Vorzeigbar, aber mies. Zum Zustand der Republik
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 87
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Fronleichnam. Sonst schiebt sich an diesem Tag ein Zug durchs Dorf, angeführt von der Blasmusik, von einem blumengeschmückte Altar zum nächsten. Ausgestreute Blüten und Blätter säumen seinen Weg. Barock ist nicht ausgestorben in Österreich, nur coronabedingt abgeschaltet. Im Radio hörte ich den deutschen Innenminister Horst Seehofer, eine Dumpfbacke bedeutenden Ausmaßes. Er sagte, Deutschland werde ein paar hundert Flüchtlingskinder aus Griechenland aufnehmen, denn seine, Seehofers Flüchtlingspolitik sei es, Strenge zu zeigen, aber auch „auf vorzeigbarem Niveau Humanität“.
Das gefiel mir. Weniger die Formulierung mit dem vorzeigbarem Niveau, die hatte etwas beinahe Sobotkistisches. Was soll das heißen? Humanität hängt nicht von ihrer Vorzeigbarkeit ab. Das ist ein lächerlicher, derzeit leider populärer Gedanke. Man sieht sie vor sich, die Öffentlichkeitsarbeiter, die gute Taten von Politikern auf ihre Präsentabilität überprüfen, oder die deren gute Taten überhaupt erst aushecken, weil sie so präsentabel sind.
Auch hat Humanität kein hohes oder niedriges Niveau, wie die Bildung, die sie in Österreich so gern unterscheidbar halten möchten: niedrige Bildung für die niederen Klassen, höhere Bildung für die höheren.
Der Gedanke, Österreich könnte Flüchtlinge aufnehmen, wird von Bundeskanzler Sebastian Kurz stur abgelehnt. Wir werden von Inhumanisten regiert, aber auf vorzeigbarem Niveau. Ich komme nicht darüber hinweg, dass wir die Flüchtlinge natürlich nicht aus humanitären Gründen ablehnen, denn das christlich fühlende Herz des Kanzlers und seiner Christenpartei könnte nichts anderes wollen. Sondern weil Hartherzigkeit gegenüber Flüchtlingen gut bei den mehrheitsbringenden rechtsextremen Wählern ankommt, die man der Strache-Kickl-Hofer-Gang abgeluchst hat.
Die Situation der Republik ist beklagenswert. Die Corona-Krise wurde zwar gesundheitlich mit Glück und Geschick gut gemeistert. Die ökonomische Hilfe jedoch wird von den regierenden Dilettanten geradezu atemberaubend versemmelt: Auslagerung an die Wirtschaftskammer, Null Transparenz, abnehmende Effizienz mit abnehmender Macht der Hilfeempfänger. Am unteren Ende der Skala der Leerhändigen stehen krisengebeutelte, arme Familien. Die Ministerin Aschbacher, hirnstoppende Schwurbelsprechkönigin von Sebastians Gnaden, wird gewiss ein wohlfeiles Phräschen für sie parat haben. Einstweilen ist ihr nur eingefallen, zu verkünden, man werde den Prozess beschleunigen. Vielleicht fragen sie McKinsey, dessen sündteure Berater bei den geplagten Hoteliers so segensreich wirken, dass diese, wie man den Hilfrufen des Neos-Politikers Sepp Schellhorn entnehmen kann, vollends verzweifeln?
Nein, das Niveau unserer Republik ist vorzeigbar, aber mies. Weil es sich nur an der Vorzeigbarkeit orientiert. Und an einer einzigen politischen Idee: der Demontage des Staates. Nein, kombiniert mit einer zweiten: der Überantwortung der Republik an die ehemals Volkspartei genannte türkise Partie. Die österreichische Vorzeigepartei. Herzig, die Herzeigpartei, könnte man sagen, wären die Konsequenzen, wie im Fall der Flüchtlingskinder oder der Ungeholfenen nicht derart inhuman.
Alles beurteilt die Vorzeigpartei nach den Kriterien von Verkaufbarkeit. Die Coronakrise? Weniger Tote als anderswo, dank uns! Danke Kurz, o Wurm, dein Leben! Und danke dem Günther aus Tirol, der ist so fehlerlos, der ist so toll! Europäische Wirtschaftshilfe? Wir gehören zu den Sparsamen. Unser Geld für unsere Leut! Transparenz? Wir sagen euch nicht, wer wieviel von den Milliarden bekommt, und wie wir – koste es was es wolle – unser Financiers und Großspender bevorzugen. Dafür reden wir vom Transparenzgesetz: Informationsfreiheit für alle, die kein siebzehnseitiges Formular ausfüllen können und deswegen kein Geld bekommen!
Rassismus in den USA? Wir sind Freunde Trumps und seiner Familie, da halten wir uns zurück. Das Ibizavideo? Eine reine Angelegenheit der FPÖ, besser gesagt Straches, der wiederum mit der FPÖ (möglicher Koalitionspartner) nichts zu tun hat. Postenschacher? Wir doch nicht! Wir kennen den Herrn Strache nicht, hatten nie Umgang, geschweige denn SMS-Verkehr mit ihm. Der Rechtsstaat ist am besten bei unserer Partei aufgehoben. Polizei und Justiz? Gehören uns, das wäre ja noch schöner, wenn die einfach drauflosermitteln. Sollten welche das versuchen, werden wir sie als Rote aufblattln und anpatzen. Anpatzen? Ja, das können nur wir. Und wenn so etwas aufkommt, wie beim Chef der ÖBAG? Sie, rausschießen lassen wir uns keinen. Das wären ja Silberstein-Methoden!
Wie schaffen wir es, mit all dem durchzukommen? Wir kaufen uns mit Staatsknete die wichtigen Medien. Die wissen dann, was sie zu tun haben: nichts. Das Parlament? Brauchen wir nicht zu fürchten, dort sitzt Sobotka. Und die Grünen? Haben wir eingekocht und über den Tisch gezogen. Unser Rezept: Eintracht mit uns regiert besser als der Konflikt. Die Eintracht gewinnen wir höher als den Streit. Wir lieben Win-Win-Situationen, wegen der Vorzeigbarkeit. –
Mir ist, als hörte ich zu diesem quälenden Geflüster eine spukhafte Blasmusik. Ein mit türkisen Leiberln angetaner, neobarocker Geisterzug zieht mit türkisen Fahnen durchs Dorf und zeigt sich vor. Er zeigt die fahle, gestelzte, aber prunkende Inszenierung seiner Vorzeigbarkeit, mit nichts dahinter. Selbst die Masken sind türkis. Die Monstranz deutet nicht auf den Heiligen Geist, sondern auf den Ungeist einer satten und selbstzufriedenen Privatisierer-, und sagen wir es ruhig, Klassenmentalität. Wie konnte es so weit kommen? Wir haben diese Vorzeige-Mentalitätsträger zu Amtsträgern gewählt. Vorzugsweise.
Schönen Feiertag noch. Weiterhin: Keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher