Erinnerung an eine stille Große

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 69

Armin Thurnher
am 24.05.2020

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„Eine Erneuerung müsste das Kino sein und eine Verwandlung. Das Vertraute würde dem Menschen fremd und das Ersehnte erfahrbar scheinen, und die Welt würde anfangen, aufs Neue zu sprechen in Bildern und Tönen. Aber ich habe Filme gesehen, in denen alles anders war. Ihre Bilder waren gesucht und zur Schau gestellt und ihre Geschichten so schief und vorhersehbar, als ginge es im Kino darum, die Welt, wie sie ist, zu illustrieren, anstatt sie in Bruchstücken zu entdecken. (…) In ihrer Ahnungslosigkeit gegenüber den Mitteln der Cinematografie und ihrem erzählerischen Unvermögen hatten die Filmemacher die Wahrheit einer Geschichte gegen die Glaubwürdigkeit realistischer Detailtreue und dokumentarischer Authentizität vertauscht.“

Das ist ein Auszug aus dem titelgebenden Stück der Textsammlung „Vom Widerschein des Kinos“. Sie versammelt Schriftliches von Hans Hurch, dem zu früh verstorbenen Freund, langjährigen Filmkritiker des Falter und Direktor der Viennale. Es geht hier um den österreichischen Film, der seit damals (1984) ein ganz anderer geworden ist. Ich mich erinnere ganz genau daran, wieviel Hass dieser Text bei seinem Erscheinen auf sich zog.

Gertie Fröhlich, 1930- 2020

© Foto: Archiv Gertie Fröhlich, Galerie Ulysses

Fabeltier Zyphius, von Gertie Fröhlich als Emblem ausgewählt für das Fimmuseum

Ebenso deutlich erinnere ich mich an eine Frau, die ihn enthusiastisch begrüßte. Das war die Malerin und Grafikerin Gertie Fröhlich, die mich in einem Wiener Lokal erblickte und das erste Mal das Wort an mich richtete, um mir zu sagen, wie großartig sie Hurchs Kritik fand. „Endlich einmal spricht es jemand aus!“ Gertie Fröhlich war eine jener Menschen, die weniger aus sich machten, als ihrer Bedeutung entsprach, aber es war klar, dass ihr Wort Gewicht hatte. Eine respektgebietende Aura umgab sie.

Fröhlich schuf jahrelang exquisite Plakate für das Filmmuseum Albertina, sie kreierte auch dessen Emblem, den Zyphius, das sie einer Renaissancesammlung von Fabelwesen entnahm. Gertie Fröhlich war eine zentrale Figur der neueren österreichischen Kunstgeschichte nicht nur ihrer Arbeit wegen, sondern auch, weil ihr die Existenz der wichtigsten Galerie der Nachkriegsgeschichte zu verdanken ist, der Galerie Nächst St. Stefan.

Der Galerist John Sailer erinnert sich: „Sie war damals 25 Jahre alt, hatte zunächst in Graz Malerei bei Rudolf Szyszkowitz studiert, war dann 1953 nach Wien übersiedelt, wo sie bei Albert Paris Gütersloh 1956 das Diplom machen sollte. Geboren wurde Gertie Fröhlich am 29. Juni 1930 in der Slowakei, wo ihr Vater Dorfschullehrer und Organist war und seine vier Töchter streng katholisch aufzog. Als sich 1944 der Zweite Weltkrieg dem Ende näherte, schien es angezeigt, sich in österreichische Sicherheit zu begeben. Die Familie Fröhlich wanderte von der Slowakei nach Oberösterreich aus und ließ sich in der Nähe von Vöcklabruck nieder, wo ein Teil der Familie herstammte. Als Gertie 1953 nach Wien übersiedelte, fand sie Aufnahme bei Friedrich und Eva Heer, wo sie auch wohnte. Während des Sommers 1954 nahm sie einen Sommerjob bei der Katholischen Aktion an. Ihr Chef war der Domprediger zu St. Stephan, Otto Mauer.“

Sie überredete Mauer, die Sammlung des 1938 zur Emigration gezwungenen Kunsthändlers Otto Kallir zu übernehmen, wodurch der Monsignore Galerist wurde. Fröhlich war das Zentrum einer Gruppe von avatgardistischen Malern, Arnulf Rainer, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha, Markus Prachensky, den sie später heiratete. Gertie Fröhlich wurde Otto Mauers Sekretärin und Beraterin, die Galerie nächst St. Stephan wurde zur bedeutenden Avantgardegalerie. Ihre Verdienste daran „können nicht hoch genug geschätzt werden“, sagt Sailer in seinem Text, geschrieben anlässlich einer Ausstellung ihrer Plakate für das Österreichische Filmmuseum 1964-1984 in der Galerie Ulysses im Sommer 2005. Später wurde sie die Gefährtin Peter Kubelkas, des ersten Direktors des Filmmuseums, und schuf für dieses von der Gründung an mehr als hundert Plakate.

Ich erinnere mich an sie als eine Frau von scharfer Ironie und leisem Witz, eine Falter-Leserin, deren Urteil zählte. War sie in der Jugend „schön, mit Charme und geistreichem Witz, allseits beliebt und von vielen Künstlern verehrt“ (Sailer), so war sie im Alter eine Frau, die sich nie in den Vordergrund spielte und ahnungslose Jüngere ihre Bedeutung nie merken ließ. Das machte sie umso verehrenswerter.

Am Ende war sie nicht mehr gut zu Fuß. Mehr als einmal sagte sie zu mir, wenn wir uns zufällig auf dem Nachhauseweg trafen, ich solle mich nicht von ihrem Tempo bremsen lassen. Aber ein Gespräch mit ihr war den langsamen Gang allemal wert, denn ihr Interesse an Kunst und Kino blieb beweglich, ihren Witz verlor sie nie.

Gertie Fröhlich starb am 17. Mai 2020 im Künstlerheim bei Baden. Bisher ist in österreichischen Zeitungen kein Nachruf auf sie erschienen.

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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