Das Böse schaut in den Fenstertag

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 67

Armin Thurnher
am 22.05.2020

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Gestern war Feiertag, heute ist Fenstertag. Ich schaue also beim Fenster hinaus, und was sitzt da im Hof? Bachstelzenküken Nummer Eins. Vor sich hin fiepsend, mal wippend, obgleich die Schwanzfedern noch sehr kurz sind, mal unbeweglich. Da kommt Küken Nummer zwei und kuschelt sich an Nummer Eins. Am Ende sind es vier. Nummer drei stelzt schon flott durch den Hof. Eltern Bachstelze (gelb) sitzen auf der Dachrinne und zwitschern animierend, holen Essbares, füttern die Kleinen.

Tick, Trick und Track auf Bachstelze

© Foto Irena Rosc

Hannibal, der Freund aller Küken

@ Foto Irena Rosc

Was wird das werden? Ist Tierrettung fällig? Nur in einem Sinn. Das Quartett muss vor Hannibal gerettet werden, Hannibal, dem gemütlicher Killerkater. Er wartet auf diesen Moment, aber wir lassen ihn nicht hinaus. Werden die Kleinen überleben? Das Internet beruhigt: wenn sie gefiedert sind und die Eltern ihnen Futter bringen, ja.

Sie sind gefiedert, die Eltern umflattern sie, und siehe, schon flattert eines mit, fliegt ein, zwei Meter hoch, landet aber wieder auf dem Boden und erholt sich lange von dieser Tat. Wie mag das sein, sich zum erstenmal vom Boden zu erheben? Was spürt man da? Vor ein paar Wochen konnten wir den Jungfalken zusehen, die hoch oben auf der Dachrinne saßen und sich überwinden mussten, loszufliegen. Die Schwalben brauchen es anscheinend nicht zu lernen, die zischen gleich kurvend an einem vorbei; gerade krachte eine in mein Fenster. Heldentaten, wohin man schaut. Nur der Kater wird von uns am Heroismus gehindert.

Dieser Coronafrühling bringt mich der Natur näher, als ich es in den vergangenen Jahrzehnten je war. Bei Spazierengehen werden sogar Hundebesitzer zutraulich und freuen sich, wenn man die Schönheiten ihrer Lieblinge würdigt.

Die Rehgeiß, der wir bei der Geburt ihrer zwei Kitze zusehen konnten, ist mittlerweile mit ihnen in den Wald verschwunden; traditionellerweise kehrt sie im Sommer mit Familie zurück. Die Äskulapnatter, die irgendwo im Gemäuer wohnt, hat sich noch nicht gezeigt, der Marder wütet im vorübergehend stillgelegten alten Ford im Schuppen, die Bienen haben ein Loch in die Mauer gebissen und nisten darin; bequemerweise blüht direkt unter ihnen ein Berberitzenstrauch.

Einmal, wir trauten unseren Augen nicht, nisteten Falken in diesem Bienennest. Sie flogen aus, ehe die Bienen erwachten. Ein andermal pickte der Specht von außen hinein und holte Honig oder Larven heraus. Die Bienen fliegen indes unverdrossen.

Das einzige, was mir abgeht, ist der Genuss doppelten Blühens: alles, was in Wien schon verblüht ist, steht hier erst in Blüte. So freue ich mich an Rot- und Weißdorn, Kastanien, Flieder und am aufblühenden Pfeifenstrauch; die ganze Gegend leuchtet dann weiß und duftet wie eines Gottes Parfümerie.

Kann man in so einer Natur bösartig werden? Und ob. Die ÖVP regiert hier herum mit fast 80prozentigen Mehrheiten, und politische Gespräche, die ich so gut es geht vermeide, lassen keinerlei Unzufriedenheit mit dem erkennen, was ihre Spitze gerade treibt. Der Welt kommt das Gefühl für Verhältnismäßgkeit abhanden, selten sieht man das so gut wie im Exil.

Man muss tatsächlich die narzisstischen Bösartigkeit des amerikanischen Präsidenten und die bösartigen Vertrottelung des brasilianischen heranziehen, um Vergleichbares zu finden. Kann man sich vorstellen, dass die deutsche Kanzlerin derart über ein Bundesland herzöge, in Krisenzeiten zumal, wie es unsere vorgeblich christliche Regierungsriege derzeit tut?

Eine Integrationsministerin, die bisher nur durch desintegrierendes Gelaber aufgefallen ist, mäkelt an Wien herum. Ein Innenminister, der kleine Alltagssünder Gefährder und Mörder nannte, findet kein Wort für den Mittelberger Moralinfarkt seines Chefs. Aber auf Wien hickhacken, das kann er. Eine Wirtschaftsministerin stimmt ein, die keine Hilfe leistet und nichts dagegen tut, dass der „Kurzarbeit“ genannte Subventionsbetrug derart epidemisch ausufert, dass es sogar der Kurier-Chefredakteurin peinlich wird, einer sonst zuverlässigen Kurz-Adorantin. Selbst der niederösterreichischen Landeshauptfrau Mikl-Leitner ist das Getriebe der Wiener VP-Zentrale sichtlich unangenehm.

Das verlogene, gefinkelte und zugleich hilflose Schauspiel dieser Politintriganten ist peinlich, beschämend und letztklassig. Panik aufgrund schwindender Popularität? Zu allem Überdruss ist es uninteressant.

Euch aber dank ich, Bachstelzen. Ihr macht mein Leben lebenswert. Heute werdet ihr fliegen!

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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