Lyrikseuche Seuchenlyrik

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 37

Armin Thurnher
am 22.04.2020

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Heute früh las in der Ö1 Sendung Leporello der am Burgtheater tätige Schauspieler – Burgschauspieler darf man nicht sagen, sonst kommt Kušej mit dem Hackebeilchen – und Rezitator Robert Reinagl zwei Gedichte von mir. Eine Ehre, die ich vielleicht der Qualität meiner Lyrik, sicher aber dem herrschenden Terror der Seuche verdanke.

Ja, ich schreibe Gedichte. Viele Kollegen – Kolleginnen weniger – mögen das gar nicht, sie haben zur Lyrik ein Verhältnis wie ich zu den Diavorträgen meines verstorbenen Onkels Helmut, der sehr gern und ausführlich Alpenpflanzen fotografierte und dies stundenlang in einem kleinen Wohnzimmer voller Verwandtschaft unter Beweis stellte, wo langsam der Sauerstoff ausging.

Auch Musik kann als lästig empfunden werden. Meine Schwester spielt in einem Amateurorchester Geige. Ihr dreijähriger Sohn Michael besuchte eines dieser Konzerte, in dem ein vielsätziges Concerto Grosso eines Barockkomponisten auf dem Programm stand. Zwischen den Sätzen gab es kleine Pausen. Die Stille zwischen Satz elf und zwölf nützte der kleine Michael, um nach vorne zu laufen und laut zu rufen: „Nicht noch eins!“

In diesem Sinne folgt hier zum Nachlesen meine lyrische Corona-Trilogie (gelesen wurden nur Nr. 2 und 3). Das erste Gedicht spricht ermutigend zu unter dem frühen Schock der Seuchengefahr stehenden Menschen; das zweite ergab sich nach einer nächtlichen Fahrt mit einem Pendlerzug, und das dritte reagiert auf Debatten, wie sich Medien in der Krise verhalten sollten (wobei mich allein die Frage belustigt, denn es sind immer Menschen, die sich verhalten).


Corona im Waldviertel

Begraben Freunde und der Vater

alt und müde liegt der Kater

lang im Park schon ruht der Hund –

schlägt jetzt uns die letzte Stund?

Doch bitte nicht in der Minute

wo offen Dankschuld wie Dispute!

Ungerührt in Wind und Sturm

sitzt der Falke auf dem Turm.

Vor der Schöpfung Krone sollten Viren

sich schämen und neu orientieren!

Amsel singt ganz ungeniert

als wär niemand infiziert.

Schneeglöckchen läuten noch ein Weilchen.

Daneben blühn die ersten Veilchen.

Fiebrig knospt der frühe Flieder

wie immer. Komm und fass dich wieder.

Die Seuche

Ich bin die Fliege am Fenster

die Wolke über dem Gebirgszug

die tut, als wäre auch sie ein Gebirgszug

Ich bin das Coronavirus

bin politischer Pendlerzügefahrer

bin alle verlogenen Bewahrer

Ich übertrete Geschwindigkeit

zeig zitternden Zuges Windigkeit

In meinem Gebirgszug

bin ich Gebirgszugführer

euer Seelenberührer

Gefühlsaufwühler

Ich bin eure Pandemie

ich bin es, der euch ergiffen hat

ich bin das Shampoo in eurem Haar

bin der fickbereite kleine Star

der den Vorstadtgebirgszug besteigt

bald wird auch sie bestiegen

Während ich den Abstieg mache

in die Risikogruppe

ungesichert, aber nicht ohne

Stirnlampe, mit der ich

im freien campe an der Rampe

und schaue auf den dunklen Zug

Durch die erleuchteten Fenster

seh ich, er ist voller Fliegen

wie ihn mir der Fahrplan trug

gepeitscht vom Regen

in einem einsamen Feld

aus einer anderen Welt

Corona-Publizisten

Nimm dich in acht

erzähle niemandem davon

sage niemals

du habest die Seuche

zu deinem Ruhme verwendet

Niemandem sage,

du habest wider

den Stachel gelöckt

um der Aufmerksamkeit willen

in emotionaler Pest

im digitalen Charaktertest

Phrasen gleichen Viren

verbreiten sich auf allen Vieren

fallen von Trägertieren

auf tiefen, tiefen Heimatboden

in hangende Heimathoden

unter bangem grünem Loden

Und Speckgürtel, sie implodieren

vor kontraintuitivem Reflektieren

Nur wer dagegen ist,

der medial am Leben ist

binnen Fünfminutenfrist

ach wie ist das alles trist

Und du, Isolde?

Querdenkerin, holde?

Pfeifst auch du um die Ecke

mit virologischem Bestecke?

Und ihr, diarische Formulierer,

Facebookfressen senza Genierer?

Nehmt euch in acht

erzählet niemandem davon

und saget niemals

ihr habet die Seuche

zu eurem Ruhme verwendet

wie ich


Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!