Bin ich ein Gerät? Über das Leben in Anführungszeichen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 40

Armin Thurnher
am 25.04.2020

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Heute ist der Tag der Zahlenmagie. Zweihundertstes Falter-Maily, vierzigste Seuchenkolumne. Wie rutscht man in so etwas hinein? Spontan natürlich. Im ländlichen Exil angekommen, als Mitglied der Risikogruppe, mich ungefährdet fühlend, im damals noch schneeweißen uninfizierten Bezirk Horn im Waldviertel, von der Vernunft aber dazu angehalten, mich gefährdet zu fühlen, vom Produktionsprozess der Zeitung freiwillig zuvor schon abgenabelt und nicht mehr gewillt, mich dort digital dauernd wichtig zu machen, musste ich doch etwas tun, das vielleicht dem Unternehmen nützt und über meine übliche Mitarbeit als Herausgeber und Autor hinausgeht.

Man sagt, Videokonferenzen würden dazu führen, dass Redaktionen in Zukunft viel weniger Platz brauchen, da man sich physisch gar nicht mehr zu treffen braucht. Wie andere euphorisch begrüßte technische Neuerungen hat auch diese bald ihren Charme verloren, und alle Welt merkt, was sie an physischer Nähe hat. Ich frage mich, warum ich so wenig Lust spüre, mich einzuschalten. Bin ich ein Gerät?

Nein, mein Gerät macht mir Schwierigkeiten, mich von ihm abzuschalten. Ich habe einen größeren Bildschirm, an dem mein Laptop hängt, sodass ich für jede Videokonferenz umbauen muss, weil sich die Kamera am Laptop befindet. Nimm doch dein Handy, raten mir Freunde. Davor habe ich noch größeren Widerwillen. Mir widerstrebt die Miniaturisierung von allem, die uns zwingt, auf immer kleinere Bildchen von allem zu starren, während wir das große Bild verlieren.

Ich weiß schon, ich brauche Zusatzausrüstungen. Gebt mir Prothesen! Eine aufsteckbare Kamera für den Bildschirm; ein ordentliches Mikrophon oder besser noch ein Headset; ein Stativ fürs Handy, sodass ich Videos in ordentlicher Qualität liefern kann. Ich kenne kaum Kümmerlicheres als all die hausgemachten froschoptischen Bewegtbildchen, die uns jetzt zumüllen, dank Isolation ungebremst. Ich sah einen, der Profikurse für Homestudio anbot. Sein Beweisvideo sollte verkaufsfördernd wirken, zeigte aber nur einen geisterhaft beleuchteten, offensichtlich durch Zahl und Preis seiner Apparate der Fähigkeit zur Selbstkritik beraubten Dilettantengrufti.

Man hat das 19. Jahrhundert als das Jahrhundert der Dilettanten bezeichnet; das erwies sich dann als weniger schlimm, als von Leuten wie Goethe und Schiller befürchtet. Sie erkannten auch die positiven Seiten von Dilettantismus: er verbreitete Kunstfertigkeit und damit Kunstverständnis. Damit verbreiterte er, wie man heute sagen würde, die Basis der Kunst.

Goethe und Schiller im Gespräch, Karikatur von Johann Christian Reinhart

Damals ließen Industrialisierung und Demokratisierung den Dilettantismus aufblühen. Heute machen Globalisierung, Digitalisierung und Refeudalisierung uns alle zu Universaldilettanten. Jeder kann jetzt Video, und Neodeutsch sowieso. Vor vier Jahren sagte ein jüngerer Kollege, dem ich ein von mir geführtes Interview zu lesen gab, erstaunt zu mir: „Du kannst ja Interview!“ So hätte ich es nicht gesagt, hatte ich bis dato doch schon das eine oder andere Gespräch geführt. Man wird eben immer neu zur Kenntnis genommen.

In diesem Sinn würde ich sagen, ich kann „Video“, aber nur mit Anführungszeichen. Die Zeit der Seuchenisolation mit ihren gehäuften Videokonferenzen zeigt, wofür die Anführungszeichen stehen. Die Videokonferenz ist eine Konferenz in Anführungszeichen. Nun waren die meisten Konferenzen in meinem Leben sinnlose Zeitverschwendung, autoritäre Gesten derer, der sie einberiefen (zu oft ich), häufig genug Zeittötung.

Allein wenn acht Teilnehmer auf den wichtigsten fünf Minuten warten, geht fast eine Stunde Lebenszeit verloren. Und doch! Viele Ideen entstanden im Wortgefecht einer solchen Konferenz, in Neckerei, im Widerspruch, in der gegenseitigen Anfeuerung. Ich langweile mich bei einer „Konferenz“ zu Tode, weil ich nicht den Kollegen sehe, der gerade ein Handyverbot verhängt hat und nun wie ein Schulbub sein eigenes Verbot auf alle möglichen Weise unterläuft.

Ich will die Kollegin sehen, die sich aufrichtet, wenn sie widerspricht und dabei gleichzeitig fürchtet, eine langwierige Debatte vom Zaun zu brechen. Ich will den Kollegen sehen, der mit Bleistift auf seinem Plan herummalt und versucht, seine Kränkung in Coolness zu verwandeln, weil ein anderes Ressort wieder einmal die ganze Sitzungszeit usurpiert. Ich möchte die Kollegin sehen, die ihre Fundamentaldissidenz auftischt wie ein Dessert, den Kollegen, der unverdrossen inhaltliche Leitlinien einfordert und den, der mit Teufelsgeduld auf die Pointe wartet, die er in der passenden Sekunde abschleudert, die Kollegin, die am liebsten nur aufgefordert spricht und den, dem das Geschwätz viel zu lang dauert und der deshalb nur grimmig, schon halb zum Gehen erhoben Platz nimmt.

Was ich nur sagen wollte: Ich schreibe diese Kolumne, weil mir nichts Besseres einfiel. Und bis mir was Besseres einfällt, schreibe ich sie halt weiter.

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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