Mein Virologe und ich

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 43

Armin Thurnher
am 28.04.2020

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Heute berichte ich Ihnen von meinem Virologen. Wir kennen einander persönlich nicht, tauschen aber regelmäßig Emails aus. Meiner Kenntnis nach war mein Virologe der erste, der das Imperial College in die österreichische Debatte brachte. Als Kollege Lingens im Falter etwas salopp bemerkte, er „persönlich entschiede sich für die britische Strategie“, teilte mir mein Virologe mit, es gebe keine britische Strategie mehr, denn das Imperial College

Queens Tower, Wahrzeichen des Imperial College London, Foto © David Wright

hatte bereits ein vielbeachtetes Papier herausgegeben, das er mir in Auszügen schickte. Darin zogen Wissenschaftler den Schluss, „epidemic suppression“ sei die Wahl der Stunde. Die einzige. Das war am 16. März, und der Virologe wurde fortan zu meinem Virologen.

Als solchen bezeichne ich ihn, das ist ihm lieber, obgleich er nichts dagegen hat, dass ich seinen Namen nenne. Kommt schon noch. Wir Journalisten haben gern Experten im Hintergrund, von denen wir offen Auskunft bekommen und die wir offen Dinge fragen können, die wir beide so der Öffentlichkeit nicht zumuten wollen, wegen Vorläufigkeit, Unsicherheit, weil zu viel offen bleibt, weil man andere nicht kränken will, also genauer gesagt, er nicht Kollegen abqualifizieren, die gerade breit zitiert werden, von deren Expertise der Virologe aber weniger hält. Etcetera.

Kommentare machen immer Stimmung, und da politische Entscheidungen auf solchen Stimmungen basieren und gleichzeitig darauf abzielen, solche Stimmungen zu beeinflussen, sind wir Kommentatoren nolens volens Teil des politischen (Stimmungs-)geschäfts. Und dabei brauchen wir Überwachung und Kontrolle.

Ich kann mit meinem Virologen Fragen besprechen, die ich habe, und bekomme manchmal Antworten auf Fragen, die ich gar nicht gestellt habe. Zum Thema Schweden zum Beispiel. „Die schwedische Regierung vertraut sehr stark auf die Einsicht der Bevölkerung, sich an die Distanz- und Hygieneregeln zu halten“, schreibt der Virologe. „Wir ticken sicher individualistischer als die Schweden und kümmern uns etwas weniger um das Gemeinwohl. Das kann man am Beispiel der Grippeimpfung verdeutlichen. Während in Schweden mehr als die Hälfte der 70-Jährigen gegen Grippe geimpft sind, liegt der Anteil in Österreich bei 15-20 Prozent.“ Bei der Gesamtbevölkerung liegen wir unter zehn 10 Prozent.

Das heißt, wendet man das schwedische Modell Eins zu Eins auf einen Staat wie Österreich an, muss man mit ganz anderen Infektions- und Sterbezahlen rechnen. Das österreichische Schlaucherltum folgt unter unmittelbarem Schock den gegebenen Anweisungen recht brav, wird aber bald dazu übergehen, sich Privatregeln zu schnitzen. Denkbeispiel bleibt für mich die Tempomentalität auf Autobahnen. Warum sind Österreicher (mehr als Österreicherinnen) dafür, das Tempolimit 130 beizubehalten oder vielleicht sogar zu senken? Weil die anderen nicht Autofahren können! Die sollen sich daran halten, man selber fährt eh 160. So lautet ein älterer Witz, der aber die österreichische Mentalität bestimmt nicht schlecht illustriert.

Sehr beeindruckt ist mein Virologe davon, was die öffentlichen Institutionen in der freisinnigen Schweiz zustande bringen  Wenn man mit der Schweizer  die schwammige, publicitygetriebene Task Force von Sebastian Kurz vergleiche, von der man nur vage Zeitungsberichte kenne… Und er illustriert das mit einem Papier  aus der Gruppe „Economy“ der Schweizer Task Force, in dem sich der interessante Satz findet: „Unsere Szenarien-Rechnung legt nahe, dass durch effiziente Quarantänemaßnahmen unnötige Wertschöpfungsverluste vermieden werden können.“

Oder diese Arbeit der Uni Basel, in der man eine Statistik

Welche Einkommensgruppen wie unter Corona leiden (Uni Basel)

 darüber findet, welche Einkommensgruppen wie unter Corona leiden (Spoiler: die oberen am wenigsten!). Die Gruppe „Digital Epidemiology“ sei sehr aktiv, es lohne sich, den dem Twitter Account des Gruppenleiters zu beobachten:

Deutschland will seine Gesundheitsämter aufwerten und sie vor allem personell besser ausstatten, schreibt der Virologe, was vor allem in Bezug auf die App interessant wäre. In Österreich habe er von ähnlichen Plänen nichts gehört, obwohl er nachgefragt habe. Mehr von meinem Virologen demnächst; ich muss die vielen Informationen ja auch erst verarbeiten. Er ist Universitätsprofessor in Pension, aber wie alle Pensis (so auch ihr Autor) hochaktiv, und mit Gutachten und Beratungen sehr gut beschäftigt.

An diese Stelle möchte ich ihm einmal öffentlich dafür danken, dass er mir so viel seiner Zeit schenkt. Leben ist ja nur die Zuteilung der verbleibenden Zeit auf Dinge und Menschen. Ich weiß es zu schätzen, und Sie liebe Leserinnen und Leser gewiss auch.

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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