Lyrikseuche Seuchenlyrik
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 37
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Heute früh las in der Ö1 Sendung Leporello der am Burgtheater tätige Schauspieler – Burgschauspieler darf man nicht sagen, sonst kommt Kušej mit dem Hackebeilchen – und Rezitator Robert Reinagl zwei Gedichte von mir. Eine Ehre, die ich vielleicht der Qualität meiner Lyrik, sicher aber dem herrschenden Terror der Seuche verdanke.
Ja, ich schreibe Gedichte. Viele Kollegen – Kolleginnen weniger – mögen das gar nicht, sie haben zur Lyrik ein Verhältnis wie ich zu den Diavorträgen meines verstorbenen Onkels Helmut, der sehr gern und ausführlich Alpenpflanzen fotografierte und dies stundenlang in einem kleinen Wohnzimmer voller Verwandtschaft unter Beweis stellte, wo langsam der Sauerstoff ausging.
Auch Musik kann als lästig empfunden werden. Meine Schwester spielt in einem Amateurorchester Geige. Ihr dreijähriger Sohn Michael besuchte eines dieser Konzerte, in dem ein vielsätziges Concerto Grosso eines Barockkomponisten auf dem Programm stand. Zwischen den Sätzen gab es kleine Pausen. Die Stille zwischen Satz elf und zwölf nützte der kleine Michael, um nach vorne zu laufen und laut zu rufen: „Nicht noch eins!“
In diesem Sinne folgt hier zum Nachlesen meine lyrische Corona-Trilogie (gelesen wurden nur Nr. 2 und 3). Das erste Gedicht spricht ermutigend zu unter dem frühen Schock der Seuchengefahr stehenden Menschen; das zweite ergab sich nach einer nächtlichen Fahrt mit einem Pendlerzug, und das dritte reagiert auf Debatten, wie sich Medien in der Krise verhalten sollten (wobei mich allein die Frage belustigt, denn es sind immer Menschen, die sich verhalten).
Corona im Waldviertel
Begraben Freunde und der Vater
alt und müde liegt der Kater
lang im Park schon ruht der Hund –
schlägt jetzt uns die letzte Stund?
Doch bitte nicht in der Minute
wo offen Dankschuld wie Dispute!
Ungerührt in Wind und Sturm
sitzt der Falke auf dem Turm.
Vor der Schöpfung Krone sollten Viren
sich schämen und neu orientieren!
Amsel singt ganz ungeniert
als wär niemand infiziert.
Schneeglöckchen läuten noch ein Weilchen.
Daneben blühn die ersten Veilchen.
Fiebrig knospt der frühe Flieder
wie immer. Komm und fass dich wieder.
Die Seuche
Ich bin die Fliege am Fenster
die Wolke über dem Gebirgszug
die tut, als wäre auch sie ein Gebirgszug
Ich bin das Coronavirus
bin politischer Pendlerzügefahrer
bin alle verlogenen Bewahrer
Ich übertrete Geschwindigkeit
zeig zitternden Zuges Windigkeit
In meinem Gebirgszug
bin ich Gebirgszugführer
euer Seelenberührer
Gefühlsaufwühler
Ich bin eure Pandemie
ich bin es, der euch ergiffen hat
ich bin das Shampoo in eurem Haar
bin der fickbereite kleine Star
der den Vorstadtgebirgszug besteigt
bald wird auch sie bestiegen
Während ich den Abstieg mache
in die Risikogruppe
ungesichert, aber nicht ohne
Stirnlampe, mit der ich
im freien campe an der Rampe
und schaue auf den dunklen Zug
Durch die erleuchteten Fenster
seh ich, er ist voller Fliegen
wie ihn mir der Fahrplan trug
gepeitscht vom Regen
in einem einsamen Feld
aus einer anderen Welt
Corona-Publizisten
Nimm dich in acht
erzähle niemandem davon
sage niemals
du habest die Seuche
zu deinem Ruhme verwendet
Niemandem sage,
du habest wider
den Stachel gelöckt
um der Aufmerksamkeit willen
in emotionaler Pest
im digitalen Charaktertest
Phrasen gleichen Viren
verbreiten sich auf allen Vieren
fallen von Trägertieren
auf tiefen, tiefen Heimatboden
in hangende Heimathoden
unter bangem grünem Loden
Und Speckgürtel, sie implodieren
vor kontraintuitivem Reflektieren
Nur wer dagegen ist,
der medial am Leben ist
binnen Fünfminutenfrist
ach wie ist das alles trist
Und du, Isolde?
Querdenkerin, holde?
Pfeifst auch du um die Ecke
mit virologischem Bestecke?
Und ihr, diarische Formulierer,
Facebookfressen senza Genierer?
Nehmt euch in acht
erzählet niemandem davon
und saget niemals
ihr habet die Seuche
zu eurem Ruhme verwendet
wie ich
Keep distance, wash hands, stay human!
Ihr Armin Thurnher