Schön, dass du wieder da bist!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 65

Armin Thurnher
am 20.05.2020

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Ich schicke Ihnen heute einen Auszug dessen, was ich in den nächsten Stunden twittern werde, um meine Reichweite auszubauen, meine Popularität zu mehren und mein Ego aufzufetten.

„Ich will ,Ok Boomer‘ auf dem Display lesen, ihr verlogenen Ärsche!“ Foto @ Wiener Linien

Beruhigend: Proteste gegen Covid in Berlin nicht von Rechtsextremen dominiert.

Es ist eine gute Idee, gegen das Virus zu demonstrieren.

Das Virus ist auch nur so eine Sau, die wir durchs Dorf treiben. Sicher.

Ein Virus geht viral. Ein Gif, von jener Firma, die gerade von Facebook gekauft wurde, zeigt eine endlose Reihe von Säuen, die unter Polizeischutz durchs Dorf getrieben wird. Die ewige Sengsau. Sus aeterna. Morgen lasse ich mich gegen Schwachsinn impfen.

Ich gehe hin. Ich trage eine Tafel, auf der geschrieben steht: es ist eine gute Idee, hinzugehen und gegen das Virus zu demonstrieren.

Der Kanzler hakt mich unter und lacht mich aus. Ein Politikberater erklärt mir, dass nichts geschehen ist, und dass es wichtig ist, dass alles wurscht ist, und warum.

Das epidemiologische Paradox nimmt vielerlei Gestalt an.

Im Radio spielt Helmut Jasbar das Lied „Heut’ bleibe ich im Bett“. Ich stehe langsam auf.

Gestern war ich das erste Mal in der Stadt. Der Taxler trug Maske, aber er überfiel mich nicht.

Die berühmte Mendelssohn’sche Canzonetta taucht vor dem inneren Auge auf. Vielmehr Ohr.

Es ist ein zähes Ringen, sagt der Finanzminister, aber wir kommen Schritt für Schritt voran.

Wir sind der Standort. Europa ist der Standort. Gebt mir einen Standort außerhalb des Standorts!

Die Bibel besteht darauf, dass die Armen ihre Kredite zurückzahlen. Den Reichen aber soll gegeben werden.

Früher konnten Innenminister Jiu Jitsu. Heute ist der Innenminister trainierter Rhetorik-Coach. Seine Sätze können vor Kraft nicht gehen.

Die Leute glauben, Kurz sei Trump light. Welch ein Irrtum: Kurz ist Kushner heavy.

Google übernimmt nächstes Jahr die Wiener Stadtverwaltung. Corona hat gezeigt, dass das möglich ist.

Google, wir freuen uns, dass du da wieder bist!

Google ist der Igel, wir sind der Hase. Wir sind in der Igelphase. Das ist keine Phrase.

Ein Wesen, das beteuert, kein Programm zu sein, belehrt mich auf Twitter, der wahre Trump sei der sozialdemokratische Gesundheitsstadtrat.

Lasset uns für die Sozialdemokratie beten! Was soll man in leeren Kirchen sonst tun.

Der Kardinal hat in der Krone wieder die richtigen Worte gefunden, aber ich habe bei der Kollekte nicht hineingegriffen.

Der beste österreichische Feuilletonist ist der Chef einer Gratiszeitung.

Die Kronen Zeitung unterhält sich neuerdings mit mir auf Twitter. Niemand bemerkt die Abgründigkeit dieses Vorgangs.

Die Wiener Linien machen mich in der Station Karlsplatz schon wieder mit marketiggetriebenem Emotionsmüll an, statt mir trocken mitzuteilen, wann der nächste Zug kommt.

„Schön, dass du wieder da bist!“

Ich möchte mir eine ageistische Diskrimierung erbetteln. Gemütlich bin ich selber.

Wieso duzen mich die? Ich zahle Steuern und im Jahr € 365, dafür will ich schnörkellos von A nach B transportiert werden. Lasse mich gern von Schwarzkapplerbrigaden kontrollieren, aber nicht von einer enthemmten Marketingabteilung abschlecken.

Wenn schon, will ich auf dem Display sozialistische Parolen lesen, formuliert von Michael Scharang. Kettenhunde des Gefühlskapitals! Anschleimer! Anbiederer!

Ich will „Ok Boomer“ auf eurem Display lesen, ihr verlogenen Ärsche.

Ich bin ein sparsames Wesen, sagt die Friseurin.

Zeit für die Frühlingssonate. Vor dem Fenster bekennt die Robinie Farbe; die letzte, die im Sprieß- und Blühpoker ihr Blatt zeigt.

Beim Dichter Michael Robbins lese ich, Licht aus dem 15. Jahrhundert hämmert auf den Planeten ein.

Tief unter uns schwimmen Haie, die Dante noch persönlich gekannt haben.

Und wieder liegt ein bester Freund auf der Intensiv. Der Vorrat geht zur Neige. Ich schaue über die Schulter zurück.

Man sollte mehr Robbins lesen.

Es gibt keinen tröstlichen Gedanken.

Es kommen Sannenstunden auf uns zu, verkünden die Wettersprecher. Sie können ihren Namen singen.

Danke für deine Aufmerksamkeit. Schön, dass du das gelesen hast.

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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