänder. Ich konnte bis fast ins Haus abfahren, ist eine Zeit her. Im Sommer ging es um den Zustand des Tennisplatzes; Regen bedeutete Unbespielbarkeit. Das konnte sich binnen Minuten ändern (Sandplätze sind saugfähig). In Seenähe wechselt das Wetter rasch, man musste aufpassen und notfalls schnell zur Stelle sein. Fußball ging immer; erst in Wien erfuhr ich, wie schnell in den unteren Ligen bei Regen abgesagt wird.

Möwen an der Bodenseepromenade in Bregenz, Postkarte vor 1933

Foto @ Vorarlberger Landesmuseum

Sonst bekam ich über das Wetter nur ein paar Sentenzen meines Opas mit. Etwa, wenn sich auf einmal ein Schwarm Seemöwen im Garten niederließ. Das hieß, Schnee kommt. Tieffliegende Schwalben brachten ebenso wenig Gutes wie Morgenrot. Der Großvater hatte öfter recht als der Wetterbericht.

Mittlerweile ist das anders. Der Wetterbericht hat immer öfter recht, fast immer sogar. Hat er einmal nicht recht, ist es beinahe ein Ereignis. Man kann sich im Internet spezielle meteorologische Karten ansehen, man kann sich, nach Postleitzahl aufgeschlüsselt, das Wetter für seinen höchstpersönlichen Lebensbereich 14 Tage vorhersagen lassen, wenn man sehen will, dass auch die Meteorologie nicht alles weiß.

Aber im großen und ganzen hat er Recht. ER, das ist der Wetterbericht. „Sche hot a gsogt“ bis „schüa heat ar brocht“, so tönt es von Ost bis West im Land.

Gestern geriet ich auf Twitter mit IHM aneinander. Mit Markus Wadsak, dem kompetenten und sympathischen Wetterchef des ORF. Weil ich schrieb: „Vielleicht könnte man es wenigstens auf @oe1 unterlassen, die Temperaturangaben im Wetterbericht mit Adjektiven aufzupeppen? ,Trockene 17 Grad‘ und so?“ Und weil ich in meiner habituellen Boshaftigkeit, wie das wohlmeinende Freunde nennen, noch dazusetzen musste: „Diese läppische Unart stammt aus der Werbung, tut flott, unterstützt aber die allgemeine Verblödungsoffensive. Danke.“

Ich lasse solche Dinge aus mir herausrutschen, sonst bin ich es nicht. Auch wenn mir sämtliche Instinkte und Ratgeber nahelegen, es nicht zu tun. Du brauchst Freunde auf Twitter, große Gönner, die dich raufretweeten! Wo bleibst du ohne sie? Verbrenne nicht die Informantinnen deiner Kolleginnen, o je! „Jetzt wollt ihr ein Interview mit mir haben, lest ihr nicht, was dieser Trottel von eurem Herausgeber wieder schreibt? Solange der Alte so teppat kolumniert, gibt’s von mir nix!“ Oder so.

Derart gehe ich vor mich hin, mir nicht zum Nutzen, anderen zum Schaden, gebeugt vom Schicksal und dem Gewicht des Bündels an Hinsichtln und Rücksichtln auf meinen Schultern, gichtig vor Genderungerechtigkeit, und jetzt pisse ich auch noch den netten Wadsak an, unseren Ersten Mahner gegen die Klimakrise. Aus mir wird nichts mehr in diesem Leben.

Aber ehe ich beginne, mir selbst echt leid zu tun, frage ich mich doch auch: warum? Sehen Sie, es war einfach so, dass eine freundliche Stimme auf dem von mir gewohnheitsmäßig gehörten Sender Ö1 gestern so etwas sagte wie „Innsbruck, trockene 17 Grad.“ Da zuckte ich aus.

Ö1, müssen Sie wissen, ist für mich eine Art heiliger Gral, ein von Werbung unzerfressener, fast idealtypisch öffentlich-rechtlicher Sender, auf dem mich viele Sendungen nerven, aber auch ebenso viele erfreuen. Insgesamt betrachte ich Ö1 als eine Insel der Integrität in einem Ozean von Schlamm, um ein Wort von Karl Kraus abzuwandeln. Seine ins Kraut schießende politische Korrektheit lasse ich diesem Sender durchgehen, solange er werbefrei bleibt. Es gibt zwar da und dort Ansätze, unter sozialem Vorwand uns einen munteren Jingle unterzujubeln, aber im großen und ganzen passt alles.

Die Nachrichtensendungen von Ö1 ärgern die Politik so sehr, dass sie ganze Rundfunkreformen versuchte, um die störrischen Mulis in der Argentinierstraße an die Kandare zu nehmen. Der von ORF-Boss Alexander Wrabetz initiierte Umzug des Senders auf den Küniglberg riecht auch nach Zaumzeug, aber das werden wir noch sehen.

Jedenfalls fiel mir blitzartig ein, wie es in den 1990er Jahren begann, das Behängen neutraler Zahlen mit Adjektiva. Ich dachte an Palmers-Werbung und las gleich die interessante Diplomarbeit F. J. Gangelmayers durch, Wie Werbung Geschichte erzählt, die noch unter dem unvergessenen Sigi Mattl entstand, aber da fand ich nichts.

Das Buch Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache von 1994 lieferte mir Material: „Zunehmend verbreiten sich beim sensibelsten Teil von Werbeanzeigen, bei den Preisangen, attributive Adjektive zu ,DM‘“. Endgültigen Aufschluss gab eine Anleitung für Texter, ihre Texte doch kommerziell eingängiger zu machen: „Mit Adjektiven direkt ins Unterbewusstein“ und dergleichen mehr nützliche Ratschläge liest man da. Und: „Wenn es darum geht, Verkaufspreise in einem guten und reizvollen Licht erscheinen zu lassen, sind werbewirksame und positive Adjektive obligat. Animieren wir unsere Kunden mit positiven Adjektiven, die unsere Preisgestaltung wirkungsvoll in Szene setzt (sic!) und Kunden zum unmittelbaren Kauf ermuntert (sic!).“ Kurz: „Um es erst gar nicht zu kritischen Auseinandersetzungen mit unserem Text kommen zu lassen (Hv. AT), setzen wir bei Bewertungen das Adjektiv (Eigenschaftswort) vor das Substantiv (Hauptwort).“ Ist das nicht schön?

Die Unart, Messgrößen mit Eigenschaften zu „beleben“, attraktiver und eingängiger und zu machen, ist also eine Form der Kommodifizierung. Alles soll zur Ware werden.

Meine Damen und Herren, lieber Herr Markus Wadsak: Das an die Messzahl gepappte Adjektiv tut informativ, unterhaltsam und chic, ist aber knallharter Kommerz. Gleichen Sie sich ihm nicht durch Nachahmung an! „Trockene 17 Grad in Innsbruck“ ist etwas anderes als „Innsbruck, 17 Grad und trocken“. Ich verstehe, dass Sie uns Zusatzinformationen bieten wollen, dass gefühlte Grade sich von gemessenen unterscheiden. Aber das können Sie anders ausdrücken.

Gleich muss ich bei Ihnen nachhören, wie das Wetter wird.

Weiterhin: keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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