Hilfe! Die Seuchenkolumne nähert sich ihrem Hunderter.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 92

Armin Thurnher
am 16.06.2020

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Was wird werden? Ich widerstehe der Versuchung, mich heute mit dem Phrasenturbo der Regierung auseinanderzusetzen, der nach der Klausur gerade auf Hochtouren schwurbelt. Turboschwurbo.

Nur soviel: Wolfgang Sobotka soll abtreten, nicht nur als Untersuchungsausschuss-Vorsitzender, sondern auch als Nationalratspräsident. Bei mir besteht der Verdacht, er habe sich zum Ausschussvorsitzenden wählen lassen, nicht obwohl, sondern weil er befangen ist. Und, wie der Kollege Klenk auf Twitter korrekt bemerkte, es genügt der Anschein der Befangenheit. Sobotka ist Vorsitzender des Alois-Mock-Instituts, das von Novomatic mit Inseraten bedacht wurde; Novomatic ist ein zentraler Komplex im U-Ausschuss.

Der ungute Mann beharrt nicht nur auf seinem Posten, er richtet beharrlich Schaden an. Neuester Schadensfall: mit windigen juristischen Argumenten lehnte Sobotka das Angebot des Anwalts der Videoherstellers ab, das Original-Ibiza-Video zur Verfügung zu stellen. Es wäre jedoch sinnvoll, hätte der Ausschuss beide Kopien, die vom Anwalt angebotene und die von der Soko im Innenministerium seit Wochen im Geheimen bearbeitete. Die Abgeordneten könnten die Kopien dann wechselseitig kontrollieren, der Wahrheitsfindung wäre bestens gedient. Sobotka hat daran wenig Interesse, das ist nicht erst jetzt klar.

Und jetzt der Ibiza-Untersuchungsausschuss!

Tullius Destructivus auf der Website comedix.de / @Zeichnungen: Albert Uderzo & Didier Conrad – © Les Editions ALBERT-RENÉ, GOSCINNY-UDERZO

Ich hoffe, dass mir mit Sobotka nicht ein neuer Adressat eines neuen letzten Satzes erwächst. Für jüngere Leserinnen und Leser: Im Falter habe ich zwanzig Jahre lang jeden meiner Kommentare mit dem Satz „Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex (zuerst: die Mediaprint) muss zerschlagen werden“ beendet. Sobotka ist kein Cato, aber doch ein Destructivus, wie ein Charakter in der Asterix-Folge „Streit um Asterix“ heißt. Dieser Tullius Destructivus schürt Streit und Zwietracht, wo immer er auftaucht. Als man ihn einmal in die Arena wirft, zerfleischen die Löwen nicht ihn, sondern einander. Die Sprechblasen, die er von sich gibt, sind grün vor Gift. Türkis sind Brille und Stecktuch des parteiischsten Nationalratsvorsitzenden der zweiten Republik. –

Nicht diese Töne, Freunde! Ich wollte über die Kolumne reden. Sie nähert sich mit Riesenschritten ihrem Hunderter, aber nun, da die Coronaregeln gelockert werden, muss auch ihre Zukunft bedacht werden. Wir existieren unter viralen Bedingungen. Die Selbstisolation erwies sich nicht nur bei mir bisher als Segen. Unter der Hand versichern mir alle, mit denen ich darüber rede, ihnen gehe es genauso. Haben denn soziale Beziehungen bisher vor allem den Sinn gehabt, uns Autoren und Freiberufler vom Wesentlichen abzuhalten?

Das Klösterliche an der Isolation wird heutzutage digital aufgehoben. Man ist nur vom Sitzungs- und Betriebswesen isoliert, nicht von den Nachrichten und vom Gesumm. Wie es wäre, einmal drei Monate gänzlich stumpfsinnbefreit zu leben, kann ich mir noch nicht vorstellen. Die Versuchung wächst, es auszuprobieren.

Diese Kolumne allerdings lebt von der täglichen Inspiration auch durch Stumpfsinn. Sie nährt sich von einer Mischung aus der mich umgebenden Natur und dem Gestrüpp der Medien. Die beiden Rehkitze sind übrigens gut gediehen; sie fressen im Garten, was sie kriegen können. Die Rosen brachte ich vor ihnen in Sicherheit. Bisher dachte ich, der Phlox schmecke ihnen nicht. Schon haben sie mich eines Besseren belehrt. Trial and Error: Gilbweiderich, Taglilien, Pfingstrosen, Nelken, Margeriten mögen sie nicht. Gräser und Schattengewäche ebenfalls nicht. Dachte ich, bis sie gestern ein Geißblatt abknabberten.

Im Garten gab es früher ein Salettl, von dem nur das achteckige Fundament aus Sandstein blieb. Wir begruben dort den geliebten Hund. Die Stelle ist schattig, ich bepflanzte sie mit Gräsern und Blattpflanzen und erklärte sie zum Denkmal meiner toten Freundinnen und Freunde. Dieses Denkmal ist unstürzbar. Aber es wächst, leider. Wir wachsen einander entgegen, sozusagen.

Also, was wird mit der Kolumne? Irgendwie habe ich mich an sie gewöhnt, sie jeden Tag zu schreiben ist, obwohl es mir leicht fällt, in Summe Knochenarbeit. Andererseits verdient unsere vielfältig durchseuchte Welt verschiedene Antworten. Ob sie meine Antworten braucht, ist weniger die Frage, als ob ich sie ihr geben will. Also ob.

Als ob ich mich neuerdings nicht auch auf Twitter wichtig machen müsste: Twitter trat zuerst als Bekämpfung eines Missstands auf, um sich schnell als erweitere Form dieses Missstands zu erweisen. Facebook und Insta warten.

Wer als Autor existieren will, muss digital existieren, auch wenn er dieser Existenzweise zutiefst misstraut. Diese Kolumne ist ein Ausdruck jenes Dilemmas, das uns Menschen vielleicht nicht ganz neu vorkommt. Wann hätte er seine Existenz je als richtig, als stimmig empfunden? Vielleicht erst dann, wenn es ihm nicht mehr wichtig war, es aufzuschreiben. Seuchen helfen zumindest bei der Erkenntnis, wie prekär das alles ist, Thomas Bernhard hätte gesagt, wie lächerlich. Die Lächerlichkeit von allem wäre ein guter Grund, die Kolumne über ihren Hunderter hinaus fortzuführen. Die Freude daran, den Ärger darüber zu artikulieren, ein noch besserer. Schaumamal.

Weiterhin: Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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