Minister Blümel trifft eine Tatsachenfeststellung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 73

Armin Thurnher
am 28.05.2020

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Im Parlament debattierten sie gerade einen Abänderungsantrag der ÖVP. Diese Wirtschafts- und Europapartei (Ironie!) hatte geschwind umdisponiert, nachdem ihre Idee, ein Budget beschließen zu lassen, das dem Wissen aller Beteiligten nach so nicht den Tatsachen entsprach, von der Opposition als verfassungswidrig eingestuft wurde. Nun reichte sie auf dürren zweieinhalb Seiten nach, was alle längst wussten. „Es ist richtig, hier werden 28 Milliarden anders dargestellt“, sagte der ÖVP-Klubobmann in der unnachahmlichen Diktion unserer Konservativen zur Opposition. Wir haben euch 60 Stunden lang über Müll diskutieren lassen, jetzt beschließt bitte in ein paar Stunden einfach das hier!

Finanzminister Blümel mit Freund: Exekutivdemokraten @Sebastian Kurz / Twitter

„Etwas ist anders dargestellt“ ist eine gute Umschreibung für etwas, was bisher noch gar nicht dargestellt wurde. August Wöginger liefert die stadlkompatible Version von Messagecontrol, so deftig, dass die Wahrheit beinahe schon wieder durchschimmert.

Ist die Empörung der Opposition über den Vorgang der Budgeterstellung berechtigt? Sogar die entschlossensten Einerseits-Andererseits-Journalisten konnten ihre üblichen zwei Meinungen bändigen und neigten sich hauptsächlich der einen zu: das Budget, wie es der Finanzminister vorlegte, war eine Provokation.

Natürlich hat sein Argument etwas für sich, man hantiere bei einem Krisenbudget mit einigen Unbekannten, also könne man genauso gut Hausnummern beschließen. Der Hausverstand der meisten Abgeordneten fühlte sich jedoch zu Recht herausgefordert. Denn jeder, der ein Budget erstellt weiß, man muss möglichste gute Annahmen treffen und Schätzungen versuchen. Vor allem kann man begründete Annahmen treffen.

Budgets sind im großen ganzen Mischungen aus Bekanntem, begründeten Annäherungswerten und Wetten. Die ganze schöne Wissenschaft der Ökonomie beruht zu einem gewissen Teil auf solchen Schätzungen, und die Finanzwirtschaft beruht vor allem auf Wetten. Wie flexibel jede Wissenschaft ist, hat uns eben die Epidemiologie gelehrt. Schon vergessen? Einige exakte Ergebnissein aus einem Ozean von Unbekanntem müssen pragmatisch bewertet und aktuell in Maßnahmen umgesetzt werden.

Wir reden hier aber von Politik, und da bedeutet die Tatsache, dass einer dem Parlament etwas hinklatscht und freundlich, aber messagekontrolliert „schmeck’s“ dazusagt, nicht nur eine Provokation. Sie ist ein politisches Statement.

Das Budget als „in Zahlen festgeschriebene Politik“ ist eine der meistbenützte Phrasen in diesen Tagen. Was wird hier festgeschrieben? Der Ex-Abgeordnete Alfred J. Noll, auch Rechtsanwalt des Falter und Autor zahlreicher Bücher, hat es in einem Gespräch mit mir einmal drastisch ausgedrückt: Wir haben kein Parlament. Noll meinte, das Parlament sei nur mehr ein Beschlussapparat und habe nichts zu reden.

Die Regierung überfahre es links und rechts, und die Erfüllungsgehilfen der Mehrheit sehen ihre Funktion nicht darin, Beschlüsse zu diskutieren und dann mit Wissen um die Materie verantwortlich zu beschließen, eventuell auch aus eigenem Anträge einzubringen, kurz, lebendige politische Öffentlichkeit zu schaffen. All das tue das Parlament nicht.

Eine harte Diagnose, die in letzter Konsequenz bedeutet, wir haben eine verkümmerte Demokratie, also eine, deren Regierung (über das Parlament) alle paar Jahre gewählt wird und zu deren Gunsten das Parlament auf seine Kontroll- und andere demokratische Funktionen verzichtet und sich zu einem Erfüllungsorgan dieser Regierung macht.

Das Blümel-Kurz-Budget ist also keine Provokation, sondern eine politische Tatsachenfeststellung. Es zeigt in aller Deutlichkeit die Neigung dieser Regierung zum Autoritarismus. Zwar versucht sie mit allen Mitteln – leider sind sie oft dilettantisch – die demokratischen Formalien zu wahren. Über den Inhalt kann kein Zweifel bestehen. Der Parlamentspräsident agiert entsprechend; teils feixend, teils wurschtig geht er zur Tagesordnung über. Ob die Klubobfrau der Grünen sich mit dem Karriereschritt in diese Funktion etwas Gutes tat, darf bezweifelt werden. Der Demokratie nützt ihr gut gelauntes Rechtfertigungsgelaber solcher dubioser Manöver jedenfalls nichts. Willkommen in der türkis-grünen Exekutivdemokratie!

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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