Adieu, Dietmar Steiner. Fast ein Nachruf

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 62

Armin Thurnher
am 17.05.2020

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Ich werde keinen Nachruf auf Dietmar schreiben, sagt ich spontan. Mir reicht’s langsam mit den Nachrufen auf jüngere Freunde, auch weil der Verdacht aufkommt, der Nachschub wächst. Dietmar Steiner war zwei Jahre jünger als ich. Ich will nicht wissen, ob er an Corona starb oder nur den Folgen seiner Herzoperation. Die filterlosen Gitanes forderten wohl ihren Preis.

Seine Fähigkeiten als Architekturpolitiker können andere besser beurteilen als ich, es gibt Weggefährten. Ich gebe nur Anekdotisches wieder. In meinem Herzen hat Dietmar einen unverrückbaren Platz, weil er seine Kritiken zum Falter brachte, als er und Otto Kapfinger bei der Presse aufhörten.

Man kann es sich schwer vorstellen, aber das samstägliche Presse-Spectrum, wo die Texte der beiden abwechselnd erschienen, war, seit Friedrich Achleitner, Steiners Lehrer, in den 1970er Jahren dort publizierte, der autoritative Ort, an dem man avancierte architektonische oder städtebauliche Kritik zu lesen bekam. Man verglich sie mit der in anderen Feuilletons erscheinenden (Liesbeth Böhm in der Arbeiterzeitung, Jan Tabor oder kurz Günther Feuerstein im Kurier), aber sie waren fast immer der originellste und am besten argumentierte Beitrag.

Contrary to popular belief existierte der Falter schon vor der Erscheinen des Internet; das digitale Archiv dokumentiert kaum Artikel von Dietmar Steiner, seine Zeit war vor dessen Einführung 1998. Sie endete, als er 1993 das Architekturzentrum Wien gründete, charkteristischerweise per Handstreich: während sich die Politik von Hans Dichand erpressen ließ, der mit der Krone den von den Brüdern Ortner geplanten Leseturm abmontierte, weil er den Innenstadtblick eines Großinserenten blockierte und einen Plan nach dem anderen verwarf, mietete sich Steiner in guter Wiener Anarchomanier – Überrumpelung plus Mietvertrag – in einem der Gebäude auf dem Gelände ein und war fortan aus den Planungen und dem Museumsquartier nicht mehr zu vertreiben. Das machte ihm sehr große Freude.

Er hatte zu Silvester Geburtstag. Es muss 1991 gewesen sein, als wir uns mit unseren Partnerinnen zufällig im legendären Gasthaus Koranda vulgo „Sommer“ trafen, dem heutigen Plachutta in der Wollzeile. Das Koranda bestand aus zwei großen, hallenartigen Räumen, in denen Abend für Abend sich auch das traf, was man Kunstszene nennt; eher hinten im Raum die umfangreichen Zirkel um Walter Pichler und Trabanten; neben dem Eingang saßen oft Elfriede Mairöcker und Ernst Jandl wortkarg nebeneinander. Steiner war eher selten dort; Künstlergroßtiere waren seine Sache nicht.

An diesem Silvester war das Lokal ziemlich leer, wir setzten uns zusammen, es war der Abend derer, die keine Silvesterparty gebucht hatten. Beim Essen kamen wir darauf, dass keiner von uns vieren je den Stephansplatz während der Silvesterparty besucht hatte. Das wollten wir gleich nachholen. Wir drängten uns bis zum Riesentor und überlebten knapp. Als über uns die Pummerin läutete, zeigten wir einander mit Gesten an, es wäre Zeit zur Flucht. Einer hatte versucht, Steiner einen Schweizerkracher in die Tasche zu stecken, ein anderer goss Sekt in die Stiefel meiner Partnerin, ich musste mich gegen Stöße und Tritte wehren, am Ende schlugen wir nur noch um uns. Steiner verlor dabei nie die gute Laune, rauchte in einem fort und brannte sicher ein Dutzend Löcher in anstoßende Anoraks. Erschöpft und halbtaub verabschiedeten wir uns über Glasscherben. Es war ein Desaster, aber ein unvergesslicher Abend.

Bushaltestelle in Krumbach von Sou Fujimoto, Japan

 

Dietmar Steiner als Student, © Angelika Plank

Dietmar, Dietmar. Das schönste Denkmal für ihn steht in Krumbach im Bregenzerwald. Ich besuche es oft und denke an die Freude, die er, der es erfand, damit hatte (sein Name wird auf der Website nicht erwähnt, wahrscheinlich auf seinen Wunsch). Österreich, ein Papierkorb, dieses Wort von Friedrich Heer hatte in ihm einen, der nie aufgab, es zu entkräften. Ein Leserbrief, den er mir schrieb, als die gesamte Politikredaktion Ende der 1990er Jahre schlagartig den Falter verließ – Heidi Lackner, Bernhard Odehnal, Martin Staudinger, Thomas Seifert; dann ging auch noch Doris Knecht, meine Stellvertreterin –, zeigt Steiners ganze Lebenseinstellung und -lust. Titel „Erzengel Knecht“:

Nahm ich ,Knechts Abschied‘ noch mit fassungslos-traurigem Entsetzen zur Kenntnis, so öffnete mir ,Thurnhers Nachruf‘ erst wirklich die Augen. Ein Editorial, so elegant und brisant, als wäre es von der allerwunderbarsten Abgegangenen selbst geschrieben. ,Der Alte‘ läuft zur Höchstform auf, zeigt Flagge, zeigt Knecht, daß er‘s noch kann. Las ich ,Erbtochter‘? Ist er gekränkt, daß ihn die Liebste und Beste doch verlassen hat? Hadert er mit dem Schicksal, den Hof, den vorarlbergischen (Ausweg: Grundteilung?), nicht rechtzeitig übergeben zu haben? Ein tiefenpsychologisches Lassing (Grubenunglück jener Tage, Anm.) tut sich auf. Nachvollziehbar für mich. Man kann jemand nicht kennen, ihm/ihr niemals begegnen, und ihn/sie doch ob der Schreibe ,lieben‘.

Das war die editoriale Botschaft. Deshalb möge ,der Alte‘ die Hoffnung (Lassing zum zweiten) nicht fahren lassen. ,Die Knecht‘ wird kommen zurück als strahlender Erzengel und erster weiblicher Chefredakteur der einzigartigsten Talenteschmiede der deutschsprachigen Publizistik. So neu und frisch kann das Profil niemals werden (Bekenntnis eines gläubigen Abonnenten und News-Verweigerers, dass Erzengel Knecht dort jemals all ihre Potentiale und Talente ausspielen könnte. Die Knecht probiert’s, lernt und wird zurückkehren mit einer glasklaren Botschaft an den Alten: ,There is always someone hungrier and younger coming down the stairs behind you‘ (political incorrectes Zitat aus „Showgirls“ von P. Verhoeven.) Wir Alten, Thurnher!, sollten uns freuen, daß Knechte wie diese Doris uns einmal den unausweichlichen Stoß versetzen werden. Die großartige und einzigartige Knecht wird der neue Falter sein, spätestens im nächsten Jahrtausend! Dietmar Steiner, Wien 3

Die Knecht hat’s anders gemacht, auch nicht schlecht. Der „Alte“ war damals nicht alt, jetzt schon eher. Und Dietmar… Adieu, ich werde dich nicht vergessen!

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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