Herbei, du holder Virenmai!
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 52
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Gestern machte meine Frau aus dem Fenster ein Foto. Es zeigt eine Rehgeiß, die seit Jahren um unser Haus zugange ist, um diese Zeit ihre Kitze zur Welt bringt und sie dann durchs Jahr begleitet. Es mag nicht immer dieselbe Geiß sein, aber für uns ist sie „unsere Geiß“. Sie knabbert Rosen, Hostas und Fette Henne weg, aber was soll’s. Hier steht sie unter einem Baum, der vermutlich ein Rotdorn ist; wir nennen ihn „Japankirsche“.
„Unsere“ Rehgeiß
Foto: @Irena Rosc
Ich wolle Ihnen das Bild zeigen. Zu soviel schöner Ungewissheit schienen mir drei Maigedichte zu passen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Morgen folgt dann gewohnt harter Seuchenstoff.
Robinien
Es flammen die Blüten der Robinien
über dem Grün und schaukeln im Wind
In ihnen dröhnen Hummeln und Bienien.
Unter der Erde grummelt die Wurzelbrut
Sammelt still ihre würgende Wut.
Ich schau auf das wiegende Dröhnen
und denk, wie verblendet wir sind
vom strahlend schäumenden Schönen.
Was solls? Wiegende, flammende Robin,
vor euren Blüten bin ich weg und hin!
Wieder Mai
Die Kraft der Kastanie, volle Kerzenwucht,
changiert von Chamois nach Champagne,
wenn der eine Rotdorn linkerhand aufdreht.
Der andre starb ab. Japankirsche fließt über,
Forsythie flämmt, der Flieder zeigt auf.
Hinter der Linde schäumt Weißdorn,
weiß kugelt der Schneeball, dottrig die Kerria,
auf scheurot steht die Schattenkastanienampel;
Apfel und Kirsche haben es hinter sich.
Die Wiese draußen gelb von Löwenzahn
und Hahnenfuß; Rauke, Nessel und Giersch
übernehmen vergessene Beete.
Nun, meint Familie Falke, solltest auch du
zur Sache kommen. Schau uns an: wir
fliegen und töten, egal was uns blüht
Zugfenster
Gerade hab ich das Schöne erblickt
Ein kleiner Fluss, braun, klar und kalt
ihn festzuhalten auf Word geklickt.
Wie fein fraktal sein Ufer wandert
wie hart die Straße dort mäandert
schwarz glänzt ihr Schlangenasphalt.
Aus einer Wiese ragen Hasenohren
umsummt von seltenen Bienen
’s ist Mai, ich fühl mich neugeboren.
Zur Heumahd angetreten, Landmaschinen!,
bell ich aus der Poetenwindel
les Wordsworth auf dem Kindle
(das ist Schwindel)
und schau dich schön, du Dachstein.
Dachstein, hilft mir beim Wachsein
Hilf mir, nicht immer zu höhnen
schenk mir den Schneeglanz des Schönen
weil Gottes Hohn
hab ich schon
Keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher