Mein Falter-Bekenntnis

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 33

Armin Thurnher
am 18.04.2020

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„Schon lange keine zornigen Artikel von Ihnen mehr gelesen“, schreibt mir ein Leser mahnend. „Poesie und Bach, gut und recht, aber…“ Gibt es ein Recht des Publikums auf Wut des Autors? Geht es mir in der Selbstisolation zu gut für Wut? Möglich. Der Konzentrationsraum, den Corona und seine Folgen geschaffen haben, ist nicht geringzuschätzen, sodass die selbstauferlegte Pflicht der Seuchenkolumne zum täglichen Morgenregen wird, zu einer Art Ilse Buck-Übung des Kolumnisten, und das Knie wird locker, bekanntlich ist es der Sitz der Philosophie, welche dort als Gurkerl wohnt.

Die Philosophie, sagt nämlich der Dichter Priessnitz (Vater), ist wie ein Gurkerl im Knie, da ist sie schon wieder, die Lyrik, der Sohn schreibt sich absichtlich ohne „e“, Prissnitz, auch kein schlechter Dichter, nur nebenbei gesagt, dabei wolle ich doch heute einmal wütend sein, vor dem Einschlafen dachte ich absichtlich an Frau Edtstadler, aber ich träumte nicht einmal von ihren eisblauen Ohrringen.

So weit lässt es die Isolation mit einem kommen, sie macht es möglich, zwecklose Texte wie diesen hier zu schreiben, während einen die Gesellschaft dauernd dazu verpflichtet, auf alle und alles Rücksicht zu nehmen.

Im Falter-Podcast läuft eine Debatte über die Linie des Falter in Seuchenfragen. Ich nehme daran teil, aber sie kommt mir kurios vor, weil der Falter nie etwas wie eine Linie hatte, sondern vielmehr, hätte man ihn nach einer Linie gefragt und er hätte reden können, sich als Zentralorgan des Abweichlertums zu erkennen gegeben hätte.

Ich selbst habe mich immer gern als Randfigur bezeichnet, damit vielleicht eine Not aus der Tugend machend, dass einer wie ich in Österreich nichts anderes werden konnte als Herausgeber des Falter.

Warum nicht? Weil der alte Dichand, mein Kollege von der Kronen Zeitung, der ungekrönte König von Österreich, öffentlich zu sagen pflegte, ich sei zwar ein ausgezeichneter Journalist, jedoch leider Kommunist. Das wiederum, weil der Falter es wagte, von Anfang an die Krone fest zu kritisieren. Damit war meine politische oder publizistische Karriere in sämtlichen österreichischen Institutionen und Organen ausgeschossen; eine Karriere, die mir zwar das eine oder andere Mal angeboten wurde, die ich aber selbst dann ablehnte, wenn das Angebot aus dem Ausland kam, wo Dichands Wort nicht wie der Donner hallte und seine unter Pseudonym verfassten Kolumnen bei ängstlichen Politikern nicht einschlugen wie der Blitz.

Heute ist das ja alles anders. Bei der Liniendiskussion dachte ich an alte Zeiten, als der Falter sich als antijournalistisch, unjournalistisch und sonstwas verstand. Mit den Mitteln von Literatur, Kunst und Journalismus wollte er sein Dagegensein dartun, und mitunter gelang das. Heute will er, weniger prätentiös, nur guten Journalismus machen. Schon in den Kollektivzeiten des Anfangs gab es so viele Linien wie publizierende Menschen. Der allgemeine Rahmen war ein Gefühl für Gerechtigkeit, das „Linke“ am Falter. Ich halte mich da an Jürgen Habermas, der einmal auf eine Frage, was das sei, links, antwortete, jeder wisse, was gemeint sei, Schutz der Armen und Kleinen, Kritik der Mächtigen und der Profiteure von Unglück, gegen Ausbeutung, für Menschenrechte.

Die politische Haltung sollte, so das Faltergefühl, nicht aus der Orientierung an einer Partei oder anderen Gesinnungsgemeinschaft entstehen, sondern – in diesem Rahmen – aus der Analyse des einzelnen Falls. Anzufangen hätte das bei der Analyse des journalistischen Falls, denn Publizierende profitieren oft genug von Unglück und Unrecht und nehmen Teil an einem daraus entstehenden Geschäft.

Das zu erkennen und selbstkritisch mitzudenken ist das Mindeste, was ich mir von jemandem erwarte, der im Falter mitarbeitet. Das heißt nicht, das Geschäft aufzugeben. Das heißt, zu versuchen, es so zu betreiben, dass man einander danach noch ins Gesicht schauen kann.

Was dabei gar nicht geht, ist der sogenannte Kommandojournalismus. Gewiss, jemand trifft irgendeinmal die Entscheidung, was publiziert wird, nicht alles lässt sich diskursiv entscheiden, Termindruck und Zeitmangel sind systemimmanente Journalismus-Probleme, die vor allem dazu dienen, inhaltliche Probleme zuzudecken. Ja, jemand, nämlich der Chefredakteur, trifft Entscheidungen, aber nur, wenn es nicht anders geht. Und schon gar nicht schreibt er anderen vor, was sie zu denken und zu schreiben haben.

Weil ich den Kommandojournalismus für phantasie- und talenttötend halte, habe ich immer versucht, das Gegenteil zu ermöglichen. Auch wenn manche danach lechzen, schreibe ich deswegen keine Leitartikel, hinter denen die Geleiteten hertrotten sollen wie Schafe. Deswegen gibt es keine Falterlinie, aber wir können immer gern darüber reden, warum nicht. Wir gehen auf keinen Strich! Wenn ich mit etwas zufrieden bin, dann damit, in fast viereinhalb Jahrzehnten Falter unter diesem Namen mehr als ein halbes Dutzend Haufen selbstdenkender Individuen versammelt zu haben. Möge es so bleiben!

Keep distance, wash hands, stay human!

Ihr Armin Thurnher

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