Eine Schwalbe, eine Verspätung, eine Erklärung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 66

Armin Thurnher
am 21.05.2020

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Schönen Feiertag zu wünschen! Eine Schwalbe hatte sich in mein Zimmer verflogen, es musste erst verdunkelt und das höchstgelegene Fenster geöffnet werden, damit sie wieder hinausfand. Deswegen verspätet sich die Ankunft dieser Kolumne.

Rauchschwalbe

Foto © Robert Lange

Im übrigen ist heute Christi Himmelfahrt, ein guter Tag, um über Verkehrsmittel zu sprechen, die ja in meiner gestrigen Kolumne einen zentralen Teil einnahmen und sich mitunter auch verspäten. Wie frühere Bemerkungen von mir zum Thema stießen auch diese weitgehend auf Verständnislosigkeit. Ich hatte mich in teilweise deftigen Worten darüber beschwert, dass die Wiener Linien bei gewissen Gelegenheiten das Display, auf dem sie über Ankunftszeiten von Zügen oder Wissenswertes über den Betrieb informieren, dazu missbrauchen, Botschaften an ihr Publikum zu richten. Aller Ehren werte Botschaften, damit wir uns richtig verstehen. Einmal ging es um Solidarität mit den Fridays-for-Future Demonstrationen, diesmal drückten die Wiener Linien ihre Freude darüber aus, dass der Lockdown sich lockerte, und begrüßten ihr Publikum mit den Worten: „Schön, dass du wieder da bist.“

Ich betrachte die Wiener Linien als öffentliche Einrichtung des Roten (rotgrünen) Wien, einer Stadt, die – weltweit fast einzigartig – eine Form des demokratischen Sozialismus pflegt (sieht man vom kommunistischen indischen Bundesstaat Kerala ab). Die Leute hier wissen nicht, was sie an diesem Sozialismus haben, der sich unter anderem in einem sehr hohen Anteil öffentlichen Wohnungseigentums ausdrückt, und in einer Verkehrspolitik, die nach den Abirrungen der 1970er- und 1980er Jahre, als es dem Straßenbahnnetz beinahe an den Kragen ging, sich wieder besonnen hat und dies auch mit ihrem Jahresticket um € 365 zum Ausdruck bringt (Pensis wie der Autor fahren noch günstiger).

Ich sage seit Jahrzehnten, dass Wien seine Stärken der Bevölkerung nicht adäquat kommuniziert. Nehmen wir die Kulturpolitik. Da hat die Stadt ihr Budget um zehn Prozent erhöht! Ein unerhörter Vorgang, von dem nur die Eingeweihten hörten. Der Bürgermeister und der Gesundheitsstadtrat (die Kulturstadträtin sowieso) nehmen an Meetings mit Kulturmanagern, Virologen und Epidemiologen teil und verlassen diese erst, wenn sie zu Ende sind. Um all das wird kein Lärm gemacht. Sympathisch, aber im Licht der aktuellen, unsittlichen Attacken der ÖVP auf die Gesundheitspolitik Wiens und deren mediales Echo doch bedauernswert.

Was will ich sagen? Fordere ich Gegenpropaganda auf den Displays der Wiener Linien? Nein. Eben nicht. Ich fordere eine kühle, politisch adäquate Informationspolitik. Nicht hilflose Imitation sogenannter Kundenpflege, die doch nur der Anfütterung zwecks Verkauf dient. Informationen über den Verkehr genügen. U-Bahnfahren ist kein Event.

Eventpolitik kann – anders als die Sozialdemokratie lange dachte – kein Ersatz für eine vernünftige Kulturpolitik sein, denn diese muss immer die künstlerisch avancierte Produktion gegen den Markt stützen. Genauso sollten die öffentlichen Dienste der Stadt versuchen, ihre Bürgerfreundlichkeit nicht in Form marktüblicher Wohlfühlphrasen auszudrücken. Die Passagiere der Wiener Linien sind nämlich, sofern sie Wiener und Wienerinnen sind, keine Kunden, sondern Miteigentümer.

Ebenso wie die Bewohnerinnen der Gemeindebauten und die Patienten der öffentlichen Spitäler. Würde man einmal die ökonomischen Kosten der Post-Teilprivatisierung korrekt berechnen, würde man bemerken, was für ein Verlustgeschäft für die Öffentlichkeit diese scheinbare Budgetsanierung war. Jeder einzelne eingesparte, durch einen prekarisierten Paketkuli ersetzte Postler, jedes ohne Not geschlossene Postamt auf dem Land ziehen eine Spur gesellschaftlicher Verödung nach sich, die durch andere, nirgends gegengerechnete Dienste ausgeglichen werden muss: Sozialarbeit, Psychotherapie, Polizei, Medizin …

Die Wiener Linien sind nicht privatisiert. Sie sind kein Betrieb, der sich uns herablassend anbiedern muss. Ich verlange von ihnen Nüchternheit, weil ich als Stadtbenützer in Ruhe gelassen und nicht als Kunde angeschwartelt werden will, und Höflichkeit, weil ich als Miteigentümer wünsche, nicht geduzt zu werden.

Ich denke, die Wiener Linien sollten sich überlegen, wie sie mit uns, ihren Miteigentümern, über Teilhabe und Mitverantwortung kommunizieren, statt dieses herablassende Wohlfühlgetue auszubreiten. Wenn sie uns mehr bieten wollenals Fahrplaninfo, dann von mir aus relevante ökonomische Daten für alle. Oder Poesie. Das Beste aber ist nichts. Eine Leerstelle in all dem Anmachwahn, der unausgesetzt auf einen einhämmert. Pause!

Ich spüre ja den guten Willen, aber er missrät zur Anbiederung mit maximal 40 Buchstaben auf einmal. Wenn Sozialismus bloß McDonaldismus in Rosa bedeutet, plädiere ich für den Börsengang. Dann bezahlen wir statt 365 Euro das Zehnfache; und dann kann ich auch nichts mehr gegen gutmeinten, marketinggetrieben Emotionsmüll sagen.

Corona hat gezeigt, das Volk ist zu kühler Distanz fähig. Wiener Linien, ihr schafft, nein: wir schaffen das!

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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