Hier spricht der Virologe: Maske = Solidarität!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 60

Armin Thurnher
am 15.05.2020

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Heute gibt es nix über Mittelberg (das hebe ich mir für den nächsten Falter auf). Heute spricht hier einmal der Mann, mit dem ich seit Ausbruch der Pandemie (oder besser: ihrer Wahrnehmung in Österreich) in regem Austausch stehe, den ich bisher diskret als „Virologen meines Vertrauens“ bezeichnet habe und der mir geholfen hat, nicht in die Rolle des journalistischen Ersatz- oder Überepidemiologen zu verfallen. Es ist Zeit, ihn vorzustellen: Robert Zangerle, emeritierter Universitätsprofessor, Virologe der Uni Innsbruck, spezialisiert auf HIV und Pionier der österreichischen HIV-Therapie. Gebürtiger Vorarlberger, naturgemäß.

Animiert durch die von Barbara Tóth im Falter publizierten Protokolle der Regierungsberaterstäbe, meldet er sich heute selbst zu Wort. Manche Aussagen dort hätten ihn fassungslos gemacht. Er schrieb mir:

„Länder mit den niedrigsten Todeszahlen wie Griechenland, Neuseeland oder Südkorea haben offenbar am besten auf die Covid-19 Pandemie reagiert. Alle diese Länder haben die Empfehlungen der WHO sehr genau befolgt. Daher stellt sich die Frage, ob in der österreichischen staatsnahen wissenschaftlichen Community von Public Health und Epidemiologie nicht doch eine Art von Überheblichkeit vorlag.

Dieser Verdacht erhärtet sich beim Lesen von  Ausschnitten aus vertraulichen Protokolle aus zwei Beraterstäben der Regierung. Man trifft sich am 28. Februar zum ersten Mal. Es wird klar, dass fast alle mehr oder weniger unvorbereitet sind. Mehrere Repräsentanten der Wissenschaft vertreten Positionen, die klar nicht auf das von der WHO geforderte CONTAINMENT (Eindämmung) abzielen, sondern eine bloße, selbstgestrickte MITIGATION, also Milderung im Auge haben. „Die Runde ist sich einig, dass ein ,striktes Containment nur in totalitären Systemen möglich ist‘“.

Christian Althaus, ein Epidemiologe aus Bern und Mitglied der Expertengruppe Data and modelling der Swiss National COVID-19 Science Task Force erklärt hier die Begriffe Containment und Mitigation. Er plädierte damals für einige Wochen Containment, also eine Lösung, die dann auch die österreichische Regierung umsetzte, aber offensichtlich gegen die Position namhafter Wissenschaftler im Beraterstab des Gesundheitsministeriums. Manche dieser Wissenschaftler sind nicht nur wegen eines anderen und letztlich unausgegorenen Konzeptes aufgefallen, manche haben sich im Stress offensichtlich auch zu hanebüchenen Aussagen hinreißen lassen.

Am 28. Februar hält das Protokoll fest: „Eine Sperre von Institutionen wie der Universität könne ,höchstens zwei Wochen durchgehalten werden‘“. Lediglich zwei Wochen später schloss selbst Schweden alle Universitäten für eine unbestimmte Zeit. Vielleicht werden sie im Herbst wieder geöffnet.

Noch am 9. März versteigt sich der Leiter eines universitären Instituts für Hygiene zur Aussage: „Ältere Menschen sollten persönliche soziale Kontakte möglichst einschränken. Die Absage von Veranstaltungen mit jungen Menschen ist gar nicht so wichtig wie der Schutz der älteren Personen.“ Dabei war  längst klar, dass die Gruppe der 20-30 jährigen eine wichtige Rolle in der Verbreitung von SARS-CoV-2 hat, weshalb bereits am gleichen Tag Universität und andere Hochschulen in Tirol geschlossen worden sind.

Die mehr oder weniger versteckte Ablehnung der Ziele der WHO durch prominente Wissenschaftler und deren nicht selten unbedarfte Aussagen, die wir inzwischen nicht nur aus dem Falter erfahren durften, hinterlassen Fassungslosigkeit. Vermutlich verzerren Medien die Angelegenheit, weil abweichende  Ansichten offenbar leichter den Weg dorthin finden.

Wie auch immer, wir werden ständig mehr in die Arme der Schweizer Task Force getrieben, obwohl deren Stellungnahmen, ganz ihrer Aufgabe gemäß, keine Seelentröster sein können. Es wäre jetzt überfällig, die Beratungen der österreichischen Regierung analog zu denen der Schweizer zu organisieren, dazu wäre man auch den konstruktiven Kräften gegenüber verpflichtet.

Hier noch die Geschichte einer Kellnerin im mittleren Alter. Sie könnte, wenn es denn ein umfassendes Konzept über den Ausstieg aus dem Lock Down gäbe, nicht mehr passieren:

  1. März: Ein Kollege, mit dem sie am 10. März abends gemeinsam in einem Cafe arbeitete, ruft sie an, er habe Covid-19. Sie teilt ihrem Chef mit, dass sie sich wegen des Kontaktes in Selbstisolation begebe. Der Chef ist strikt dagegen, sie geht trotzdem in Selbstisolation und schützt ihre Mitbewohnerin in der Wohnung rigoros. Ankündigung von Quarantäne und Schließen von Lokalen ab 16. März

  2. März: Sie bekommt Symptome (leichtes Fieber, Husten, Halsweh), kommt trotz vieler und langer Versuche bei 1450 nicht durch und begibt sich auf die Covidambulanz der Klinik, wo ein Abstrich abgenommen wird.

  3. März: Polizei kommt zur Wohnung und überbringt einen Bescheid zur Absonderung, weil sie Kontaktperson ist.

  4. März: Nach tagelanger Nachfrage erfährt sie, dass ihr Test unverwertbar ist.

  5. März: Wegen anhaltender Beschwerden nimmt sie Kontakt mit der Covidambulanz der Klinik auf, die verweist auf den Hausarzt, der wiederum auf „1450“ verweist, neuerlich Kontakt mit 1450: ein mobiles Test Team nimmt neuerlich einen Abstrich ab, der positiv ausfällt

Diese Geschichte zeigt nicht nur den mehr als verbesserungswürdigen Umgang mit Testung und Kontaktsuche. Sie soll vor allem die Gefährdung von Arbeitnehmern in der Gastronomie deutlich machen. Hier hat erst der Lockdown die notwendige Zeit gegeben, die Gestaltung der Arbeitsplätze neu zu regeln, damit eine gesundheitliche Gefährdung minimiert werden kann.

Es verwundert, dass dieses Wegfallen der Gefährdung der Arbeitnehmer durch den Lockdown so wenig Platz in der Diskussion einnimmt, aber es passt auch zur zunehmenden Diskussion über die Maskenpflicht. Es ist nicht selten Teil einer unreflektierten Haltung, es als Schwäche auszulegen, sich und vor allem andere solidarisch zu schützen. Somit bedient man ein rechtes Narrativ.“

Ich danke Robert Zangerle für dies Wortspende und all seine vielen Hinweise; es werden nicht die letzten in dieser Kolumne sein.

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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