Nehammer gendert konsequent

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 88

Armin Thurnher
am 12.06.2020

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Es ist die Mitteilung des Tages. Der Woche. Meines Lebens. Wie ein Kartenhaus bricht alles zusammen, was ich bisher geschrieben habe. Ich stehe vor den Trümmern meines Werks. Es war der grüne Abgeordnete und Anwalt Georg Bürstmayr, der heute im Ö1-Morgenjournal jene wichtige Information bekanntgab, die mein Weltbild in Scherben legte: „Nehammer gendert konsequent.“

Gut, der Mann ist Innenminister. Zuvor war er Offizier, Geschäftsführer der ÖVP und also naturgegebenes Opfer meiner ungerechten Polemik. Was hat die ÖVP unter dem Falter gelitten! Fake News mussten sie uns vorwerfen, wo sie uns trafen, und das war oft. In meinem Buch Republik ohne Würde erzähle ich eine Episode mit Nehammers Urvorgänger Ernst Strasser (2000-2004), einem heutzutage viel zu wenig gewürdigten Repräsentanten dieser Partei, natürlich auch aus Niederösterreich, deren ideellem Kernland.

Ich selbst bin Teilzeit-Niederösterreicher, ich weiß, was gemeint ist. Stahlhelm-Fraktion nannte man die ÖVP Niederösterreich früher, und der Dichter Hermann Schürrer hatte als schlimmsten Ausdruck seiner Menschenverachtung, wenn er betrunken war, folgende abqualifizierende Geste bereit. Er erhob sich, breitete seine Arme aus, blickte sich um und brüllte in das verstummende, eingeschüchterte Lokal: „Lauter Niederösterreicher!“

Ernst Strasser war der Mann, der als Innenminister die Asylbetreuung privatisierte, gnadenlos das Ministerium umschwärzte und verzweifelte Asylwerber mit der bestialisch-zynischen Formulierung abwies: „Ich lade sie ein, umzukehren.“ Im Frühsommer 2004 war wiederum ich eingeladen, nämlich eine Diskussion zu moderieren. Meine Erinnerung:

„Fast hätte ich ihn übersehen. Er stand beim Eingang, ein wenig zur Seite gedrückt, nicht gerade wie ein bezahlter Grüßer, aber auch nicht wie ein geladener Gast. Der soeben zurückgetretene Innenminister Ernst Strasser. Ich hatte während seiner Amtszeit stets harte Kritik an ihm geübt, wahrscheinlich nicht hart genug, sage ich im Rückblick, denn bei allem bemühte ich mich stets um Fairness. Steht’s im Falter oder stimmt’s?, kommentierte er einmal, von einer Zeitung darauf angesprochen, einen unserer Berichte. Er stimmte. Auch war mir das Ausmaß seines Interesses am Thema Korruption damals nicht klar, ich sah es noch als quasi dienstliches, subjektives eines Beinahe-noch-Innenministers, nicht als objektives im Sinne des Objekts der Strafverfolgung.

Grüß Gott, Herr Minister, sagte ich, einem Impuls meiner Manieren folgend, und nickte ihm geschäftsmäßig zu. Strassers Miene verfinsterte sich, er schob sein Kinn, ja seinen ganzen Schädel vor, mir entgegen, stierte mich böse an und sagte nichts. Nur ein dumpfer Laut entquoll seiner verkrampften, gequälten Figur, etwas wie Uuaamrgh. Ich übersetzte es für mich mit »Wenn ich keine Person öffentlichen Interesses wäre, würde ich dir jetzt mit einem Baseballschläger deine freche Fresse einschlagen«, ging an ihm vorüber und machte mich an meine Moderation.“

Warum erinnert mich das an Nehammer? So ungerecht! Nehammer gendert!

Karl Nehammer ist ein Fels der Aufrichtigkeit und ein Anker der Professionalität in dieser Regierung. Er macht keine halben Sachen. Im Sich-Hinstellen und auf Wien Hinhauen toppt er Gernot Blümel mit links. Er ist der Mann der ungeteilt breitbeinigen Wahrheit. Keiner konnte am Corona Pult so staatsgewalttätig dastehen wie er. Die Maske sah auf seinem Antlitz immer aus wie eine Drohung, nicht wie eine Verhüllung oder ein Schutz. Nehammer droht für Recht und Ordnung. Trump twittert, Nehammer steht.

Karl Nehammer steht. FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET

Menschen, die Abstandsregeln nicht einhielten, belegte er mit Namen, die wir besser nicht wiederholen. Sein neben ihm stehender Kollege Chef, der Kanzler, nickte versonnen. Der Arbeitslose, der in Wien auf der Parkbank saß, konnte bei leichter Verfehlung gegen Corona-Vorschriften jederzeit mit einem Organstrafmandat in der Höhe von 1000 Euro rechnen; der Kleinwalsertal-Kanzler kam mit einem relativierenden „Du-Du“ hinter verschlossenen Türen davon. Wenn überhaupt. Wurscht. Nehammer gendert! Konsequent!

Nehammer, der martialische Champion der Gendergerechtigkeit – „gender, du Opfer, oda du foist auf mei Schreibtischkantn!“ – , hat auf seine Kollegin Alma Zadic besonders zartfühlend Rücksicht genommen. Taktvoll erwähnte er ihr gegenüber die Existenz des Ibiza-Videos nicht, weil er ihr die Peinlichkeit ersparen wollte, dass sie vielleicht das eine oder andere darauf nicht verstünde; sie ist ja keine Österreicherin, keine gebürtige, keine autochthone, nein, sie ist all das, Herrgott, was soll das, ein Rückfall, hab ich nicht so gemeint, hier haben Sie das Video, liebe Kollegin! Ich gendere außerdem, falls Sie es nicht bemerkt haben!

Meine Männer schlampen nicht. Sie gehen nur die Dokumente auf Gendergerechtigkeit durch. Dieses Rothensteiner-Notizbuch war komplett ungegendert, das mussten sie schwärzen, verstehen Sie doch! Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die ist bloß ein Filzwiener Nest unbelehrbarer Machos. Haben Sie die je gendern hören? Eben. –

Gut, es dauerte zehn Minuten, bis Karl Nehammer sich im Ibiza-Ausschuss dazu durchrang, zuzugeben, er habe Alma Zadic verschwiegen, dass sein Ministerium das Ibiza-Video längst hatte. Aber das war ja nur zu ihrem eigenen Besten. Nehammer, wir wissen es nun, gendert. Das zählt.

Schönen Gender-, äh Fenstertag noch. Weiterhin: Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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